Rendezvous mit dem Schicksal

Die ÖFB-Kicker beim Training
Die ÖFB-Kicker beim TrainingAPA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Österreichs Nationalteam sehnt sich nach Toren. Gegen Island sollte doch eines gelingen. Ganz egal, wie.

Fußballspiele lassen sich, das ist seit jeher so, aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Österreichs Nullnummer gegen Portugal kann als gewonnene Defensivschlacht gesehen werden. Als ein Erfolg des Kollektivs, ein Punkt als Lohn harter Arbeit. Oder aber man streicht die praktisch nicht vorhandenen Offensivbemühungen hervor, das Fehlen einer klaren Idee im Spiel nach vorn. Die 93-minütige Unterlegenheit jedenfalls schmerzte, obwohl sie im Vorfeld der Begegnung zu befürchten war.

Teamchef Marcel Koller kehrte für das Duell mit Portugal von seiner Philosophie ab, die er über Jahre konsequent verfolgt und die ihn letztlich auch ausgezeichnet hatte. Das Verlangen nach Ballbesitz, nach einem gepflegten Spielaufbau, es war nicht zu erkennen. Die „Wir gehen in jedes Spiel, um es zu gewinnen“-Philosophie war kurzerhand nicht mehr gefragt, weil sie für Koller nicht umsetzbar schien. Der Schweizer hat – trotz aller gegenteiligen Behauptungen nach den misslungenen Testspielen – mittlerweile erkannt, dass seine Mannschaft mit jener aus der Qualifikation nicht mehr viel gemein hat, obwohl die Spieler dieselben sind. „Wir können nicht immer noch von der Qualifikation träumen. Das ist schon lang vorbei“, sagte Koller, auf die mangelnde spielerische Leistung angesprochen.

Fakt ist: Österreich hat zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt ein akutes Problem mit dem Toreschießen, das in der Ära Koller neue Sphären erreicht hat. Erstmals seit Februar 2008 (!) ist das ÖFB-Team seit nunmehr drei Spielen ohne Torerfolg, damals ging man in der Vorbereitung auf die Heim-EM hintereinander gegen England, Tunesien und Deutschland leer aus. Diesmal war Österreich nach dem zweiten Spieltag unter 24 Mannschaften neben Albanien, der Ukraine und der Türkei das einzige Team ohne Treffer – ein alarmierendes Urteil. Bisher konnte Koller meist auf Marc Janko bauen, doch den Torjäger hat schon vor Wochen das Glück verlassen. Seit seiner im April in Basel erlittenen Oberschenkelverletzung sucht er Fitness und Form – und Koller wiederum krampfhaft Alternativen. Wirklich aufdrängen dürfte sich niemand.

Weil Fußball manchmal ein seltsames Spiel ist, darf Österreich trotz zweier bisher mäßiger bis schwacher Leistungen immer noch mit dem Aufstieg in das Achtelfinale liebäugeln. Dafür muss am Mittwoch das letzte Gruppenspiel gegen Island gewonnen werden, gern auch nur 1:0. Jedenfalls, ein Tor muss her. Ob aus einem Elfmeter, einem Freistoß oder aus dem Spiel heraus – vielleicht hilft ja auch ein Isländer mit: Es ist ganz egal, wie.

Von der Vorstellung, dass Österreichs Mannschaft in Frankreich ein spielerisches Feuerwerk zündet, hat man sich ohnehin verabschiedet. Es wäre schon viel gewonnen, wenn dieses Team ansatzweise zeigt, was es kann. Und zumindest einmal als Sieger den Platz verlässt.

christoph.gastinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2016)

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