Rapid-Prozess: „Und wo sind die Austrianer“?

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Unerwartet ruhiger Auftakt im Prozess gegen 86 Rapid-Fans: Diese hatten im Mai 2009 am Westbahnhof die von einem Auswärtsmatch heimkehrenden Austrianer „abgeholt“, wo es zu Zusammenstößen mit der Polizei kam.

Wien. Gleich zwei Checkpoints mussten Montag in der Früh all jene passieren, die zum Rapid-Prozess in den Großen Schwurgerichtssaal des Grauen Hauses (Straflandesgericht Wien) wollten. Das Sicherheitspersonal war eigens aufgestockt worden. Vor und im Saal war Polizei postiert. Und dann das: In gedämpft-ruhiger Stimmung, fotoscheu (mit Aktenordnern vor den Gesichtern), ganz ohne Anhang (lautstarker) Sympathisanten nahmen die ersten 30 von insgesamt 86 Angeklagten auf namentlich markierten Sesseln vor Richterin Martina Frank Platz.  Der kollektive Vorwurf: Landfriedensbruch.
Geladen waren eigentlich 32 Beschuldigte – ein Gutteil davon laut Anklage mutmaßliche „Rädelsführer“. Zwei Männer waren dem Prozessauftakt ferngeblieben. Außer Landfriedensbruch (Zusammenrottung einer Menschenmenge mit dem Ziel, Gewalttaten zu begehen) müssen einzelne Rapid-Fans auch versuchte Körperverletzung, versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt oder schwere Sachbeschädigung verantworten. Die erste, 30-köpfige Gruppe bekannte sich nun wie erwartet geschlossen „nicht schuldig“.
Grund für die ungewöhnliche Anklage: Das „Abholen“ von Anhängern des „gegnerischen“ Klubs, des Stadtrivalen FK Austria Wien, vom Westbahnhof. Am 21. Mai 2009 waren um die 170 Rapidler auf das Bahnhofsgelände marschiert, wo es zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei kam. Das Motiv für diese Aktion ist offenkundig auch Staatsanwältin Dagmar Pulker noch nicht ganz klar, sagte diese doch: „Das genaue Motiv wird sich im Laufe des Verfahrens noch herausstellen.“ Dies wird aber von Beobachtern bezweifelt. Das Gericht wird sich wohl mit den bisher genannten Gründen, „Wir wollten Flagge zeigen“, „Wir wollten präsent sein, wenn die Austrianer ankommen“, begnügen müssen.

Anklage inhaltlich vage

Auch inhaltlich bleibt die Anklage in Sachen Landfriedensbruch eher vage. Obgleich jedem einzelnen Beschuldigten eine wissentliche Teilnahme an einer auf Gewalttaten abzielenden Zusammenrottung nachgewiesen werden müsste, wird genau dies ohne Angabe konkreter Tathandlungen in den Raum gestellt: „Sämtliche Angeklagte nahmen wissentlich und aus freiem Willen an der Zusammenrottung teil.“
Insofern erklärte Anwalt Johannes Schmidt, Polizei und Staatsanwaltschaft hätten „nicht anständig ermittelt“. Und: „Mir kommt das vor wie eine Hexenverfolgung.“ Auch frage er sich, wo die Austria-Fans geblieben seien: „Mich wundert, dass kein einziger Austrianer hier sitzt.“ Immerhin hätten sich auch diese damals am Westbahnhof als durchaus resolut präsentiert. Was die Verteidigerriege sonst noch sagte, war praktisch nicht zu verstehen. Die gewohnt schlechte Akustik im Saal sorgte zwar für viel Widerhall, aber die Worte selbst blieben so gut wie unhörbar. Nicht zuletzt deshalb, weil ein bereitliegendes Mikrofon anfänglich noch weitergereicht wurde; so lange, bis es einfach beiseite gelegt wurde – da es ohnedies nicht eingeschaltet war.
Aufzuschnappen war noch, dass der Sachschaden, den die ÖBB nach den Ausschreitungen mit 6500 Euro beziffert hatte, zu hoch angesetzt sei. Der Betrag enthalte etwa auch eine „Schadenserhebungspauschale“.

Motiv: „Fangesänge singen“

Anwalt Werner Tomanek bemängelte, dass kurzerhand einfach all jene Rapidler angeklagt worden seien, die aufgrund der Bilder der Bahnhof-Überwachungskameras identifiziert werden konnten. Gerade die offenbar radikaleren Fans, nämlich jene, die damals maskiert aufgetreten waren, konnten nicht ausgeforscht und damit auch nicht angeklagt werden.
Indessen versuchte Richterin Martina Frank mit schlichten Fragen, die oft mit dem charmant vorgetragenen Wörtchen „gell“ endeten, die Motive der Angeklagten auszuleuchten. Wenig überraschend wurde nur von „Neugier“, „Flaggezeigen“, „Fangesänge singen“ gesprochen. Ein Beschuldigter, ein 47-jähriger zweifacher Familienvater, nannte den Aufmarsch „Demonstration“. Richterin: „Wogegen?“ Antwort: „Gegen die Austria!“ Auf den Vorhalt, dass doch am Vorabend ein Rapidler in der Wiener Innenstadt niedergeschlagen worden sei – und das „Abholen“ der Austrianer deshalb als Vergeltungsschlag gemeint gewesen sein könnte, antwortete der Mann in wohl gesetzten Worten: „Man muss sich ja nicht auf dieses Niveau herabbegeben. Man kann seine Meinung ja auch mit Worten kundtun.“ Ein vielfaches Schmunzeln war ihm sicher.
Heute, Dienstag, wird die Verhandlung fortgesetzt. Die Urteile werden frühestens im Jänner 2012 gefällt.

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