Ernst Happel: Kauz, Guru und einfach unverwechselbar

(c) Christina Happel
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Als Spieler haben sie ihn »Zauberer« gerufen, als Trainer wurde er »Wödmasta« genannt. Er war als Grantler verschrien, aber hinter der harten Schale verbarg sich ein weicher Kern.

Die Nachricht von Ernst Happels Tod lähmte damals den gesamten österreichischen Fußball. Es war ein Samstag, 17.17 Uhr, vor nunmehr exakt zwanzig Jahren. Wenn Österreichs Nationalteam am heutigen Mittwoch in Linz gegen die Elfenbeinküste spielt, dann ist dies ausgerechnet der Jahrestag, als das Herz eines der Größten, die der Fußball jemals hervorgebracht hat, aufgehört hat zu schlagen. Österreich hat vor zwanzig Jahren mehr als nur einen Teamchef verloren, sondern auch ein Stück Fußballgeschichte. Dreizehn Tage, bevor Ernst Happel sein 67. Lebensjahr vollendet hätte, vier Tage vor dem Länderspiel in Nürnberg gegen Deutschland. „Bei Ernst Happel ist die Formulierung, dass sein Ableben ein unersetzlicher Verlust ist, gerechtfertigt“, meinte der damalige ÖFB-Präsident Beppo Mauhart bei einer improvisierten Pressekonferenz. „Er war ein Unikat.“

Beppo Mauhart verlas im Teamquartier in Vösendorf abschließend Happels letzte Botschaft, die er an seine Lebensgefährtin Veronika in der Innsbrucker Klinik übergeben hatte. „Ich habe einen Kader hinterlassen, der Basis für eine gute Weiterarbeit sein kann. Sie müssen nur etwas daraus machen, müssen daran glauben. Sie haben es verstanden, worum es geht. Sie müssen auf's Nationalteam stolz sein, eine innere Beziehung dazu haben. Sonst wird's nix.“ Und dem ÖFB-Präsidenten hatte er gesagt: „Aus dem Team, da wird was draus. Es war ein schönes Jahr.“ Wenigstens war es ihm noch vergönnt, sein Trainerleben mit einem Triumph zu beschließen – 5:2 gegen Israel. „Wer gewinnen will, muss Risiko nehmen.“

Als Ernst Happel am Hernalser Friedhof zu Grabe getragen wurde, fielen Regentropfen vom Himmel. „Weinen wir nicht, dass er gestorben ist – freuen wir uns, dass er gelebt hat.“ So stand es auf einer Schleife jenes Kranzes, den seine Freunde und Kartenbrüder vom Café Ritter gestiftet hatten. Zahlreiche Fußballpersönlichkeiten aus dem Ausland erinnerten an die Erfolgsstationen des ehemaligen Weltklassespielers. Wim van Hanegem, Happels Liebling bei Feyenoord Rotterdam, war gemeinsam mit Wim Suurbier, ebenfalls Mitglied des Europacupsiegers von 1970, gekommen. Auch Manfred Kaltz und Horst Hrubesch vom Europacupsieger Hamburger SV, Franz Beckenbauer und viele Funktionäre der Länder, in denen Ernst Happel Fußballgeschichte geschrieben hat, waren da.

Über Ernst Happel erzählt man sich jede Menge Anekdoten. Er war ein Trainer-Guru, der zu Lebzeiten mehr Titel und Pokale gewonnen hat als jeder andere. „Wiener Urtyp, dem kein Mätzchen fremd war“, schrieb „Die Presse“ anlässlich des zehnten Todestages. Er ging als Spieler in die Fremde (Racing Paris), als Trainer wurde er alsbald gefürchtet. Egal, ob bei ADO Den Haag, Feyenoord Rotterdam, Sevilla, Brügge, Standard Lüttich oder beim Hamburger SV. Er mischte Niederländisch mit Wiener Dialekt, verstanden wurde er aber von allen Spielern. Und sie hingen großteils an seinen Lippen. Wie die Journalisten, die er nur allzu gern an der Nase herumführte.

Ernst Happel zählte zur Nachkriegsgeneration, die das Pech hatte, dass das Fernsehen, wenn überhaupt, noch in den Kinderschuhen steckte. Gleiches gilt für den Europacup. Hätte es zu seiner Zeit bereits so etwas wie die Champions League gegeben, der Rapidler wäre nicht nur „Wödmasta“ der Fans geworden, sondern er hätte ein echter Megastar werden können. Obwohl er auch der Inbegriff des Bruder Leichtsinns war. Ein schlampiges, aber unglaublich kreatives Genie mit Instinkt für alles, was den Ball betraf.

Highlights seiner Karriere gibt es viele, just der größte Triumph – WM-Bronze 1954 – wurde getrübt. Denn Ernst Happel wurde nach dem 1:6 gegen Deutschland zum Sündenbock gemacht, beim 3:1 gegen Uruguay, was den dritten Platz bedeutete, musste er zusehen. Und auch die WM-Endrunde 1958 wurde vom einen Skandälchen begleitet. Es ging bei der Affäre um nächtliches „Fensterln“. Der damalige Teamchef Josef Argauer aber hatte dem Abwehrspieler aufgelauert. „Wenn du jemals selber Trainer wirst, dann wünsche ich dir von ganzem Herzen ein solches G'frast als Spieler, wie du eines bist!“

Was für den Trainer später zählte, war Charakter. Darauf hielt er mehr als auf das größte Talent. Stars, die sich gehen ließen, die hat er malträtiert. Physisch und psychisch. „Wer mehr kann, der muss auch mehr leisten!“, lautete seine Devise. Wenn es sein musste, dann hat Ernst Happel auch Ballkünstler ins Abseits gestellt. Einen Franz Hasil hat er beispielsweise so lange bei Feyenoord gedrillt, bis dieser gelernt hat, an die Schmerzgrenze zu gehen.

Eigentor bei 15:0

Als Spieler aber zählte für Ernst Happel nur die Leichtigkeit des Seins. Vor der WM 1954 in der Schweiz schoss er bei einem Vorbereitungsspiel in Innsbruck zur Unterhaltung der Tiroler Fußballfans ein Eigentor. Und was für eines. Beim Stand von 15:0 drehte er sich an der Strafraumgrenze um und knallte seinem eigenen Tormann den Ball genau ins Lattenkreuz. Der Tormann hieß Walter Zeman, ein alter Spezi. Begleitet wurde die Aktion mit folgenden Worten. „Was bist du? Der Tiger von Glasgow, der Panther von Budapest? Du bist des Oaschloch von Hütteldorf.“ Am Ende lachten beide ohne Ende. Der spätere Trainer Happel hätte den Spieler Ernstl wohl für alle Zeiten verbannt.

Ernst Happel ist immer ein Original geblieben. Reichtum hat ihm nie etwas bedeutet. Als er eines Tages als Tirol-Trainer im Casino Seefeld eine größere Summe verspielt hat, kommentierte er das gewohnt trocken. „Kauf ich mir halt das nächste Mal kein Paar, sondern nur einen Lackschuh.“ Seine Marotten, die lagen im Detail. Nach Holland, Belgien und Hamburg ließ er sich Fleischlaberln mitbringen, die belgischen Zigaretten (Belga) wiederum importierte er nach Österreich.

Der Urwiener hat im Fußball fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Mit Rapid eroberte er fünf Meistertitel, im Nationalteam spielte er 51 Mal, als Teamchef der Niederländer erreichte er das WM-Finale. Mit einem Schuss Glück hätte es auch WM-Gold werden können – wäre Rob Rensenbrink nicht in der 89. Minute gegen Argentinien am Holz gescheitert. Mit Feyenoord Rotterdam und dem HSV gewann Happel den Europacup der Meister. Aber Extrawürste hat es für niemanden gegeben. „Ein Spieler muss ausschließlich im Dienste von der Mannschaft stehen. Eine Biene, die keinen Honig gibt, ist wertlos“, hat er einmal gesagt. „Ich will keinen Superstar in der Mannschaft.“

Superstars vielleicht nicht, aber er hat Spieler mit dem gewissen Extra geliebt. Wie etwa Hansi Müller beim FC Tirol. „Fußball ist Improvisation, Fantasie. Solche Spieler werden prozentabel immer weniger. A Fußballer muss a gewisse Einstellung haben, an Charakter. Die Zeit ist schlecht für den Fußball. Heute gibt es für die jungen Leute zu viele andere Möglichkeiten.“ Ausgesprochen im Jahr 1989. Heute ist der Satz gültiger denn je. Nur für Ernst Happel hat immer gegolten: „Ein Tag ohne Fußball ist ein verlorener Tag.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2012)

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