Toni Polster: "Wie vom lieben Gott gesteuert"

Die Presse (Clemens Fabry)
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Anton Polster führte Österreichs Fußball-Nationalmannschaft als Kapitän zu zwei Weltmeisterschaften. Der 51-Jährige über Koller, kurze Nächte und den Abend des 15. November 1989.

Das Nationalteam begeistert wie zuletzt in der Qualifikation zur Weltmeisterschaft 1998. Hand aufs Herz: Hätten Sie der Mannschaft einen derartigen Weg zugetraut?

Anton Polster: Nicht in dieser Form. Es hätte niemand gedacht, dass wir zwei Mal die Russen schlagen. Wer das vor der Qualifikation behauptet hätte, wäre wohl für verrückt erklärt worden. Es hat alles mitgespielt, auch als Janko verletzt war und Okotie zwei Mal das entscheidende Tor in den Heimspielen gegen Russland und Montenegro geschossen hat. Just Okotie, nach dessen Knieverletzung man nicht einmal wusste, ob er nicht ein Sportinvalide wird. Das ist ja eigentlich unglaublich, eine Geschichte, die vielleicht auch vom lieben Gott gesteuert wurde. Aber die Jungs haben es sich verdient. Sie haben die Fußballbegeisterung zurück nach Österreich gebracht.

War diese Begeisterung denn verloren gegangen?

Verloren gegangen, nein, das glaube ich nicht. Aber jetzt herrscht schon eine spezielle Euphorie, die über das normale Maß der Dinge hinausgeht.

Die Mannschaft hat in den vergangenen Qualifikationen und Jahren viel an Erfahrung gewonnen, eine Endrunde aber ist Neuland. Sie haben Österreich bei zwei Weltmeisterschaften (1990, 1998) als Kapitän auf das Feld geführt. Was erwartet das Team in Frankreich?

Eine Situation, die sie noch nie vorher erlebt haben. Die meisten Spieler haben nach einer Saison zwischen 40 und 60 Spiele in den Beinen, der Kopf ist eigentlich urlaubsreif. Nach einer kurzen Pause fängst du dann mit einer Mini-Vorbereitung für dieses Großereignis an – und in genau diesem Punkt sind uns alle Nationen, die diese Situation alle zwei Jahre erleben, voraus. Man glaubt das nicht, aber es ist wirklich schwierig. Wenn der Kopf müde ist, dann rennen die Beine nicht mehr so, wie sie sollen.

Wie beurteilen Sie die Arbeit von Teamchef Marcel Koller?

Er hat eine Mannschaft aus Spielern zusammengestellt, denen er vertraut, in guten wie in schlechten Zeiten. Die Spieler danken es ihm mit guten Leistungen; wie zum Beispiel Robert Almer. Ein Tormann ohne Spielpraxis bei seinem Verein – das geht normal nie gut, das hätte wahrscheinlich nicht einmal Koller selbst zu träumen gewagt. Ich bin weit davon entfernt Kollers Leistung zu schmälern und zu behaupten, dass es jeder so hingebracht hätte. Das ist nicht richtig. Es ist schwierig, eine Mannschaft zu führen und alle Spieler in dieselbe Richtung zu leiten. Das hat er geschafft.

Auch Marko Arnautović hat er stets vertraut und ihm den richtigen Weg gewiesen.

Jede Mannschaft hat einen Narrischen, aber es muss immer im Rahmen bleiben. Wenn ein paar positive Charaktere aufeinandertreffen, dann pushen sich diese gegenseitig hoch. Negative Typen, bei denen schon die Körpersprache nicht passt, können eine ganze Mannschaft hinunterziehen. Deswegen wird die Rolle des Trainers oftmals unterschätzt. Er muss ein Gefühl für diese Dinge entwickeln, sie ausloten und die richtigen Entscheidungen treffen. Aber was Arnautović betrifft . . .

. . . kann man bei einem 26-Jährigen nicht mehr von einem Talent sprechen. Müsste er ob seines Könnens nicht noch mehr zeigen?

Ich schaue Arnautović gerne zu, weil er den Ball wie ein rohes Ei behandelt, fantastisch spielen kann. Aber unterm Strich müsste bei ihm mehr herauskommen, ja. Mehr Assists, mehr Tore. Und deswegen spielt er nicht bei Real Madrid, sondern bei Stoke City.

Wie lässt sich die heutige ÖFB-Generation charakterisieren?

Das ist eine Generation, die sich mit dem Erreichten nicht zufrieden gibt. Die meisten haben den Sprung ins Ausland geschafft, sich dort weiterentwickelt. Spieler wie Dragović haben ganz große Schritte gemacht.

Der Toni Polster von heute heißt Marc Janko. Ein würdiger Nachfolger als Mittelstürmer?

Er hat ein Näschen, den richtigen Riecher, aber bei manchen seiner Vereine hat er nicht gespielt. Warum und wieso ist mir eigentlich ein Rätsel. Am Können kann es nicht liegen. Aber wie bei Almer hat Koller auch Janko immer vertraut – und auch das war ein Tanz auf der Rasierklinge.

Sie selbst haben im ÖFB-Team Höhen wie Tiefen erfahren. 1989 wurden Sie vor dem 3:0 gegen die DDR im Praterstadion von den eigenen Fans gnadenlos ausgepfiffen, nach ihren drei Toren wie ein Nationalheld gefeiert. Welche Erinnerungen haben Sie an den 15. November 1989?

Sehr lebendige. Es ist so, als wäre es gestern gewesen. Das war der schwärzeste und vielleicht auch der glücklichste Tag in meinem Leben, da ist alles zusammengekommen. Ich war zu dieser Zeit das Aushängeschild des österreichischen Fußballs und habe im Nationalteam die Erwartungen teilweise nicht erfüllt. Vielleicht war ich damals noch nicht reif genug, vielleicht war es auch die Mannschaft nicht. Dieser Abend war eine reine Hochschaubahn, er hat mich geprägt. Ich wusste genau: Ich habe ein Stück Fußballgeschichte geschrieben.

Sowohl 1990 als auch 1998 scheiterte Österreich in der Gruppenphase. Wie lange trauert ein Fußballer diesen Chancen nach?

1998 tut immer noch weh, da hätten wir es schaffen müssen. 1990 waren wir zu unreif. Aber wenn du die Vorrunde überstehen willst, muss alles zusammenpassen. Bei uns war das nicht der Fall. Feiersinger, Herzog und Cerny waren vor der WM lange Zeit verletzt, Herzog und Cerny sind folglich unter den Erwartungen geblieben. Natürlich hat es nicht nur daran gelegen, aber man hat gesehen, wie schnell es gehen kann. Auch der zweite Anzug muss perfekt passen, das hat er bei uns nicht.

Die Qualifikation für die WM 1998 ist für viele Fußballfans genauso unvergessen wie die Bilder, auf welchen Teamchef Herbert Prohaska auf Händen durch das Stadion getragen wird. Was passierte in den Minuten und Stunden danach?

Der Teamchef wurde von einigen Spielern geduscht. Ich war nicht dabei, aber er hat mich angeblich trotzdem gesehen, das verstehe ich bis heute nicht.

(Lacht.)

Später sind wir als Mannschaft ins Noodles zum Bender Kurtl Abendessen gegangen, danach ging es weiter ins Queen Anne und ins Jack Daniel's. Eine kurze Nacht.

Nicht die einzige kurze Nacht, oder?

Es gab viele kurze Nächte, weil wir ja viel gewonnen haben.

(Lacht.)

Zu unserer Zeit konnte man mal auch einen über den Durst trinken, ohne dass es jeder wusste.

Handyfotos und Social Media haben alles auf den Kopf gestellt. Ist das nicht ein herber Verlust der Privatsphäre?

Ja, das ist es. Aber die Spieler leben diese Entwicklung ja mit. Der Voyeurismus mancher Leute stört mich ohnehin. Jedes Essen, jede Kleinigkeit wird ins Netz gestellt. Muss das wirklich sein? Sind wir alle total verblödet?

Sie sind also froh, in einer analogen Welt Fußballprofi gewesen zu sein?

Klar. Das Feiern gehört ja auch dazu.

Wie hat sich der Erfolg mit der Nationalmannschaft finanziell niedergeschlagen?

Ich weiß ehrlich nicht mehr, wie hoch die Prämien waren, aber reich sind wir nicht geworden. Im Nationalteam war nicht viel Geld zu verdienen. Das ist heute wahrscheinlicher besser.

Dafür waren Sie ungeheuer populär.

1997 bin ich in Österreich Fußballer des Jahres und Sportler des Jahres geworden. Ein schönes Gefühl, weil ich lange genug Prügel einstecken musste. Ich hätte 1989 zurücktreten können, aber dann hätte ich 1990 und 1998 nicht erlebt. Ich wusste also, wofür ich das alles gemacht hatte.

Bei welchem Klub haben Sie rückblickend Ihre beste Zeit erlebt?

Sevilla und Köln. In Köln tragen sie mich heute noch auf Händen, wenn ich zu ihnen komme. Das ist eine andere Form der Wertschätzung.

Sie waren auch Musiker, Ihr Hit mit den Thekenschlampen ist unvergessen. Werden Sie für die EM ein Stück beisteuern?

Nein, ich singe nicht mehr. Und zwar aus einem einfachen Grund: Ich habe keine Lust, den Radiostationen in den Hintern zu kriechen, damit sie meine Lieder spielen. Punkt. Aus. Was ich gemacht habe, war super erfolgreich, aber mit diesem Kapitel habe ich abgeschlossen. Mein Fokus liegt auf dem Trainerjob. Irgendwann werde ich beweisen, dass ich ein guter Trainer bin.

Warum ist Ihnen das bei Ihrem kurzen Engagement bei der Admira nicht gelungen?

Admira war ein lehrreicher Prozess, mit vielen unehrlichen Leuten und Enttäuschungen. Manchmal frage ich mich wirklich, nach welchen Kriterien Bundesligaklubs ihre Trainer aussuchen. Das ist ja unglaublich. Selbst wenn ich nicht mehr die Möglichkeit bekommen sollte, mich in der Bundesliga zu beweisen, werde ich trotzdem ein glücklicher Mensch sein. Die Erfolge sprechen sowieso für mich, mehr geht in fünfeinhalb Jahren nicht. Ich werde meinen Weg weitergehen, solange es mir Spaß machen. Wenn es mir von heute auf morgen keinen Spaß mehr macht, höre ich auf.

Gibt es in Ihrem Hinterkopf die Vision, irgendwann das ÖFB-Team zu trainieren?

Ich bin vom ÖFB bislang noch nicht einmal gefragt worden, ob ich eine Nachwuchsauswahl trainieren möchte. Dann werden sie mich vermutlich auch nicht fragen, ob ich Teamchef werden möchte . . .

Steckbrief

1964
wird Anton Polster in Wien geboren.
1973
spielte er erstmals in der Jugend der Wiener Austria.
1984
wird Polster mit Austria Meister, es folgen bis 1986 noch zwei weitere Titel.
1987
schoss er 39 Tore, der „Goldene Schuh“ war ihm gewiss. Doch der Rumäne Rodion C?m?taru wollte 44 Treffer geschossen haben – erst 2007 wurde Polster nachträglich die Trophäe übergeben.
1998
führte er Österreich zum zweiten Mal nach 1990 als Kapitän zu einer Fußball-WM.
2000
beendete Polster nach Stationen bei Torino, FC Sevilla, Logroñés, Vallecano, Köln, Gladbach und Salzburg die Karriere.
2005
war er Teammanager der Austria, nur wenige Monate später aber entlassen.
2013
wird Polster, der sich zuvor bei LASK Juniors (Aufstieg in Regionalliga) und Wiener Viktoria (Aufstieg, Toto-Cupsieg) seine Trainersporen verdient hat, von Admira nach nur drei Runden entlassen.
2015
trainiert der ehemalige Goalgetter wieder den Stadtligisten Viktoria. Er schoss 359 Tore, spielte 95 Mal für Österreich, war Sportler des Jahres (1997) und zweimal Fußballer des Jahres (1986, 1997).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2015)

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