Briten-Fluch Penaltyschießen: Die Elfmeter der Engländer

(c) APA/AFP/PAUL ELLIS
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England ist vor dem Spiel gegen Island höchst verunsichert: Brexit-Wirbel daheim und das Turnier in Frankreich ist für die Briten wieder am so besonders heiklen Punkt angelangt.

Paris. Spielt England bei einem Turnier mit, wartet man zuerst auf große Sprüche. Anschließend auf wirklich haarsträubende Torhüterpatzer und allerspätestens mit dem Start der K.-o.-Phase auf ein Drama im Elfmeterschießen. Die Three Lions scheinen darauf abonniert, und wenn die Mannschaft von Roy Hodgson Pech hat, blüht ihr das bereits heute gegen Island.

Bislang gab es bei Fußball-Europameisterschaften 15 Entscheidungen vom Elfmeterpunkt, allein vier 1996 in England. Die beste Bilanz weist der dreimalige Europameister Spanien mit drei Siegen in vier Anläufen auf. Am schlechtesten schneiden Engländer ab mit einem Sieg und drei Niederlagen. Die Kicker aus dem Mutterland des Fußballs scheiterten bei drei der jüngsten vier Teilnahmen beim Vorstoß in die nächste Runde immer im Penaltyschießen.

2012, im Viertelfinale gegen Italien, waren Ashley Young und Ashley Cole die Leidtragenden, 2004 in Portugal – ebenfalls in der Runde der letzten acht – drosch David Beckham (s. Bild) seinen Elfer über das Tor. Darius Vassells Versuch wurde von Ricardo pariert.

Ab zum Psychologen!

Auch 1996 im eigenen Land musste England im Viertelfinale ins Elferschießen. Alan Shearer, David Platt, Stuart Pearce, Paul Gascoigne – sie alle trafen im Wembley-Stadion. Zwei Spanier verschossen. England im Halbfinale, aber war damit das Penaltydrama überstanden? Weit gefehlt! In der Vorschlussrunde kam es gegen Deutschland neuerlich zur Entscheidung vom Elferpunkt. Bei je sechs Schützen brachte einzig Gareth Southgate den Ball nicht im Tor unter. 2012 folgte im Viertelfinale Teil drei der Tragödie. Gegen Italien scheiterten Ashley Young und Ashley Cole – das sechste Penalty-Aus für England bei einer EM oder WM war Tatsache.

Es ist ein psychologisches Phänomen, die Analyse des englischen Fußball-Dramas aber würde Bibliotheken füllen. Der norwegische Sportpsychologe Geir Jordet schien aber im „Spiegel“ einst eine ziemlich passable Erklärung zu haben: „Je mehr hochdekorierte und mit internationalen Titeln verwöhnte Spieler im Kader sind, desto mieser schneidet die Mannschaft im Elfmeterschießen ab.“ Auf Superstars würde ein weitaus größerer Druck lasten, die Angst bzw. die Scham, beim Strafstoß zu versagen, weckt bei Ausnahmekönnern eher Versagensängste denn bei Ersatzspielern. „Elfmeterschießen ist der extremste Fall von Leistungsdruck im Fußball, wenn nicht gar im ganzen Sport.“

Flucht, Schuss, Stress?

Wenn Stars, im ÖFB-Team hatte etwa David Alaba im Spiel gegen Island abgelehnt, abwinken, sei das in Wahrheit der größte Gewinn – Selbsteinsicht, vor allem zu diesem Zeitpunkt, bedingt menschliche Größe, oder zumindest das richtige Maß an Selbsteinschätzung.

Würden Spieler Eile zeigen beim Ballauflegen, sei es laut Jordet „Fluchtverhalten“. Jeder wolle Stresssituationen so schnell wie möglich hinter sich bringen. Bei den Engländern kommt dann aber noch ein weiterer, sozialer Aspekt hinzu: Häme. Spieler, die einen Elfer verschossen hätten, würden diesen Fehltritt ihr Leben lang nicht vergessen. Wie auch? Presse und Fans erinnerten sie bei jeder Gelegenheit daran . . . (fin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2016)

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