Hamburger SV: Halbwertszeit einer Hafenrundfahrt

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An der Elbe rumort es, der einst so stolze HSV ist weiterhin auf Talfahrt. Sieg- und torlos Letzter, U23-Trainer Josef Zinnbauer ist neuer Chef – und heute ist der FC Bayern der Gegner.

Hamburg. Es ist ein Duell, in dem die Kontrahenten nicht unterschiedlicher sein könnten. Es genießt in Deutschland besondere Brisanz, der Nord-Süd-Klassiker zwischen dem HSV und den Bayern elektrisiert heute die Bundesliga. Hier die europäische Spitzenmannschaft aus München, Serienmeister, Dauergast in der Champions League, dort der HSV, chronisch kranker Dauerpatient, vorige Saison fast abgestiegen und nun schon wieder am Straucheln.

Der HSV, der einst so stolze Klub, ist das erste Team, das in der jungen Bundesligasaison den Trainer entlassen hat. Nach dem 0:2 in Hannover musste Coach Mirko Slomka seinen Hut nehmen. Ihm folgte der weitgehend unbekannte U23-Trainer Josef Zinnbauer nach.

Das Schauspiel war nicht mehr als der übliche Reflex in einem schnelllebigen Geschäft. Slomka hat zwar den Abstieg verhindert, aber saisonübergreifend in acht Spielen nicht gewonnen. Doch an der Elbe ist seit vielen Jahren alles anders. Trainer um Trainer werden verschlissen, der Job hat die Halbwertszeit einer Hafenrundfahrt.

Die Vereinsstruktur war faul, sie hatte man als Fehlerquelle ausgemacht. Mit einer von viel Tamtam begleiteten Ausgliederung der Profiabteilung vom Gesamtverein und die Überführung in eine AG wollten die Akteure Strukturen verschlanken, Dietmar Beiersdorfer wurde als Heilsbringer an die Elbe zurückgeholt und zum Vorstandsboss gekürt. Er sagt: „Der HSV ist mein Baby.“

Die Torpedos des Adlatus

Wahrscheinlich hätte er auch weinen können ob der Umstände, unter denen die Ausgliederung stattfand. Denn sie wurde primär von Leuten forciert, die auch gleich den Geldgeber einspannten: Milliardär Klaus-Michael Kühne. Er hat in den vergangenen zwei Jahren 25 Millionen Euro in den hoch verschuldeten Klub gepumpt. Das Problem: Sein Adlatus und Generalbevollmächtiger, Karl Gernandt, ist seit der Ausgliederung Aufsichtsratsboss und wird nicht müde, unisono mit dem aus der fernen Schweiz grantig intervenierenden Kühne, Beiersdorfer ins operative Geschäft zu pfuschen.

Beiersdorfer, 50, ist ein wenig grauer geworden, seit er 2009 nach einem Streit mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann als HSV-Sportchef demissionierte. Zwischen beiden Beiersdorfer-Etappen verschlissen die Hanseaten sieben Cheftrainer und beschäftigten drei Interimslösungen, niemand blieb länger als elf Monate. Allein 2013, das fast im Desaster endete, waren es drei.

Beiersdorfer werkelte im Sommer an der Kaderarithmetik. Slomka wurde da noch Aufschub gewährt. Nach nur einem Punkt aus den ersten beiden Spielen torpedierte Gernandt sofort die Vorhaben Beiersdorfers: „Die Neuen sollen eine Chance bekommen. Es soll ein Maximum an mutigen Entscheidungen getroffen werden.“ So geschah es, dass Slomka, wohl in einer Art Kurzschlussreaktion, sieben Neuverpflichtungen in Hannover in die Startelf packte und mit Jaroslav Drobny den Ersatzkeeper dem Stammtorwart René Adler vor die Nase setzte.

Der Schuss ging nach hinten los, Slomka wurde gefeuert. Das finale Gespräch fand bei Kühnes Firma Kühne & Nagel statt, anwesend war auch Aufsichtsrat Gernandt. Ein Novum, dass Leute in seiner Funktion bei solch sportlichen Personalentscheidungen mitwirken. Doch der HSV hat Verbindlichkeiten von 100 Millionen Euro und ist auf Gönner Kühne, dessen Darlehen bald in Anteile an der AG umgemünzt werden sollen, angewiesen. So verwundert es nicht, dass mit Zinnbauer nun eine billige Lösung gefunden wurde. Der 44-Jährige ist erst im Sommer aus Karlsruhe gekommen und hat beeindruckt, weil er den HSV-Unterbau in der vierten Liga auf Rang eins hievte.

„Bis auf Weiteres“ hat Beiersdorfer den Newcomer nun ins Haifischbecken Bundesliga gestoßen, aber nicht ausgeschlossen, dass er den Trainermarkt weiter sondieren werde. Zinnbauer erhielt einen Zweijahresvertrag und präsentierte sich selbstbewusst: „Ich will Dominanz und erfrischenden Fußball.“ Demut, weil heute Branchenprimus Bayern wartet, kennt er nicht. „Bayern ist nicht der Maßstab für unser System. Es geht darum, wie wir uns präsentieren.“

DEUTSCHE BUNDESLIGA 4. Runde

Samstag, 15.30 Uhr: Schalke – Frankfurt, Augsburg – Bremen, Stuttgart – Hoffenheim, Hamburger SV – Bayern. 18.30 Uhr: Mainz – Dortmund.

Sonntag, 15.30 Uhr: Wolfsburg – Leverkusen. 17.30 Uhr: Köln – Gladbach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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