Ab wann ist man ein richtiger Wiener?

Aus Anlass einer Ehrung: Wien – eine Liebeserklärung mit Stachel. Wenn ich mich nun für dieses Wiener Goldene Ehrenzeichen bedanke, stelle ich der Ordnung halber fest, dass ich kein geborener Wiener bin.

Sehr geehrter Herr Stadtrat, sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich mich nun für dieses Wiener Goldene Ehrenzeichen bedanke, stelle ich der Ordnung halber fest, dass ich kein geborener Wiener bin, sondern aus Oberösterreich stamme. Daran ist nichts ungewöhnlich. Wien hat auf uns junge Provinzler eine magische Anziehungskraft ausgeübt, hat sie wohl auch heute noch – und andererseits wäre diese Stadt ausgetrocknet ohne denständigen Zuzug aus der Provinz. Das ist seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so. Wir brauchen einander wechselseitig. Ich erinnere mich, als wir einmal in größerer Runde beisammensaßen, tauchte die Frage auf: Wer von uns ist in Wien geboren? Und Robert Menasse war der Einzige.

Und denken wir an den großen Bruch in der Literatur Ende der 1960er, Anfang der 1970er, als eine damals junge Generation schlagartig die Macht übernahm: Elfriede Jelinek, Peter Turrini, Peter Handke, Wolfgang Bauer, Barbara Frischmuth, Gerhard Roth, Michael Scharang, Gert Jonke, Franz Innerhofer, Gernot Wolfgruber, Walter Kappacher, Werner Schneyder. Die kamen alle nicht aus Wien. Aber fast alle Genannten leben in Wien oder haben zumindest einige Zeit hier gelebt. Die Liste lässt sich bis in die Gegenwart fortsetzen.

Doch ab wann ist man ein richtiger Wiener? Da gibt es einen einfachen Test. Den will ich Ihnen verraten. Meine Frau, die aus Graz stammt, und ich haben zwei Söhne, die beide in Wien geboren sind. Und der Ältere trank als Kleinkind zum Frühstück gern Kakao. Und als der Jüngere mit drei Jahren eines Morgens sagte: „Ich will auch einen Gaugau“, da wusste ich: Jetzt sind wir eine richtige Wiener Familie. Wenn eines Ihrer Kinder „Gaugau“ statt Kakao sagt, dann haben Sie als Zugereister den Wiener Einbürgerungstest bestanden.

Ich kann und will hier kein Liebeslied auf die Stadt singen, wie es Wiener Juden, die dann verjagt worden sind, in ihren Wienerliedern getan haben, aber: Dass Wien eine gut verwaltete Stadt mit hoher Lebensqualität ist, in der und über die wir uns nicht selten ordentlich ärgern, das wissen Sie selbst. Und dann gibt es auch wieder Anlass zur Freude. Ein solcher Anlass liegt eben vor: Meine Frau und ich waren vor 20 Jahren an einer Initiative beteiligt, die meinte: Karl Lueger hat ob seiner kommunalpolitischen Verdienste ein Denkmal und einen Platz. Aber den Ring mit Universität und Burgtheater, den ihm der Austrofaschismus zusätzlich geschenkt hat, zumindest den sollten wir ihm wieder wegnehmen. Weltberühmt ist Lueger nicht wegen der Wasserleitung, sondern als Antisemit geworden.

Meine Frau hat daher damals als Wiener Gemeinderätin einen Antrag auf Umbenennung dieses Teils der Ringstraße eingebracht. Allerdings vergebens. Hans Dichand,die Macht der „Kronen Zeitung“, Sie verstehen. Aber jetzt geht's! Und dafür will ichmich im Namen vieler Wienerinnen undWiener beim zuständigen Kulturstadtratherzlich bedanken. Und darauf hinweisen: Für das Lueger-Denkmal gibt's auch einen intelligenten schrägen Vorschlag, ein Siegerprojekt aus einem Wettbewerb. Für Aufregung wäre gesorgt.

Und da ich nun einmal für Verdienste um das Land Wien ausgezeichnet werde, erlauben Sie mir zwei konstruktive Vorschläge.

Erstens: Es wäre fein, wenn in Zukunft überzählig gewordene Politiker nicht mehr auf hochdotierte Wirtschaftsposten abgeschoben werden können, weil das zuweilen unvorhersehbare Folgekosten produziert.

Und zweitens: Da muss ich vorausschicken: Ich bin in Wien Fußgänger, Radfahrer, Benützer öffentlicher Verkehrsmittel und Autofahrer. Und als Fußgänger stelle ich fest, dass in Wien viele Fußgängerampeln so geschaltet sind, dass ich beim Überqueren der Straße höchstens bis zur Mitte komme – und schon wird's wieder Rot. Ich schlage daher vor, dass bei normalem Gehtempo das Überqueren der Straße möglich sein muss, ehe die Ampel wieder auf Rot springt. Weil Fußgänger keine Hasen sind, die bloß den Autoverkehr stören und die man daher über die Fahrbahn scheucht. Und weil dies der Würde der Wiener Bürgerinnen und Bürger widerspricht.

Das sind meine zwei Vorschläge. Ich habe natürlich noch viele andere, wenn man mich fragt. Aber sollten diese zwei umgesetzt werden, dann würden meine Verdienste um das Land Wien, für die ich eben ausgezeichnet werde, noch weiter wachsen.

Und ganz zum Schluss noch ein Hinweis auf den notorischen Zusammenhang von Wien und Gemütlichkeit. Karl Kraus hat seine diesbezüglichen Erwartungen vor hundert Jahren so formuliert, ich zitiere: „Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst.“ – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.