Vom Weltmeistertrainer in die Kreisliga

Brasilien arbeitet das Scheitern gegen Deutschland auf – und zwar unprofessionell wie viele andere Verbände.

In Brasilien hat nach der Katastrophe gegen Deutschland und nach dem ersten Schock die Phase der Selbstzerfleischung begonnen. Die Kritiker schießen sich vor allem auf den Teamchef ein, Luiz Felipe Scolari werden nun sogar fast alle Trainerqualitäten abgesprochen. Besonders schlimm sind die Angriffe von Wagner Ribeiro, Manager von Superstar Neymar jr. Er bezeichnet den 65-Jährigen Weltmeistertrainer 2002 als „alt, dumm, arrogant, widerlich, überheblich und lächerlich“. Ein böses Foul an jenem Mann, den sie vor wenigen Tagen noch Felipão genannt haben. Die Erfolge von früher aber zählen nichts mehr, jetzt werden alle Misserfolge von Scolari ausgegraben. Er hätte schon mit Portugal (EM 2004) nichts gewonnen, sei bei Chelsea nach nur wenigen Monaten gefeuert worden – und Palmeiras hätte er beinahe in den sportlichen Abgrund geführt. Kurzum, Felipe Scolari wird vor dem Spiel um Platz drei am Samstag zum größten Versager des Landes erklärt.

Künftig wird das in die Jahre gekommene Duo Scolari und Parreira (71) beim brasilianischen Verband keine Rolle mehr spielen. Scolari, das forderte schon der künftige CBF-Vizepräsident Delfim Peixoto, soll endlich in Pension gehen. Der Vertrag des Teamchefs läuft ohnehin nach der WM aus. Adenor Bacci, zuletzt bei den Corinthians São Paulo, und Alexandre Gallo, Brasiliens U17- und U20-Coach, gelten als Nachfolgekandidaten.

Die Katerstimmung ist noch nicht ganz verflogen, dass ausgerechnet die Argentinier nun Rio de Janeiro in Beschlag nehmen werden, um zum Finale zu strömen, schmerzt obendrein. Maracanã in den Händen des ungeliebten Bruders, das ist für die brasilianische Fußballseele nur schwer verkraftbar. Auch darum befindet man sich im Lager der Deutschen.

E-Mails an:wolfgang.wiederstein@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.