Im Strafraum: Rote Karte für die Ukraine

(c) REUTERS (GLEB GARANICH)
  • Drucken

Kiew hat sein Ziel, mit der Austragung der Fußball-EM die Annäherung des Landes an den Westen zu beschwören, verfehlt. Doch auch innenpolitisch stehen Staatschef Viktor Janukowitsch unruhige Zeiten bevor.

Rostow/Kiew. Es war eine der seltenen heiteren Meldungen dieser Tage aus der Ukraine. Mit Spezialraketen wolle man Regenwolken über den Spielfeldern der Fußball-EM vertreiben, ließ ein Kiewer Regierungsbeamter wissen. Die Meteorologen sagen allerdings gute Witterungsverhältnisse für das Fußballfest voraus, das heute eröffnet wird. Das politische Schlechtwetter, das in den vergangenen Wochen über der Ukraine aufgezogen ist, wird man indes auch mit Raketen nicht vertreiben.

Noch kurz vor der EM-Eröffnung schien kein Tag ohne Hiobsbotschaft zu vergehen. Da rät die britische Regierung Fans afrokaribischer und asiatischer Herkunft zu besonderer Vorsicht in dem osteuropäischen Land. Da war der frühere Spieler der britischen Nationalmannschaft, Sol Campbell, überhaupt der Meinung, es sei falsch gewesen, der Ukraine die Austragung der EM zuzusprechen. Zusätzlich hagelte es nicht nur vonseiten der EU, sondern auch im aktuellen Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums Kritik an der „politisch motivierten“ Verurteilung von Ex-Premierministerin Julia Timoschenko.

Ursprünglich wollte Präsident Viktor Janukowitsch, ein Widersacher von Timoschenko, die EM zur Bewerbung seines Landes in Europa nutzen. Doch der Plan ging in die Hose. Die vergangenen Monate waren ein PR-Desaster.

Zunächst waren daran explodierende Ausgaben schuld, die der Regierung viel Kritik von Opposition und Medien eingebracht hatten. So kostete etwa allein der Umbau des Olympiastadions in Kiew 600 Millionen Euro. Später stiegen internationale Tierschützer auf die Barrikaden, als in Medien von Massentötungen von Hunden zu hören war, um die Städte von unangenehmen Tieren zu „säubern“.

Umstritten, zerstritten, Boykott

Doch die Entrüstung kulminierte schließlich wegen des Falls Timoschenko, der früheren Premierministerin des Landes, die nach einem umstrittenen Gerichtsverfahren eine siebenjährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs absitzen muss. Timoschenko wurde zwar mittlerweile in ein Krankenhaus transferiert und wird medizinisch behandelt, doch drohten viele europäische Politiker Janukowitsch mit einem Boykott der Fußball-EM.

Um zu retten, was zu retten ist, versucht sich Janukowitsch nun im Doppelspiel: Nach außen hin mimt er den um Ausgleich bemühten Staatschef, dem aufgrund des Unwillens des Parlaments die Hände gebunden sind. So war es schon nach dem Urteil gegen Timoschenko, als Janukowitsch eine Gesetzesreform eines umstrittenen Paragrafen in Aussicht stellte. Die Reform wurde später in der Werchowna Rada von der ihm nahe stehenden Partei der Regionen abgedreht. Ähnlich lief es nun bei der Behandlung der Oppositionsführerin im Ausland. „Wenn es nur von mir abhinge, hätte ich es seit Langem getan. Doch wir brauchen eine entsprechende gesetzliche Erlaubnis“, sagte Janukowitsch vor einigen Tagen. Zuvor hatte die Regierungspartei einen entsprechenden Gesetzesantrag zu Fall gebracht.

Nicht nur bei der EM, auch realpolitisch ist der Handlungsspielraum der Ukraine zwischen Ost und West seit dem Amtsantritt Janukowitschs im Februar 2010 geschrumpft. Hatten viele von Janukowitschs Wählern auf eine Drosselung der Westannäherung und einen Ausgleich mit Russland gehofft, so ist die Bilanz nach knapp zwei Jahren enttäuschend. Im neo-sowjetischen Politikstil mag man sich dem Kreml nahe fühlen, doch in zentralen Politikbereichen gibt es kaum Erfolge zu vermelden: Bei der Energiethematik, bei der die Ausgaben ein Loch in den Staatshaushalt reißen. In Verhandlungen über eine Senkung des Gaspreises winkt Moskau aber ab.

Nun ist auch das Verhältnis des Landes zur EU endgültig am Gefrierpunkt, zuletzt musste sogar der Präsident geknickt zugeben, dass Europa dem Dialog mit der Ukraine „eine Pause“ verordnet habe. Das Assoziierungsabkommen, das der Ukraine in kommenden Jahren vor allem den Freihandel mit dem Wirtschaftsblock bringen soll, wurde zwar nach einer zeitlichen Verzögerung parafiert; ob es aber von nationalen EU-Parlamenten angenommen wird und damit in Kraft tritt, ist unsicher; von einer EU-Beitrittsperspektive des 46-Millionen-Einwohnerstaates ganz zu schweigen.

Die EM wurde der früheren Sowjetrepublik noch unter ihrem glücklosen Präsidenten Viktor Juschtschenko zugesprochen, der nach der „Orangen Revolution“ des Jahreswechsels 2004/05 an die Macht kam. Doch er und Premierministerin Timoschenko machten weniger als Demokraten denn als Streithähne von sich reden.

Bei der nächsten Präsidentenwahl 2010 unterlag schließlich auch Timoschenko ihrem Gegner Janukowitsch. Er hat das Präsidentenamt gestärkt und dem Land einen autoritären Kurs auferlegt.

Das Warten auf den Urnengang

„Die Opposition von heute sind die Mächtigen von gestern“, Worte wie diese hört man häufig in der Ukraine. Das Vertrauen in die Politik ist gering. Boxweltmeister Witali Klitschko, der bei den Parlamentswahlen Ende Oktober mit seiner Partei „Udar“ (Schlag) antritt, gelänge nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Razumkow Center“ mit neun Prozent gerade mal der Einzug ins Parlament. Doch ein gemachtes Rennen ist der Urnengang auch für Janukowitschs „Blaue“ nicht. Die Zustimmung für die Regierungspartei ist von knapp 40 Prozent laut „Razumkow Center“ auf ein Viertel gefallen; auf das zersplitterte und zerstrittene Oppositionslager entfällt der Rest der Stimmen.

Der Regierung läuft innenpolitisch allmählich die Zeit davon. Das Ende der EM 2012 mag zwar die Urlaubssaison einläuten. Wenn er sich nicht auf einen Überraschungssieg der Ukraine verlassen will, werde Janukowitsch, befürchten Experten, auf massive Fälschungen der Wahlen setzen. Die Spielsaison könnte im Herbst erst so richtig eröffnet werden. Dieses Spiel geht in die Verlängerung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.