Nach 4:2-Sieg: Deutsche Weltrekordler bleiben am Boden

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Der souveräne Sieg Deutschlands über hilflose Griechen und eine neue Bestmarke sorgen für hohe Erwartungen. Die Spieler üben sich aber in der nötigen Selbstkritik.

Die Aussage von Sokratis Papastathopoulos mutete schon recht bizarr an: „Vielleicht hätten wir etwas vorsichtiger sein sollen", meinte der griechische Verteidiger nach dem 2:4 im EM-Viertelfinale gegen Deutschland. Der Europameister von 2004 war ohnehin so vorsichtig ins Spiel gegangen, dass die Auftritte des FC Chelsea in der Champions League dagegen wie ein Offensivspektakel wirkten. Dass diese Taktik gegen Deutschland nicht aufgehen würde, das war aber schon nach wenigen Minuten klar. Ohne den gelbgesperrten Defensiv-Organisator und Kapitän Giorgos Karagounis war die Abwehr schon eine ganze Klasse schlechter. Dazu zeigte Torwart Michalis Sifakis eine ganz peinliche Leistung. Der 27-Jährige von Aris Saloniki schaffte das Kunststück, fast keinen Ball sicher zu fangen. Zumindest zwei der Gegentore hätte ein besserer Tormann wohl gehalten.

Entwicklungshilfe für Griechen. Dass es bei zwei Gegentreffern weniger zur Verlängerung gereicht hätte, spiegelte den Klassenunterschied auf dem ramponierten Rasen nicht ansatzweise wider. „Griechenland ist einfach eine kuriose Mannschaft, die haben aus einer Chance zwei Tore gemacht", staunte auch Deutschlands Teamchef Joachim Löw. „Die Griechen haben nichts gemacht, die haben nur Fußball verhindert." Das Tor zum 2:4 kurz vor Schluss fiel überhaupt unter die Kategorie „Entwicklungshilfe": Dass Torosidis dem wegspringenden Jerome Boateng an den Arm schoss, reichte für Schiedsrichter Damir Skomina aus Slowenien aus, um auch den zweiten Elfmeter in diesem Turnier den Griechen zuzusprechen. Im Gegensatz zu Karagounis im Eröffnungsspiel behielt Salpingidis diesmal aber die Nerven.

Nicht, dass es noch etwas genützt hätte. Es wäre auch nicht verdient gewesen. Mit dem Weltrekord von 15 Pflichtspielsiegen en suite steht Deutschland nun im Halbfinale, trifft am 28. Juni in Warschau auf England oder Italien. Ob der nackten Zahlen war auch Löw sichtlich beeindruckt: „Viermal hintereinander Halbfinale, 15 Pflichtspielsiege in Folge und jetzt alle vier EM-Spiele gewonnen. Und das mit der jüngsten Mannschaft des Turniers. Wir können schon stolz sein auf dieses Team", meinte der 52-Jährige. Trotz dieser großartigen Serie ist der letzte Titel für Deutschland aber schon 16 Jahre her. Heuer soll endlich der Coup gelingen, die drei Siege in der schweren Gruppe B und nun der deutliche Sieg im Viertelfinale lassen Deutschland träumen. „Ich bin zuversichtlich, weil wir eine Riesenserie im Rücken haben, weil wir sehr viel Qualität in unseren Reihen haben", sagte Kapitän Philipp Lahm.

Nervenstark. Nun waren die Griechen in der Verfassung vom Freitagabend sicher kein echter Prüfstein, doch eine spezielle Phase des Spiels zeigte eine ganz besondere Qualität dieser deutschen Auswahl: Nach dem unnötigen 1:1 begann die DFB-Elf nicht etwa, an sich zu zweifeln oder nervös zu werden. In aller Ruhe erhöhte man den Druck auf die griechische Abwehr, drei weitere Tore waren die schnelle Belohnung. „Es war klasse, wie die Mannschaft nach dem 1:1 wieder aufs Tempo gedrückt hat. Die Tore sind dann fast zwangsläufig gefallen", meinte Löw, der mit Klose, Schürrle und Reus eine fast völlig neu formierte Offensive aufgeboten hatte. Klose und Reus belohnten sich selbst mit den Treffern zum 3:1 und 4:1. „Heute war der Tag für Veränderungen. Ich habe gespürt, dass die Zeit reif ist, das eine oder andere zu verändern", schilderte der Teamchef die Gründe für seine Umstellungen. Eines machte Löw aber richtig sauer: Dass die deutsche Presse schon am Nachmittag von seinen Personalplanungen wusste. „Es muss ein Leck geben. Der Trainer hat mit uns darüber geredet und er war nicht glücklich", meinte Andre Schürrle. Dass jemand aus dem Team der Maulwurf sein könnte, das konnte sich der Leverkusener aber nicht vorstellen.

Um die deutsche Elf auf Kurs zu bringen, dazu brauchte es aber den Kapitän, seines Zeichens Linksverteidiger. Lahm traf sehenswert aus 20 Metern, dennoch hatte der 28-Jährige nach dem Spiel einiges zu beanstanden: „Die 1:0-Führung haben wir hergeschenkt, da waren wir zu leichtsinnig. Wir haben einige einfache Fehler gemacht, das müssen wir abstellen."

Khedira stellt die Weichen. Sami Khedira, dem mit Abstand besten Spieler auf dem Platz, blieb es vorbehalten, mit seinem Volleyknaller zum 2:1 Deutschland wieder auf die Siegerstraße zu navigieren. „Leider haben wir es spannender als nötig gemacht. Nach dem Ausgleich haben wir zum Glück wieder das Tempo hochgefahren und verdient gewonnen. Wir haben auf die griechische Spielweise die richtige Antwort gegeben, wir haben uns viel bewegt und viele Chancen herausgespielt. Größtenteils war das ein sehr gutes Spiel", resümierte der Mittelfeldspieler. Seine gute Leistung auf der „Doppel-Sechs" erlaubte es den Deutschen sogar, den einmal mehr ganz schwachen Bastian Schweinsteiger durchs Spiel zu schleppen. Der Bayern-Star ist weiter eher Hemmschuh als Motor im deutschen Mittelfeld.

Löws Aufgabe vor dem Halbfinale wird es nun sein, die Erwartungshaltung an sein Team unter Kontrolle zu behalten. Dass nicht alles Gold ist, was glänzt, haben seine Spieler schon verstanden.

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