Der Mythos Wembley-Stadion

Vor fast genau 90 Jahren wurde das Wembley-Stadion in London eröffnet. Dort wird traditionell Fußballgeschichte geschrieben. Vor allem von den Deutschen.

Wembley, ausgerechnet Wembley. Für viele ein Mythos, für manche ein Tempel, für andere wiederum ein Schmuckkästchen. Pelé hat Wembley einmal die „Kathedrale des Fußballs“ genannt, mit dieser Beschreibung können auch alle leben. In diesem Stadion wurden unendlich viele Geschichten geschrieben, da haben sich Dramen abgespielt, wurden Triumphe, Siege für die Ewigkeit gefeiert. Vor 90 Jahren wurde das Wembley-Stadion eröffnet, es ist eine historische Spielstätte, die viel zu erzählen hat. Seit dem gestrigen Abend eine neue Geschichte, schließlich standen sich erstmals in einem Champions-League-Finale zwei deutsche Mannschaften gegenüber. Auch die Engländer waren schon einmal unter sich, ebenso die Spanier und die Italiener.

Für die Deutschen ist Wembley fast ein Schicksalsort, London hat eine ganz besondere Bedeutung. Legendäre Partien wurden hier gespielt, schon die Premiere hat Geschichte geschrieben. Mehr als 200.000 Zuschauer strömten am 28. April 1923 in die neue Arena, um das Pokalfinale zwischen West Ham und Bolton zu sehen. Erst ein Polizist auf einem Schimmel drängte die Masse zurück, als „White Horse Final“ fand das Endspiel Eingang in die Mythen nicht gerade armer englischer Fußballhistorie.

Die Fußgängerbrücke, die über die Eisenbahngleise zum Wembley-Stadion führt, wäre beinahe einmal Dietmar-Hamann-Bridge genannt worden. Nach dem Stadionbau 2006 hatten sich deutsche Fans für den Nationalspieler so stark gemacht, dass er bei der Umfrage zur Namensgebung kurzfristig sogar in Führung lag. Man muss dankbar sein, dass Hamann letztlich nicht gewonnen hat, das Rennen machte der Polizeischimmel, der auf den Namen „Billy“ hörte. Der englische Fußballverband (FA) taufte die Brücke schließlich „White Horse Bridge“.

Anekdoten würde Archivar David Barber viele finden, da braucht er sich gar nicht sonderlich anzustrengen. Denkwürdig war auch Ungarns Triumph 1953, die Magyaren demütigten das Mutterland des Fußballs mit 6:3 – es war Englands erste Niederlage auf heimischem Boden.

Der englische Fußball ist eng mit dem deutschen verknüpft, 1956 avancierte Bert Trautmann zum ersten deutschen Helden in Wembley. Der Torhüter von Manchester City spielte im Cupfinale gegen Birmingham City trotz eines Genickbruchs (!) weiter und sicherte seiner Mannschaft mit tollen Paraden den 3:1-Sieg. Der zunächst verhasste Deutsche wurde in England als „Traut the Kraut“ zum Hero.

Als zweite deutsche Mannschaft stand der TSV 1860 München in einem Europacup-Finale. Gegen West Ham United hatten die Münchner Löwen trotz der spektakulären Paraden ihres Torhüters Petar Radenković keine Chance und kehrten mit einer 0:2-Niederlage im Gepäck nach Hause.

Unvergessen ist freilich das Wembley-Tor. Der Ball prallte von der Unterkante der Latte wieder auf den Rasen – diese Szene wurde zu einer der umstrittensten Entscheidungen. Selbst in England aber zweifelt heute kaum noch jemand daran, dass es eine Fehlentscheidung war. Schütze dieses „Treffers“ war Geoff Hurst, er war gleich bedeutend mit dem 3:2 für England im WM-Finale gegen Deutschland 1966. Schiedsrichter Gottfried Dienst aus der Schweiz und Linienrichter Tofik Bachramow aus der damaligen Sowjetunion lagen falsch. Eine Geschichte, die sich mit der Einführung von technischen Hilfsmitteln durch die Fifa bei der kommenden Weltmeisterschaft in Brasilien 2014 nicht mehr wiederholen kann. Die Wembley-Tore gehören der Vergangenheit an.

1972 konnten die Deutschen den Wembley-Fluch bannen, die DFB-Auswahl feierte im EM-Viertelfinale mit einem 3:1 den ersten Sieg auf dem „heiligen Rasen“, legte damit den Grundstein zum späteren Titelgewinn. Die Tore erzielten Uli Hoeneß, Günter Netzer und Gerd Müller.

Jahre später, 1982, reisten die Deutschen zu einem Länderspiel nach London, im zweiten Testspiel nach der WM gewannen die Gäste mit 2:1. Karl-Heinz Rummenigge, der heutige Bayern-Chef, erzielte beide Tore.

1996 mussten die „Three Lions“ im Halbfinale der EM klein beigeben. Ein Schuss von Andreas Möller stürzte England in ein Tal der Tränen, der Dortmunder traf im Elferschießen zum 7:6 und brachte die deutsche Auswahl damit ins Endspiel. Dort wurde Oliver Bierhoff vier Tage später mit dem ersten Golden Goal der Geschichte zum Matchwinner beim 2:1-Finalsieg gegen Tschechien.

Im Oktober 2000 ging Dietmar Hamann als letzter Torschütze im alten Wembley-Stadion in die Annalen ein. Er besiegelte in der WM-Qualifikation den deutschen 1:0-Sieg. 2007 waren es mit Christian Pander und Kevin Kuranyi wieder Deutsche, die mit ihren Toren den Engländern eine Niederlage zufügten. Es war Englands erste Niederlage im neuen Wembley-Oval.

Was bisher geschah

Bayern München
In der Gruppenphase schalteten die Münchner die Gegner Valencia, Bate Borisow und Lille aus. Im Achtelfinale wartete Arsenal (3:1, 0:2). Im Viertelfinale war Juventus kein Gegner, zwei Siege gegen Barcelona ebneten den Weg ins Finale.

Borussia Dortmund
Gruppensieger gegen Ajax Amsterdam, Manchester City und Real Madrid. Achtelfinale: 5:2 gegen Schachtjor Donezk, gezittert gegen Malaga, Triumph gegen Real Madrid.

Annalen

Champions League.Die Sieger.

2012: Chelsea
2011: FC Barcelona
2010: Inter Mailand
2009: FC Barcelona
2008: Manchester United
2007: AC Milan
2006: FC Barcelona
2005: AC Milan
2004: FC Porto
2003: AC Milan
2002: Real Madrid
2001: Bayern München
2000: Real Madrid
1999: Manchester United
1998: Real Madrid
1997: Borussia Dortmund
1996: Juventus Turin
1995: Ajax Amsterdam
1994: AC Milan
1993: Olympique Marseille

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2013)

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