"Italien ist nicht nur Catenaccio"

(c) REUTERS (Darren Staples)
  • Drucken

Die Squadra Azzurra überzeugte beim 2:0-Sieg über Spanien mit taktischer Finesse und offensiver Ausrichtung. Deutschland ist für das Viertelfinalduell mit dem Angstgegner gewarnt.

St. Denis/Evian. Es zählt zu den italienischen Stärken, dann groß aufzuspielen, wenn es niemand erwartet. Als überaltert und untalentiert ist die Squadra Azzurra vor Turnierbeginn geschmäht worden, mit der Galavorstellung gegen Spanien wurden nun auch die schärfsten Kritiker belehrt. Der souveräne 2:0-Erfolg war zudem eine Kampfansage an den nächsten Gegner. Im Viertelfinale am Samstag in Bordeaux wartet niemand Geringerer als Weltmeister Deutschland, für viele ist es das vorweggenommene Finale. „Wir brauchen eine titanische Leistung“, meinte Teamchef Antonio Conte, dessen Mannschaft gezeigt hat, dass sie zu einer solchen absolut fähig ist.

Nicht mit dem gefürchteten, destruktiven Catenaccio kamen die Italiener gegen die ballsicheren Iberer zum Erfolg, vielmehr überzeugten sie mit schnellem direkten Offensivfußball aus einer sicheren Abwehr. Das Rezept war ebenso simpel wie erfolgreich: Die Dreierkette spielte den Ball an einen auf Mittelhöhe postierten Außenspieler, der direkt und hoch auf Stoßstürmer Pelle weiterleitete. Der Southampton-Legionär ließ prallen und schuf Raum und Zeit für die nachrückenden Kollegen. Italien fand etliche Chancen vor, wenngleich die beiden Tore letztlich nach einem Freistoß bzw. einem Konter in der Nachspielzeit fielen.

Idee schlägt Talent

Das gewohnte Pressing und Kombinationsspiel der Spanier war damit ausgehebelt, sie bekamen erst spät Zugriff auf das Spiel, als Tempo und Laufpensum bei Italien bereits ihren Tribut forderten. „Ich wusste, dass es so kommen würde. Die Idee schlägt das Talent“, erklärte ein überglücklicher Conte nach der Partie. „Eine großartige Leistung. Wir haben bewiesen, dass Italien nicht nur Catenaccio ist, sondern wir eine Mannschaft haben, die auch Fußball spielt.“

Auch in der Heimat war der Jubel groß. „Azzurri im Paradies“, schrieb der „Corriere della Sera“, und die „Gazzetta dello Sport“ war überzeugt: „Jetzt dürfen wir träumen.“ Für die Spieler ist der Trainer der Vater des Erfolges. „Conte ist ein Maestro“, schwärmte Torschütze Giorgio Chiellini, und Kollege Leonardo Bonucci führte aus: „Wir sind eine Nationalelf ohne große Talente, also mussten wir eine Mannschaft formen und darin ist Antonio Conte Meister.“

Nach der EM wird der 46-Jährige zu Chelsea wechseln, zuvor will er seinen Abschied krönen. Mit dem Sieg revanchierten sich die Italiener bei Spanien für die letzten EM-Ausscheidungen, 2008 hatten sie im Viertelfinale im Elfmeterschießen, 2012 im Finale mit 0:4 verloren. „Das ist erst der Anfang, wir haben noch einen langen Weg zu gehen“, betonte Chiellini.

Löw: „Kein Italien-Trauma“

Nun wartet Deutschland und Conte übte sich trotz der starken Leistung in Understatement. „Wir bekommen es mit der besten Mannschaft bei dieser EM zu tun. Es ist klar, dass sie der Favorit sind. Es wird ganz, ganz schwer“, sagte der Teamchef, den Personalsorgen im Mittelfeld quälen. Daniele de Rossi droht wegen einer Hüftverletzung auszufallen, Ersatzmann Thiago Motta ist gesperrt.

Italien hat jedenfalls Psychologie und Statistik auf seiner Seite, ist der deutsche Angstgegner schlechthin: Das DFB-Team konnte von acht Pflichtspielduellen bei Endrunden (drei EM, fünf WM) keines gewinnen. „Wir haben kein Italien-Trauma. Die Vergangenheit ist kalter Kaffee“, beschwichtigte Joachim Löw. Selbstvertrauen holte sich seine Mannschaft mit einem 4:1-Testsieg im März – der erste deutsche Sieg seit über 20 Jahren.

Löw hat die Partie gegen Spanien genau verfolgt, zollt der Entwicklung der Italiener unter Conte großen Respekt. „Er hat erkannt, dass man mit Catenaccio allein kein Turnier gewinnt“, sagte der 56-Jährige. Für Samstag erwartet er ein enges Spiel auf Augenhöhe. „Ich glaube, dass die beiden bisher besten Mannschaften des Turniers jetzt gegeneinander spielen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.