Keine Angst vor den"Roten Teufeln"

(c) Reuters (NEIL HALL)
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Mit dem Rücktritt von Managerlegende Alex Ferguson hat Manchester United auch den Mythos der Unbesiegbarkeit verloren. Erstmals seit 2006 droht eine Saison ohne Titel.

London. Kaum ein Spieler personifiziert Manchester United wie Ryan Giggs. 958 Spiele hat der 40-jährige Waliser für die „Roten Teufel“ bereits absolviert und dabei 13 Meistertitel, vier FA-Cups, vier Liga-Cups und zweimal die Champions League gewonnen. Wenn Giggs unrasiert ist, sind seine Bartstoppeln bereits grau. Dass er in seiner 24. Saison weiter regelmäßig zum Einsatz kommt, beweist nicht nur seine herausragenden Qualitäten, sondern symbolisiert mittlerweile auch die Misere des englischen Rekordmeisters.

Denn das Haus, das Managerlegende Sir Alex Ferguson im vergangenen Sommer überraschend an seinen schottischen Landsmann David Moyes übergeben hat, ist unerwartet baufällig. Manchester United hat dieser Tage einen für die eigenen Verhältnisse ungewohnten Negativlauf. Die Blamage am Dienstag beim Tabellenletzten Sunderland im Liga-Cup bedeutet, dass der Verein erstmals in 13(!) Jahren drei Niederlagen in Folge einstecken musste. Erstmals seit 2006 steht Manchester United vor der realen Gefahr, eine Saison ohne Titel zu beenden.

Noch genießt Moyes Rückhalt

In der Meisterschaft liegt der regierende Meister zur Halbzeit ziemlich aussichtslose elf Punkte hinter Tabellenführer Arsenal, aus dem FA-Cup schied das Team am vergangenen Wochenende durch die erste Heimniederlage der Geschichte gegen die Giganten von Swansea aus und im Liga-Cup muss man nun im Rückspiel gegen Sunderland aufs Ganze gehen. In der Champions League darf man sich angesichts der aktuellen Form gegen Kontrahenten wie Bayern München, Real Madrid oder Barcelona wohl keine Hoffnungen machen.

Der Druck auf Moyes wächst damit, doch bisher stehen Verein und auch Anhänger hinter dem 50-Jährigen. „Ich weiß, dass so etwas bei Manchester United seit Langem nicht passiert ist“, sagt er. Er ist geplagt von Verletzungspech – Starstürmer Robin van Persie stand diese Saison erst elf Spiele zur Verfügung, auch sein Sturmpartner Wayne Roonie fällt regelmäßig aus. Aber er leidet auch unter der Last seiner Erbschaft: Ferguson hat in den vergangenen sechs Jahren die immer größer werdende Lücke im zentralen Mittelfeld nicht geschlossen.

Glazers drehten Geldhahn zu

Das geschah nicht zufällig: Die Mittel für Spielertransfers gingen seit der Übernahme des Vereins durch die Glazer-Familie dramatisch zurück: In der Periode 1998–2005 investierte United zwölf Prozent seines Ertrags in neue Spieler, in den nachfolgenden acht Jahren wurde dies auf sechs Prozent gekürzt. Alles wurde dem Abbau der drückenden Schuldenlast, mit der die Übernahme finanziert worden war, untergeordnet: Nach Berechnungen des „Guardian“ sind für Zinsen, Rückzahlungen und Gebühren seit 2005 bisher 680 Millionen Pfund (825 Millionen Euro) angefallen.

Weil zugleich seit Jahren keine wirklichen Stars im Eigenbau mehr entwickelt wurden, muss ein Veteran wie Giggs immer noch in die Schlacht ziehen. Aber selbst im klubeigenen ManU TV werden nun die ketzerischen Worte gesprochen: „Einige unserer Stars haben ihr Ablaufdatum überschritten.“ Die Niederlagenserie hat den Mythos der Unbesiegbarkeit zerstört. Vier der letzten sechs Heimspiele gingen verloren, und das meist in den letzten Spielminuten, wenn die Mannschaft einst in „Fergie time“ (das Spiel dauert so lange, bis Ferguson sein Wunschresultat gerettet hat) noch viele Partien aus dem Feuer gerissen hat. Seit man des Kaisers neue Kleider kennt, hat keiner mehr Angst, nach Old Trafford zu kommen. „Die Angst ist weg“, sagt Arsenal-Legende Thierry Henry.

Bis zu sechs Spieler will Moyes nun „dringend“ in der Transferzeit holen. „Ich brauche einen Titel“, weiß der Trainer. Gern wird darauf verwiesen, dass Ferguson vier Jahre auf seinen ersten Titel warten musste, am Ende waren es 39 in 27 Jahren. Doch die Zeiten haben sich geändert. Der Börsenwert von Manchester United ist angesichts der Niederlagenserie um 200 Millionen Pfund gefallen. Und die schlechten Ergebnisse machen den Verein für Topstars nicht eben attraktiver.

Der Stadtrivale glänzt

Keines dieser Probleme hat momentan der „lästige Nachbar“, wie Ferguson einst den Lokalrivalen Manchester City verspottete. Die Mannschaft von Manuel Pellegrini schoss am Mittwochabend West Ham United mit 6:0 aus dem Etihad-Stadion und steht so gut wie sicher als Liga-Cup-Finalist fest. In 15 Heimspielen haben die „Citizens“ damit bereits 59 Tore geschossen und gelten mit einem Punkt Rückstand auf Arsenal dank der Größe und Qualität ihres Kaders als größter Favorit auf den Meistertitel.

Ebenfalls gut im Rennen ist Chelsea, wo Startrainer José Mourinho wieder auf dem besten Weg ist, eine unattraktive Mannschaft mit eisernem Siegeswillen zusammenzuschweißen. Für den Titel braucht der aktuelle Tabellendritte aus London genauso wie Arsenal allerdings dringend einen Stürmer. Nach der schweren Knieverletzung von Theo Walcott, die auch die WM-Träume des 24-Jährigen beendet hat, muss Arsene Wenger wohl in der Winterpause in die Kasse greifen, um den ersten Meistertitel für die Gunners seit 2004 zu erreichen. Ein Özil wurde in der Jänner-Transferperiode bisher allerdings noch nie gefunden.

In der kommenden Meisterschaftsrunde steht Manchester United vor einer scheinbar lösbaren Aufgabe. Swansea gastiert heute im Old Trafford, und eine weitere Blamage muss unter allen Umständen verhindert werden. Die Nerven liegen blank.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2014)

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