Ein Verdienst der Whistleblower

Russlands Olympiasperre könnte den Antidopingkampf revolutionieren – wenn es die Sportwelt denn zulässt.

Russlands Ausschluss von den Sommerspielen in Rio de Janeiro ist die einzig logische Konsequenz. Will man weiterhin von Fair Play, Gerechtigkeit und Vorbildrollen im Weltsport sprechen bzw. träumen, gibt es an dieser Entscheidung keinerlei Zweifel mehr nach dem Bericht der Welt-Antidoping-Agentur. Auch das Urteil des Sportgerichtshofs spricht Bände – Russland wird als Nation erstmals seit den Sommerspielen 1984 in Los Angeles (damals UdSSR) fehlen.

Wer betrügt, Regeln bricht – und dabei erwischt wird, muss gesperrt werden. Für alle anderen, selbst wenn es in Fällen von bereits erwischten, gesperrten und nun angeblich geläuterten US-Sprintern, chinesischen Schwimmern etc. ungeheuer schwerfällt: Es gilt die Unschuldsvermutung. Der verbleibende Rest von Unbehagen in Hinblick auf mögliche Verletzungen des Individualrechts ist mit der Gewissheit, dass in Moskaus Labor 8000Proben vernichtet worden sind, dann doch verschwindend gering.

Und dennoch, der in Wahrheit höchst verhaltene Aufschrei in der Sportwelt irritiert. Es gibt Absätze in Richard McLarens 97 Seiten starkem „Sport-Epos“, die durchaus darauf schließen lassen, dass mehrere westliche Sportverbände Wind von Russlands Machenschaften bekommen hätten, aber, aus welchen Gründen auch immer, jahrelang eisern bzw. duldend geschwiegen hätten.

Selbst der Umgang mit Whistleblowern, also Menschen, die gefeiert-geschützter Teil des Systems waren, dennoch gesperrt wurden, ausgestiegen sind und mit ihren Aussagen nun eine Nation zum Einsturz bringen, ist eigenartig. Die Informanten gelten als Ausgestoßene, sie leben im Exil. In der alten Heimat sind sie Verräter, in ihrer neuen überleben sie als Unbekannte in einem Zeugenschutzprogramm. Dabei führten Witali Stepanow und Ehefrau Julia die Ermittler überhaupt erst auf die Spur. Und hätte der, nach dem plötzlichen Ableben gleich zweier Kollegen, in die USA geflohene Moskauer Laborchef Grigori Rodschenkow gar nicht ausgepackt, die Wada-Ermittler hätten ihre Erkenntnisse nie und nimmer gewonnen.

Nun eröffnet diese Situation dem Weltsport die größte Gelegenheit über Jahrzehnte hinaus. Man könnte den Antidopingkampf ob der dokumentierten Problematik spielend leicht verschärfen. Bleiben aber jetzt Reformen, neue Gesetze, härtere Strafen aus, verkümmert Russlands Ausschluss zu einer Momentaufnahme. Es wäre nur noch ein simples Kapitel in der Sportgeschichte, wie der in der Gegenwart längst bedeutungslose Boykott 1984.

E-Mails an:markku.datler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2016)

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