Analyse nach EM-Aus: Die unangenehme Suche nach Antworten

SOCCER - UEFA EURO 2016, ISL vs AUT
SOCCER - UEFA EURO 2016, ISL vs AUT(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Christian Ort)
  • Drucken

Das enttäuschende Abschneiden des österreichischen Nationalteams bei der Fußball-EM in Frankreich wirft viele Fragen auf. Teamchef Marcel Koller sieht kein Selbstverschulden.

Fassungslosigkeit. Entsetzen. Tristesse. Österreichs Scheitern bei der Fußball-EM in Frankreich hat bei allen Spielern sichtbare Spuren hinterlassen. Stefan Ilsanker bezeichnete die Gemütslage sogar als „beschissen“, Torschütze Alessandro Schöpf konnte unmittelbar nach dem 1:2 gegen Island Mittwochabend im Pariser Stade de France seine Tränen der Enttäuschung nicht verbergen. Viele redeten sich wenig später in der Mixed Zone den Frust von der Seele, andere wie Marc Janko oder Marko Arnautović flüchteten kommentarlos. „Ich verspüre Wut und Leere. Wir haben bei dieser EM von Beginn weg nicht gezeigt, was wir können“, sagte Torhüter Robert Almer, Österreichs Bester in den vergangenen eineinhalb Wochen.

Sieben Monate sind vor dem Auftaktspiel gegen Ungarn vergangenen, seit sich Österreich mit einem 4:1 in Schweden für die Endrunde qualifiziert hat. Diese Mannschaft hat Hoffnungen geschürt, für Begeisterung gesorgt, Massen bewegt, auch in Frankreich. Niemand wollte aus diesem Traum je wieder erwachen.

Hoch geflogen, tief gefallen

Die Sehnsucht nach weiteren Erfolgen war groß, doch wer hoch fliegt, der läuft unweigerlich Gefahr, tief zu fallen. Auf den Fußballplätzen von Bordeaux, Paris und Saint-Denis holte die bitterböse Realität Österreichs Fußball ein, die niemand so recht wahrhaben wollte: Gruppenletzter, ein Punkt, ein Tor. Unter den 24 teilnehmenden Nationen war einzig die Bilanz der Ukraine (null Punkte, null Tore) noch dürftiger. Die erste logische Erkenntnis: Eine einzige gute Halbzeit in drei Spielen berechtigt nicht dazu, bei einer Europameisterschaft weiter mitwirken zu dürfen.

Erst in den letzten 45 Minuten dieses Turniers hatte Österreichs Nationalmannschaft endlich Fußball gespielt, Erinnerungen an die Qualifikation hervorgerufen. Es schien, als hätte das drohende Aus zur Halbzeit eine befreiende Wirkung auf die Spieler gehabt, als hätten sie – so kurios es auch klingen mag – keinen Druck mehr verspürt. „Wir konnten nichts mehr verlieren“, meinte Teamchef Koller, getreu dem Motto: „Entweder wir machen das Unmögliche möglich oder wir gehen unter.“

Koller wird sich in den kommenden Wochen auf Spurensuche begeben. Es gilt, das Geschehene aufzuarbeiten, auf die vielen Fragen Antworten zu finden. Noch hat er diese nicht. „War es die Nervosität, die Erwartungshaltung?“

Der Schweizer appellierte jedenfalls an seine Spieler („Jeder soll in sich gehen, ich bin als Trainer abhängig von ihnen“), muss sich gewiss aber auch selbst hinterfragen. Warum etwa vertraute er Schöpf, der sich in den vergangenen Wochen als einer der wenigen ganz offensichtlich in guter Form befand, nicht schon viel früher?

Wieso wagte der Zürcher gegen Island in der ersten Halbzeit das Experiment des 3-5-2-Systems, das in einem Pflichtspiel noch nie erprobt wurde? Der 55-Jährige wies jegliche Kritik von sich: „Ein System hat noch nie ein Spiel gewonnen oder verloren, die Spieler füllen das System aus. Und es gab niemanden, der mir gesagt hat: Mit diesen elf Spielern gewinnen wir.“

Transfers im Hinterkopf

Es bleibt ein bislang ungelöstes Rätsel, warum Österreichs beste Fußballer bei diesem Großereignis nervöser waren als ihre Kollegen aus Island oder Ungarn, die über weitaus weniger Erfahrung auf internationalem Niveau verfügen.

Ganz bestimmt waren die eigenen Ansprüche hoch, wahrscheinlich zu hoch. Spieler wie etwa Aleksandar Dragović, Martin Harnik oder Florian Klein wollten diese Euro insgeheim auch als Bühne nutzen, um sich im Sommer für einen Transfer zu empfehlen. Auch so entstand unterbewusst zusätzlicher Druck. „Die Lockerheit ging verloren“, sagte Koller, der auf die hartnäckigen Formtiefs mancher Akteure nur bedingt reagieren konnte. „Wir sind immer noch Österreich und nicht Spanien, Deutschland oder Frankreich. Wir haben keine 40 oder 50 Spieler, die auf diesem Level spielen können. Wenn zwei, drei Spieler ihr Können nicht umsetzen, dann wird es schon schwierig.“

Österreichs Nationalspieler verabschiedeten sich Donnerstagabend nach der Heimkehr in den Urlaub, „den keiner will“ (Zitat Sebastian Prödl). Das nächste Wiedersehen gibt es erst in knapp zwei Monaten, wenn das ÖFB-Team in Georgien in die WM-Qualifikation startet. Spätestens dann sollten auf alle Fragen die passenden Antworten gefunden sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.