Die Rückkehr der Hooligans

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Die Ausschreitungen in Marseille erinnern an Skandale der WM 1998 in Frankreich. Ein 37-jähriger Wiener wurde festgenommen. Frankreich plant ein Alkoholverbot.

Die Freude über den Start der Fußball-EM ist schon nach dem ersten Wochenende wieder passé. Ausschreitungen in Marseille ließen Tore und Stars schnell vergessen. Bilder flüchtender, über Stadionzäune kletternder Fans, vermummter Angreifer und mit Tränengas vorgehender Polizisten vermittelten nicht den Eindruck eines Sportfestes. Sie zeigen aber das Versagen von Ordnungs- und Sicherheitskräften. Und sie dokumentieren, dass eine Spezies Mensch, von der man glücklicherweise lang nichts gehört hat, doch noch existiert: Hooligans.

Rund um das Spiel Russland gegen England hat 35 Verletzte gegeben, vier davon schwer, ein Brite schwebt in Lebensgefahr. Es hat zehn Festnahmen gegeben – der Sprecher des französischen Innenministeriums, Pierre-Henry Brandet, bestätigt in diesem Zusammenhang auch die Verhaftung eines Österreichers und eines Deutschen. Innen- und Außenministerium bestätigten, die Festnahme des 37-jährigen Wieners Sonntagabend. Es gibt jedoch keine Informationen darüber, ob er sich noch in Haft befindet. Auch vor dem Spiel zwischen Deutschland und der Ukraine im französischen Lille haben rund 50 Deutsche Sonntagabend mehrere ukrainische Fans angegriffen.

70.000 Engländer in Marseille

Bei der Fußball-WM 1998 in Frankreich hatten Engländer und Deutsche eine Spur der Verwüstung durch das Land gezogen. Erinnerlich sind Szenen aus Lens, damals haben Deutsche einen Polizisten, der bewusstlos auf dem Boden gelegen ist, weiter attackiert. Gendarm David Nivel, 61, hat diesen Angriff überlebt. Als Geste der Wiedergutmachung hat ihn Deutschland am Sonntag zum Spiel gegen die Ukraine ins Stadion eingeladen.

Die Wurzeln der Ausschreitungen von Marseille reichen jedenfalls bis 1998 zurück. Damals sind Engländer mit Algeriern und Tunesiern im Alten Hafen aneinandergeraten; nun lässt ihre Rückkehr darauf schließen, dass es ein Racheakt gewesen sein könnte. 70.000 Briten waren Schätzungen zufolge am Sonntag in der Mittelmeer-Metropole, ins Stade Vélodrome passen 67.000, England hat aber nur 30.000 Tickets erhalten.

Im Stadion sind Feuerwerkskörper geflogen, das gilt gemeinhin als Versagen des Ordnerdienstes. Dass Russen den neutralen Sektor stürmen konnten, ist alarmierend. Die Fußball-Union Uefa gestand am Sonntag, „dass es Probleme gab, englische und russische Fans entsprechend zu trennen“. Nun werden die Sicherheitsmaßnahmen verschärft, der Schwerpunkt wird ausgeweitet. Nicht mehr nur mögliche Terroranschläge stehen im Blickpunkt, von nun an auch Ausschreitungen dieser Art.

Vier weitere „Hochsicherheitsspiele“

Frankreichs Innenminister, Bernard Cazeneuve, verurteilte das Geschehen als „unverantwortliches, mutwilliges Verhalten von Pseudo-Fans“. Doch er muss sich der Kritik stellen, dass die Sicherheitskräfte für eines von fünf sogenannten Hochsicherheitsspielen nicht richtig postiert bzw. ausgerüstet waren. Somit sind weitere Ausschreitungen – bei just zeitgleichen Events – zu befürchten: bei Spielen der Engländer in Lens (16. Juni, gegen Wales) und St. Etienne (21. Juni, Slowakei). Die Partie Ukraine gegen Polen (21. Juni, Marseille) gilt als „heikel“, auch das Spiel der Polen gegen Deutschland (16.Juni). Das ebenfalls als „gefährlich“ eingestufte Spiel Türkei gegen Kroatien verlief am Sonntag ohne größere Vorfälle – bis auf den Torjubel, der von einem auf den Rasen stürmenden Fan gestört wurde, weil die Ordner den Eindringling übersehen hatten.

Um weiteren Ausschreitungen entgegenzuwirken plant Cazeneuve nun in den Spielorten ein Alkoholverbot. Es soll am Tag des Spieles sowie am Vortag gelten. Er werde die Polizeichefs in den neun Gastgeberstädten anweisen, alle Maßnahmen durchzuführen, um den Verkauf, den Konsum und den Transport von alkoholischen Getränken zu verhindern.

Charleroi 2000 und Polen 2014

Woher rührt nun diese Gewaltbereitschaft? Solche Szenen kannte man von Katastrophen im Heysel-Stadion (29. Mai 1985, 39 Tote), in Hillsborough (15. April 1989, 96 Tote; Versagen der Polizei- und des Ordnerdienstes) oder der EM 2000 in Charleroi. Es waren stets Engländer darin verwickelt, deren Hooligan-Problem in der Premier League aber seit Jahren als „gelöst“ galt, wegen teurer Ticketpreise und der namentlichen Registrierung bei Klubs. Im Fall der Russen sind Vorfälle von der EM 2012 bekannt, es hat in Polen mehrere Schlägereien mit den Gastgebern gegeben. Vorfälle aus der russischen Liga gehören aber ebenfalls der Vergangenheit an.

Ansätze, die bei dieser EM eigentlich auch gelten sollten, jedoch eine Illusion geblieben sind, betreffen den Ticketverkauf. Der Schwarzmarkt blüht in Frankreich, selbst knapp vor Anpfiff waren in Marseille noch Karten zu erwerben, berichtet ein Deutscher der „Presse“. Und: „Egal für welchen Sektor!“

Ausschluss, Geldstrafe, Geisterspiel

Europas Fußball-Union hat ein Urteil für Dienstag angekündigt, ermittelt aber nur gegen Russland (wie schon bei der EM 2012 wegen Fanvergehen), weil das Gros der Vorfälle im Stadion – nur hier liegt der Uefa-Geltungsbereich – zulasten des Gastgebers der WM 2018 geht. Die Regularien sehen Maßnahmen von einer Ermahnung bis zum Ausschluss vor. Zumeist werden Geldstrafen verhängt. Geisterspiele, wie sie für mögliche Terrordrohungen angedacht wurden, stehen ebenso zur Disposition.

Beide Verbände wurden am Sonntag von der Uefa bereits verwarnt, teilte das Exekutivkomitee mit. Bei einer Wiederholung wird die Ausschlussdrohung real. Grundlage dafür ist Artikel 65 der Statuten, nach dem das Exekutivkomitee „nach Recht und Billigkeit“ entsprechende Strafen verhängen kann.

Für England ist das allerdings nichts Neues, bereits bei der EM 2000 war dem FA-Verband so ein Beschluss zugestellt worden. Es herrscht Unruhe im „Mutterland des Fußballs“. Fußball-Ikone Gary Lineker twitterte: „Was ist bloß los mit euch? Ihr seid eine Peinlichkeit für euer Land.“

DIE FOLGEN

Ein Österreicher, 37, wurde bei den Randalen in Marseille neben neun weiteren Hooligans verhaftet. Das bestätigte Frankreichs Innenministerium.

Das Exekutiv-Komitee der Fußball-Union hat England und Russland bereits verwarnt. Im Wiederholungsfall droht der EM-Ausschluss.

Dass der Verkauf auf dem Schwarzmarkt ein Problem ist – Tickets waren ungeachtet der Nationalität für jeden Sektor erhältlich –, ist unbeantwortet geblieben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2016)

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