Marcel Koller: "Eine Idee auf dem Platz sehen"

Macel Koller Eine Idee
Macel Koller Eine Idee(c) GEPA pictures (GEPA pictures Walter Luger)
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ÖFB-Teamchef Koller will 2013 nicht nur die "Seele" seiner Spieler streicheln, er sprichtim Interview mit der "Presse" von neuer Offensive, Gefühl und Gruppendynamik.

Die Presse: Was war für Sie das Erfreulichste im Jahr 2012? Ganz spontan, bitte.

Marcel Koller: Das Tor von Marko Arnautović gegen die Ukraine. Der ganze Angriff, der Abschluss, das war schon sehr ansehnlich. Wenn im Fußball etwas so gut passt, dann nimmt man das einfach mit. So etwas vergisst du als Trainer nicht so schnell.

Beschäftigen wir uns weniger mit der Vergangenheit, reden wir über die Zukunft. Ihre Ziele als Teamchef 2013?

Mir geht es um die Weiterentwicklung des Teams. Im technischen und im taktischen Bereich. Jetzt geht es dann irgendwann um die Kleinigkeiten. Das ist Detailarbeit. Ich will die Mannschaft noch näher zu meiner Philosophie bringen. Als ich mit meiner Arbeit begann, wollte ich zuerst die Defensive stabilisieren. Jetzt wollen wir die Offensive besser organisieren. Da geht es um Bewegungsabläufe, Automatismen. Ziel ist es, dass man das auf dem Platz sieht. Wir müssen eine Idee haben. Wenn das einmal greift, dann werden auch die Fans zufrieden sein. Aber bis das klappt, braucht man viele Wiederholungen. Dann kann man das besser abrufen. Auch in Stresssituationen. Was die Einstellung der Spieler betrifft, bin ich schon zufrieden. Leider kann man Ergebnisse nicht planen.

Sie sprechen freiwillig die WM-Qualifikation nicht an, reden auch nicht über die Endrunde in Brasilien. Sind Sie zu sehr Realist?

Die Qualifikation hat mit Ergebnissen zu tun, die können wir nicht versprechen. Natürlich hängt das auch mit Realismus zusammen – ich hatte vorher auch keine Erfahrung als Teamchef. Aber mir war klar, dass man als Teamchef vor allem eines braucht – Zeit. Wir haben vielleicht zehn Lehrgänge in einem Kalenderjahr, davon sind mindestens drei Kurzlehrgänge. Da kannst du gerade einmal ein bisschen die Seele streicheln.

Haben Sie sich in der Einschätzung des österreichischen Fußballs getäuscht?

Nein, es ist schon alles so eingetroffen, wie ich mir das gedacht habe. Ich habe gewusst, was es bedeutet, wenn ich den Vertrag beim ÖFB unterschreibe. Man muss aber klar festhalten, dass Nationalspieler grundsätzlich besser und schneller lernen. Die Bereitschaft, meine Ideen umzusetzen, ist sehr groß. Und ich denke schon, dass eigentlich alle Spieler einen Sprung nach vorn gemacht haben. Aber das Selbstvertrauen, das musst du dir eigentlich beim Klub holen.

Welche Spieler haben den größten Sprung nach vorn gemacht?

Arnautović, Junuzović. Auch Klein.

Haben Sie auch einen Spieler „verloren“, weil er Sie enttäuscht hat?

Nein.

Warum? Weil Sie ein guter Pädagoge sind?

Wir gehen doch nicht nach einer Tagesform oder Wochenverfassung. Am Beginn war es sicherlich schwieriger als jetzt, weil ich mir ein eigenes Bild von den Spielern machen wollte. Dieses Bild festigt sich dann irgendwann. Und dann kommt auch noch das Gefühl dazu: Man muss für die Spieler ein Gefühl bekommen. Das war in den ersten Monaten natürlich noch nicht da.

Sie setzen fast ausschließlich auf Legionäre. Profis, die in Österreich spielen, haben es schwer. Weil die Liga so schlecht ist?

Es geht nicht so sehr um die Qualität der Bundesliga – es geht um die Qualität der einzelnen Spieler. Mein Ziel ist es, die besten Spieler dieses Landes zu trainieren. Ich will die dabei haben, die am besten für das Team sind. Bei mir haben alle Spieler eine Chance, aber es hat sich schon etwas entwickelt. Wir sind eine Gruppe geworden. Und ich will nicht immer von vorn beginnen müssen.

Philipp Hosiner hat bereits 20 Tore erzielt. Wie viele muss er noch schießen, damit er zum Zug kommt?

Seine Tore sind natürlich ein Leistungsnachweis. Aber man muss auch dazusagen, dass international ein anderer Wind weht. Was so manches wert ist, das hat Rapid in der Europa League auch gesehen. Und die Austria hat international gar nicht gespielt. Der Kreis der Teamkandidaten ist ein bisschen größer geworden – wenn einer weiß, wo das Tor steht, dann können wir ihn natürlich brauchen!

Wenn Sie einen Neuling holen, müssen Sie auf einen Arrivierten verzichten. Ist das das Problem?

Die Spieler brauchen Vertrauen. Und es geht darum, dass wir alle einen Weg gehen. Einen gemeinsamen Weg.

In Österreich wird gern behauptet, anderswo würde mehr trainiert. Ist das auch Ihr Eindruck?

Nein, das glaube ich nicht. Der Unterschied zu Deutschland ist, dass die Kader der Erstliga-Vereine größer sind. Die Qualität ist ausgeglichener. Und dann kommt die Geschwindigkeit dazu. Und die Zweikämpfe. Junge Spieler haben im Ausland schon mehr Konkurrenz. Des Weiteren ist der Druck ein ganz ein anderer – von den Fans. Und von der Presse. Im Ausland wird einfach alles beobachtet, das müssen junge Profis erst einmal verarbeiten. Wenn die Leistung nicht stimmt, folgt sofort der drohende Finger.

Verspüren Sie Druck als Teamchef?

Ich will gut arbeiten, ich mache mir den Druck selber. Mein Ziel ist es, das Optimum aus der Mannschaft herauszuholen. Ich habe immer das Gefühl, etwas tun zu müssen. Als ich gekommen bin, hat es die eine oder andere Kritik gegeben – dabei hatte ich noch nicht einmal etwas falsch gemacht.

Tormann-Trainer Otto Konrad könnte Ihnen abhanden kommen – er liebäugelt mit der Politik (Team Stronach). Begrüßen Sie politisches Engagement?

Wenn das so ist, dann muss das der ÖFB klären.

Die Uefa hat beschlossen, die Euro2020 in Europas Metropolen auszutragen. Was halten Sie von dieser Idee?

Ich habe mich, ehrlich gesagt, damit noch nicht beschäftigt, die Uefa hat auch noch keinen genauen Plan. Aber ich habe Bedenken, dass das Flair verloren gehen könnte. Ich habe die Euro 2008 in der Schweiz und Österreich live miterlebt, das war eine tolle, sehr schöne Sache. Wenn die Holländer kommen, die Portugiesen, die Italiener – die Iren nicht zu vergessen. Die haben doch alle gemeinsam ein Fußballfest gefeiert. Es kann sein, dass dieses Euro-Fieber sich dann nur auf einzelne Städte beschränkt. Und für Fans wird das soundso schwieriger – das Reisen wird teuer.

Michel Platini denkt auch an eine Reform der Champions League, es wäre wohl ihr Ende.

Das wäre ewig schade. Ich denke, dass es in der Vergangenheit in der Europa League eine Vielzahl an wirklich interessanten Partien gegeben hat.

Stichwort interessante Partien – als bester Spieler der Welt gilt Lionel Messi. Er bricht alle Rekorde, niemand weiß, wohin das noch führt. Ist er besser als Pelé?

Seine Bewegungen und seine Schnelligkeit sind schon einmalig. Als er 20 Jahre alt war, sah ich ihn live bei der U-20-WM in Holland. Und jetzt ist er noch besser geworden. Er ist sehr zurückhaltend, ein Anti-Star – mir ist er sehr sympathisch.

Braucht ein Messi überhaupt einen Trainer?

Sicher, den braucht jeder Spieler. Auch er.

Würden Sie ihn gern trainieren? Welche Mannschaft würden Sie gern für einen Tag betreuen?

Barcelona. Aber wirklich nur für einen Tag. Es gibt aber keine Brieflose, mit denen man das gewinnen kann.

Würden Sie gern einmal Brasilien trainieren?

Jetzt vor der WM nicht. Da gibt es 144 Millionen Teamchefs. Und als Trainer bist du schnell der Trottel, bei den Ansprüchen, die ein WM-Gastgeber in Südamerika hat.

Wer darf sich Ihrer Meinung nach als stärkste Liga Europas bezeichnen?

Ich denke, die deutsche Bundesliga. Da kann der Letzte gegen den Meister gewinnen. In anderen Ländern hast du meistens nur drei, vier Topteams. Die restlichen sind dann manchmal schon Hungerbuben.

Ist Deutschland so stark nur dank Bayern München, Joachim Löw und Jürgen Klopp?

Nein, das ist schon das Gesamtpaket. Dazu kommt, dass sich deutsche Klubs zu wehren wissen. Auch in der Champions League. Zu Jürgen Klopp, der in aller Munde ist: Er ist ein Typ, er ist nicht der Trainer des nächsten Jahrhunderts. Den kann man nicht kopieren, das ist der Mensch. Aber der war ja in Mainz schon so.

Wie sind Sie eigentlich mit den österreichischen Medien zufrieden?

Ich finde die Berichterstattung über das Nationalteam o.k. Es gibt eben unterschiedliche Berichte – die einen gehen mehr in die Tiefe, die anderen haben mehr Bilder, sind oberflächlicher. Das ist in Deutschland auch so.

Sind Sie ein religiöser Mensch? Braucht das Team Hilfe von oben?

Ich bin nicht sehr religiös – aber ich gehe gern in Kirchen. Wien hat da sehr viel zu bieten.

Ihr Vorsatz für 2013?

Versuchen, gesund zu bleiben. Mein Knie, mehrmals operiert, macht Probleme. An Skifahren ist im Winter leider nicht zu denken.

Zur Person

Marcel Koller wurde am 11.November1960 in Zürich geboren. Seine gesamte Karriere als Fußballprofi spielte er für Grasshoppers Zürich, feierte insgesamt sieben Meistertitel und fünf Cupsiege. In der Schweizer Nationalmannschaft brachte es Koller auf 55 Einsätze (drei Tore) und nahm an der Europameisterschaft 1996 teil.

1997 startete Koller seine Trainerlaufbahn beim Schweizer Zweitligisten FC Wil. Nach erfolgreichem Engagement beim FC Zürich und seinem Stammklub Grasshoppers wechselte er 2003 nach Deutschland. Nach dem Abstieg mit Köln trainierte er vier Jahre lang Bochum.

Am 1.November2011 übernahm Koller das Amt des ÖFB-Teamchefs als Nachfolger des Interimstrainers Willi Ruttensteiner.Nach bislang zehn Länderspielen beläuft sich seine Bilanz auf vier Siege, zwei Unentschieden und drei Niederlagen. In der laufenden Qualifikation für die WM 2014 in Brasilien unterlag das ÖFB-Team Deutschland mit 1:2 und sammelte vier Punkte gegen Kasachstan. Damit liegt die Nationalmannschaft derzeit auf Platz vier der Gruppe C.

Privat ist Koller seit 2007 in zweiter Ehe mit einer Österreicherin verheiratet und hat mit ihr einen Sohn und eine Tochter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2012)

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