Zwischenbilanzen und Wahrscheinlichkeitsrechnungen

Kein Neymar, kein Messi und kein Ronaldo, aber als Team nahezu perfekt - eine echte Mannschaft eben.

Beste Fußballweltmeisterschaft aller Zeiten? Mit Zwischenrechnungen muss man vorsichtig sein, weil sich Turniere mit jedem einzelnen Spiel schlagartig verändern können. Nach der Vorrunde wurde gejubelt, nach dem Achtelfinale eher gestöhnt, im Viertelfinale hat es dann ausschließlich verdiente Sieger gegeben. Aus dem Torregen wurde auf einmal Torarmut, aus den Schiedsrichtern die größten Pfeifen und aus den Kolumbianern mittlere Raubmörder gemacht. Die Farbtupfen, die sind längst schon wieder verschwunden, in den Semifinalspielen wurden Duelle auf Augenhöhe erwartet. Aber aus Deutschland gegen Brasilien wurde ein Schützenfest, ein epochaler Triumph, den niemand für möglich gehalten hätte. Gegen eine Mannschaft, die noch vor fünf Wochen daheim für nahezu unschlagbar gehalten wurde. Der Rekordweltmeister musste Schläge einstecken, eine Zeit lang fast im Minutentakt – und versank dann in seiner eigenen Hilflosigkeit.

Welch Potenzial in der brasilianischen Mannschaft steckt, das hat man annähernd nur ein einziges Mal gesehen. Und in diesem Spiel hat man ausgerechnet den größten Hoffnungsträger verloren. Und so nebenbei auch noch den Kapitän. Wer so zerfällt, der hat es auch nicht verdient, in ein Finale zu kommen. Die Deutschen, die eines der glanzvollsten Kapitel in ihrer Fußballgeschichte geschrieben haben, verfügen auch über keinen Neymar jr. Und auch über keinen Messi. Oder Cristiano Ronaldo. Aber die Deutschen haben etwas, was noch viel wertvoller ist – eine Mannschaft, ein richtiges und tadellos funktionierendes Team.

Zusammengestellt hat es Joachim Löw. Lange unterschätzt, auch immer wieder kritisiert und infrage gestellt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihn schon sehr bald in den siebenten Himmel heben, die ist hoch. So hoch wie noch nie in seiner Ära.

E-Mails an:wolfgang.wiederstein@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2014)

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