Fußball: Das Phänomen der Zlatanisierung

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Zlatan(c) GEPA
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Wenn Österreich am Freitag das Entscheidungsspiel in der WM-Qualifikation in Schweden bestreitet, dann wird sich vieles um Superstar Zlatan Ibrahimović drehen.

Österreich gegen Schweden, das ist im Fußball keine einfache Beziehung. Entscheidungsspiel in Gelsenkirchen, Sternstunden von Andreas Herzog, da war schon fast alles dabei zwischen Herz und Schmerz. Am kommenden Freitag ist es erneut so weit, wenn es in Stockholm in der WM-Qualifikation für die Endrunde in Brasilien 2014 zum großen Entscheidungsspiel kommt. Die Mannschaft von Marcel Koller wird punkten müssen, sonst enteilt das Tre-Kronor-Team, das sich zum Abschluss des Bewerbs auf Deutschland freut. Und da haben die Deutschen noch eine Rechnung offen, weil es da ein fast schon legendäres 4:4 gegeben hat. Die Österreicher wiederum müssen von Schweden weiter, weil die Färöer rufen. Und Rot-Weiß-Rot hat in der Fremde gegen die Fußballzwerge von der Schafsinsel noch nie gewonnen. Der Färöer-Pepi wurde jedoch in Landskrona geboren. Die historische Niederlage gegen die Färöer im Herbst 1990 trug sich auf schwedischem Boden zu. Es war das Ende von Josef Hickersberger als Teamchef, der die ÖFB-Auswahl immerhin zur WM 1990 in Italien geführt hatte. Am Freitag spielt er den Experten im (Privat-)Fernsehen. Ebenso am darauffolgenden Dienstag.

Vollstrecker und Anführer. Die Schweden sind im europäischen Sport eine große Nummer. Im Eishockey, Handball, Golf, in der Leichtathletik – und im Fußball. Sie produzieren Legionäre, die mit Vorliebe auf die Insel wechseln. Die Mannschaft von heute, das ist in Wahrheit Zlatan Ibrahimović. Ein Spieler, der keinen Fußballfan kalt lässt. Er polarisiert, regt auf, provoziert. Er ist Kapitän, Einfädler, Vollstrecker, Anführer. Färöer-Kapitän Fróđi Benjaminsen hat Ibrahimović als gemein und gefährlich bezeichnet. „Er ist arrogant. Und auf dem Platz hat er sich abfällig über uns geäußert. Er erzählt, wo er spielt und was er so alles verdient. Er ist doch in Wahrheit sehr kindisch. Und außerdem spielt er schmutzig.“

Der 31-Jährige hat in seiner Karriere schon viel gewonnen. In den vergangenen zwölf Jahren hat er nur zweimal nicht die Meisterschaft gefeiert. Er triumphierte mit Ajax Amsterdam, mit Juventus Turin, mit Inter Mailand und dem AC Milan, mit dem stolzen FC Barcelona – und zuletzt mit Paris Saint-Germain. In Frankreich hat der in Malmö geborene Ausnahmespieler in der abgelaufenen Saison 30 Treffer in 34Ligaspielen erzielt. Ohne ihn wäre PSG nicht so erfolgreich. Im schwedischen Nationalteam hält Ibrahimović bei einer Quote von 45 Toren in 93Länderspielen. In mehr oder weniger jedem zweiten Spiel klingelt es also.

In Paris lieben sie ihn längst. Dabei tut er alles, um den ungehobelten Macho heraushängen zu lassen. Aber Zlatan Ibrahimović ist einer der besten Stürmer der Welt. Er weiß das – und genau darum ist er mitunter so unerträglich. Er ist ein technisch grandioser Spieler, er beherrscht den Ball wie kaum ein anderer. Und er schießt Tore, die man nicht alle Tage zu sehen bekommt. Im November 2012 ist ihm im Länderspiel gegen England ein Volltreffer gelungen, der nahezu unbeschreiblich ist. Ein Fallrückzieher aus 25 Metern ist der Ausdruck puren Selbstvertrauens. Aber der Fußballmillionär, der im Problemviertel Rosengård aufgewachsen ist, beherrscht auch die Brechstange. Und er macht mit dem Leder manchmal das Unmögliche möglich.

Schwieriges Umfeld. Wer Muhammad Ali, Jackie Chan, Mike Tyson und Bruce Lee als seine Vorbilder bezeichnet, der darf sich nicht wundern, wenn ihn so mancher als Preisboxer sieht. Er ist ein Einwandererkind, der Vater kam aus Bosnien, die Mutter aus Kroatien. Sie musste als Putzfrau arbeiten, um die Familie zu ernähren. Die Eltern trennten sich, da war der kleine Zlatan noch nicht einmal zwei Jahre alt. Die erste Zeit verbrachte er bei seiner Mutter. Nachdem man in ihrer Wohnung Diebesgut gefunden hatte, erhielt der Vater das Sorgerecht. Aber der bosnische Muslim, der aus Bijeljina stammte und sich als Hausmeister versuchte, wandte sich nach den Kriegswirren zunehmend dem Alkohol zu. Eine Halbschwester wurde drogensüchtig.

Zlatan Ibrahimović hat sein Leben selbst in die Hand genommen. Den Namen seines Vaters kann man heute auf seinem rechten Arm lesen, den Namen seiner Mutter auf dem linken. Fußball spielt er so, wie es ihm gerade gefällt. Und er lebt auch so, wie es ihm gerade passt. Mittlerweile sind die beiden Kinder, Maximilian und Vincent, sieben und fünf Jahre alt. Seine Frau Helena ist um elf Jahre älter als er, liebevoll bezeichnet er sie als „evil super bitch deluxe“. Draußen vor der Tür parkt sein Auto, ein Ferrari vom Typ Enzo. Da gibt es weltweit nicht allzu viele. Aber wer zwölf Millionen Euro im Jahr bei Paris Saint-Germain verdient, für den spielt Geld nicht so eine große Rolle. Das war freilich im Leben des Straßenfußballers nicht immer so.

Kriminalität allgegenwärtig. Wer sich in Rosengård durchsetzen will, der braucht einen starken Willen. Dort leben über 80 Prozent Einwanderer, etwa 60 Prozent sind arbeitslos, die Kriminalität ist allgegenwärtig. Dort, wo Zlatan Ibrahimović einst das Kicken erlernt hat, wird noch immer dem Ball nachgejagt. Der Platz heißt Zlatan-Court, ein Sponsor hat die Kosten dafür übernommen. Auf dem Boden sind die Fußabdrücke des Superstars zu sehen. Und sie sind auch nicht zu übersehen, immerhin hat der 1,95 Meter große Frankreich-Legionär Schuhgröße 47.

Längere Interviews mit Zlatan Ibrahimović sind eine Seltenheit. Dabei hat der Schwede viel zu sagen. So viel, dass man damit ein Buch gefüllt hat. „Ich bin Zlatan“ heißt seine Biografie, die seit dieser Woche auch in deutscher Sprache erhältlich ist. In Schweden wurde das Werk 675.000 Mal verkauft. Um das Interesse anzukurbeln, hat Ibrahimović im „Spiegel“ noch schnell einmal über Pep Guardiola geschimpft. Bei Barcelona hat das eben nicht funktioniert. „Diesen Philosophen“, hat Ibrahimović einmal gesagt, „braucht hier niemand. Der Zwerg und ich genügen vollkommen.“ Mit dem Zwerg, da war niemand Geringerer als Lionel Messi gemeint. Und Guardiola sei ohnedies nur ein Feigling. Im Übrigen wäre zu bedauern, dass der Spanier nun in München sitzt, denn an sich sei Bayern eine tolle Adresse. Aber eben erst dann interessant, wenn Pep Guardiola dort nicht mehr Trainer ist. Der Schluss liegt nahe, dass man den Schweden im Dress des Triple-Gewinners nie sehen wird. Aber einer wie Ibrahimović passt auch gar nicht zum deutschen Rekordmeister.

Das kann er mit einer Orange. Wer sich mit Zlatan Ibrahimović beschäftigen will, braucht viel Geduld. Wie die Fans. Und auch die Reporter. Wenn dem 31-Jährigen das Rasierwasser eines Journalisten nicht passt, dann bricht er Gespräche einfach ab. „Was zum Teufel hast du für ein Parfum? Das ist ja schlimm.“ Und weg war er. Den Respekt hat er nicht gerade erfunden. Ibrahimović ist nichts heilig. Den norwegischen Teamstürmer John Carew, der sich über überreichlich zur Schau gestellte Akrobatik belustigt hat, hat er einmal öffentlich bloßgestellt. „Was der mit dem Ball kann, das mache ich mit einer Orange.“ Des Weiteren wird die Geschichte erzählt, dass er einen Autogrammjäger so richtig angschnauzt hat, weil dieser zu ihm gesagt hat: „Du bist für mich der Größte nach Pelé und Maradona.“ Zlatan Ibrahimović hat nur zurückgepfaucht: „Wieso eigentlich Maradona?“

Wenn die Schweden zur Weltmeisterschaft 2014 nach Brasilien wollen, dann brauchen sie vor allem einen Zlatan Ibrahimović, der in seinem Element ist. „Es reicht mir nicht, zu den Besten zu gehören“, sagt er. „Ich will der Beste sein!“ Und wer der Beste sein will, braucht Turnierteilnahmen. Und Tore. Und Titel. Was mit dem schwedischen Nationalteam nicht so einfach ist. Ähnlich ergeht es Cristiano Ronaldo mit der portugiesischen Auswahl. Ihr gemeinsames Problem heißt Lionel Messi. Oder vielleicht einmal Neymar. Europa gegen Südamerika – das gilt seit Jahren auch bei der Wahl zum Weltfußballer.

Ein talentierter Dieb. Zlatan Ibrahimović kann jede Abwehr knacken, ebenso aber auch Fahrradschlösser. „Ich war ein ziemlich talentierter Dieb“, sagt er in einem Interview mit dem „Spiegel“. Das Rad eines Postboten aber hat er wieder zurückgegeben. Der Briefe wegen, wie er sagt. „Der Dummkopf, das war ich!“ Aber auch bei Ikea hat er sein Unwesen getrieben. „Ich könnte den ganzen Laden kaufen, aber darum geht es nicht. Wir sind so aufgewachsen. Ich bin vernünftiger geworden, ich bin reich. Aber meine Herkunft werde ich nie verleugnen können. Wie heißt es? Du kriegst den Jungen aus dem Ghetto heraus, aber nicht das Ghetto aus dem Jungen.“

Der Exzentriker hat es dennoch geschafft, sich einen Eintrag im schwedischen Duden zu erarbeiten. „Zlatanera“ heißt das Wort und bedeutet so viel wie „etwas dominieren“. „Dann machst du den Zlatan. Es ist verrückt. Ich hinterlasse der Welt ein Wort“, sagt Ibrahimović. „Aber so habe ich wenigstens eine bedeutsame Sache getan. Und ich bleibe mir treu, lasse mich nicht verbiegen. Ich werde mich immer trauen, etwas zu versuchen.“ Auch am Freitag, wenn es gegen die Österreicher geht. Die Niederlage in Wien schmerzt die Schweden noch immer. „Wir hätten lieber gegen Österreich und gegen Irland gewonnen, als in Deutschland ein Unentschieden zu machen.“

Alabas Ruf. Die Schweden hoffen also auf eine Zlatanisierung, ihr Teamchef Erik Hamrén meinte bei der Bekanntgabe des Kaders, man wolle besonderes auf Augenmerk David Alaba legen. Der Bayern-Jungstar hat sich längst einen Namen in ganz Fußball-Europa gemacht. Bis in den hohen Norden und natürlich auch bis nach Paris. Wir hoffen auf eine Alabanisierung.

»Ich bin Zlatan«

Es begann in Rosengård
Zlatan Ibrahimović wurde am 3.Oktober 1981 in Malmö-Rosengård geboren. Sein Vater ist Bosnier, seine Mutter Kroatin. In seiner Jugend spielte er für Malmö Anadolu BI, FBK Balkan, BK Flagg und Malmö FF.

Profikarriere
1999–2001: Malmö FF, 2001–2004: Ajax Amsterdam, 2004–2006: Juventus Turin, 2006–2009: Inter Mailand, 2009–2010: FC Barcelona, 2010–2012: AC Milan, seit 2012 bei Paris Saint-Germain.

93 Länderspiele für Schweden, 45Tore.

Liiert mit dem ehemaligen Model Helena Seger, zwei Kinder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2013)

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