Mysterium um den WM-Pokal

FUSSBALL - FIFA WM 1974
FUSSBALL - FIFA WM 1974
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Vor 30 Jahren wurde der Original-WM-Pokal „Jules Rimet“ in Rio de Janeiro gestohlen. Er ist bis heute verschwunden, sein Mythos glänzt.

Marrakesch/Rio de Janeiro. Die Klub-WM in Marokko soll einen Vorgeschmack auf die WM 2014 liefern. Das sagt zumindest Fifa-Präsident Joseph Blatter, der das heutige Finale zwischen Bayern München und Casablanca (20.30 Uhr, live ARD) verfolgen wird. Der Schweizer will dabei eine Innovation begutachten: Die Referees sprühen vor Freistößen eine Linie für den Abstand der Mauer auf den Rasen. Es geht um den korrekten Abstand – und diese Technik soll auch in Brasilien 2014 eingesetzt werden.

„Wir haben angefangen, es in all unseren Wettbewerben in diesem Jahr zu benutzen“, sagt Blatter, „und wir werden diesen Weg fortführen.“ Seine anfängliche Skepsis sei verflogen, das System mache alle „glücklich“. In diesem Punkt traf Blatter aber auf Widerspruch. „Das macht das Spiel langsam. Wir sind Freunde davon, einen Freistoß oft schnell auszuführen. Deswegen ist das eher schädlich“, sagt Bayerns Torhüter Manuel Neuer. Und Toni Kroos geht sogar noch einen Schritt weiter: „Das bringt uns nicht entscheidend weiter.“

Ein Hund war Englands Held

Aber das ist nur einer von vielen Widersprüchen im Weltfußball. Ein ganz anderes Mysterium feierte nun sein 30-Jahres-, aber eher unrühmliches Jubiläum. Seit 30 Jahren tappen die Ermittler in einem der dreistesten Diebstähle der Sportgeschichte im Dunkeln. Die Suche nach der „goldenen Göttin“ ist Brasiliens größter ungelöster Kriminalfall. Seit dem 19. Dezember 1983 ist die „Jules-Rimet-Trophäe“ spurlos verschwunden.

Brasiliens ist nicht nur fünffacher Rekordweltmeister, sondern auch das einzige Land, dem der Original-WM-Pokal verloren ging. Auch in England, dem „Mutterland des Fußballs“, wurde der Pokal 1966 kurzzeitig gestohlen. Aber, und das ist britischer Humor, das Prunkstück tauchte wieder auf. „Pickels“, ein neugieriger Hund, fand es beim Gassigehen im Gebüsch eines Vorgartens...

Die vom französischen Bildhauer Abel Lafleur entworfene 35 Zentimeter hohe Statue diente von 1930 bis 1970 als WM-Pokal. Sie wog 3,8 Kilogramm, war aus vergoldetem Sterlingsilber und zeigte die griechische Siegesgöttin Nike auf einem Sockel aus Lapislazuli. Brasilien hatte 1970 nach dem in Mexiko gewonnenen dritten Titel das Recht, den nach dem früheren Fifa-Präsidenten Jules Rimet benannten Pokal zu behalten.

Der brasilianische Fußballverband stellte das Original in seinem Büro in der Rua da Alfândega 70 in Rio de Janeiro in eine Vitrine – von Sicherheitsleuten bewacht, von kugelsicherem Glas beschützt. Der unfassbare Fauxpas war aber, dass die Kopie in den Safe gelegt wurde.

„Kuhfuß“ und Goldhändler

So gelang dem Ex-Polizisten Chico Barbudo und Luiz Bigode der große Coup. Drahtzieher und Auftraggeber soll der Bankangestellte Sérgio Peralta gewesen sein. Am Abend des 19. Dezember 1983 überwältigten sie den Wachmann. Im neunten Stockwerk stand der Pokal. Mit einem – „Kuhfuß“, einem Nageleisen –, knackten sie die Vitrine, stahlen das Prunkstück und flüchteten. In 20 Minuten war die Aktion vorbei, danach begann ein 30-jähriger Mythos. Denn der Pokal soll vom argentinischen Goldhändler Juan Carlos Hernandes völlig emotionslos eingeschmolzen worden sein.

Der Pokal hatte schon vor seinem Verschwinden eine bewegte Geschichte. Während des 2. Weltkrieges ruhte er in Italien, Fifa-Vizepräsident Ottorino Barassi bewahrte ihn in einer Schuhschachtel unter dem Bett auf. Beweise für seine Einschmelzung wurden aber nie gefunden, Brasiliens Ermittler gaben die Suche später endgültig auf.

Hernandes heizte die Gerüchte 1989 neu an. Der Zeitschrift „Visão“ sagte er, der Pokal sei nur „sehr gut versteckt worden. Das war Teil des Spiels.“ Vielleicht thront die „Göttin“ in irgendeiner Villa, mit freiem Blick auf die Copacabana. Wer weiß das schon?

Den neuen WM-Pokal, seit 1974 im Einsatz, erhält der Weltmeister nur noch als Kopie. Das Original bleibt im Safe der Fifa in Zürich. Sicher ist sicher. (dat)

AUF EINEN BLICK

Die „goldene Göttin“ war bis 1970 der Pokal, den ein Fußballweltmeister erhielt. Er war benannt nach Ex-Fifa-Präsident Jules Rimet, wurde 1983 in Brasilien gestohlen, seitdem ist er verschwunden. [ Imago ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2013)

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