Öl und Spiele – neues Katar am Kaukasus

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Aserbaidschan investiert Millionen in den europäischen Fußball. Nun erhielt Baku den Zuschlag für ein Viertelfinale und drei Vorrundenspiele der Euro 2020. Ein Dankeschön von Michel Platini?

Im Jahr 2020 wird die Fußball-Europameisterschaft erstmals in mehreren Ländern ausgetragen. 19 Kandidaten hatten sich für eine Ko-Gastgeberrolle beworben. Mitte September stimmte das Exekutivkomitee der Uefa über die Spielorte für die paneuropäische EM ab. Zur allgemeinen Überraschung erhielt Baku den Zuschlag für ein Viertelfinale. Aserbaidschan, Platz 95 der Fifa-Weltrangliste, ist nun wahrlich keine Fußballnation – auch wenn sich Berti Vogts als Nationalcoach reichlich Mühe gab. Wie ist diese Entscheidung zu erklären?

Das rohstoffreiche Land investiert massiv in den Sport. 2015 werden in Baku die Europaspiele, eine Art Olympiade für Europa, ausgetragen. 2016 findet in der glitzernden Metropole ein Formel-1-Grand Prix statt. Und im selben Jahr wird Aserbaidschan Gastgeber der U17-Europameisterschaft sein– als Testlauf für 2020. Überall wird gebaut, das „Baku Olympiastadion“ soll ein glänzender Sporttempel am Kaspischen Meer werden. Millionen Zuschauer werden nach Baku blicken, wenn sich die besten europäischen Nationalteams messen werden. Der Minister für Jugend und Sport, Azad Rahimov, sagte nach der Uefa-Entscheidung: „Das ist ein stolzer Tag für Aserbaidschan. Wir sind eine leidenschaftliche Fußballnation, und ich habe keinen Zweifel, dass wir einen hervorragenden Beitrag für eine erfolgreiche Europameisterschaft leisten.“ Allein, die Fußballeuphorie war wohl wenig ausschlaggebend. Es sind handfeste materielle Interessen im Spiel.

Die staatliche Ölgesellschaft Socar, die die gesamten Ölreserven des Landes kontrolliert, ist offizieller Sponsor der Uefa bei der EM 2016. Über den Deal wurde Stillschweigen vereinbart. Uefa-Boss Platini begab sich fünfmal nach Aserbaidschan (u.a. mit seinem Widersacher Sepp Blatter) und lobte stets die Fortschrittlichkeit des Landes. 2013 legte er mit dem Präsidenten des nationalen Fußballverbands den Grundstein für ein neues Trainingscamp und ließ sich beim Spatenstich ablichten. „Ich bin stolz, hier zu sein“, erklärte Platini. „Die Uefa ist immer stolz darauf, anderen Verbänden zu helfen.“ Ein Geben und Nehmen.

Aserbaidschan ist auch Trikotsponsor des Champions-League-Finalisten Atlético Madrid. Zwölf Millionen Euro überweist das Land dem Verein pro Jahr dafür, dass die Trikots der Colchoneros der Schriftzug „Azerbaijan Land of Fire“ ziert. Auch beim FC Porto prangt der Slogan auf den Trikots. Die Investments sind Teil einer ausgefeilten Marketingstrategie. Aserbaidschan soll als Leuchtturm der Moderne dastehen. Doch will ein Land, für das eine Reisewarnung gilt, sich wirklich als Fremdenverkehrsdestination vermarkten?

Vincent Chaudel, Sportexperte bei der Consultingfirma Kurt Salmon, sagte im Gespräch mit der „Presse“: „Es handelt sich um Diplomatie im erweiterten Sinn. Der Sport ist das Vehikel, einen größeren Bekanntheitsgrad zu erlangen.“ Öl und Spiele – das ist die perfekte PR-Kampagne. Aserbaidschan ist im Begriff, das Katar am Kaukasus zu werden.


Kein Sport ohne Politik. Präsident Ilham Aliyev kontrolliert mit seinem Familienklan die wirtschaftlichen Geschicke. Die Bank of Azerbaijan gehört seinen beiden Söhnen Kanan und Sanan sowie seinem Bruder Mubariz. Über seine Töchter Leyla und Arzu Aliyeva laufen eine Reihe von Offshore-Firmen, u.a. drei Panama-Holdings. Die Milliardeneinnahmen aus dem Ölgeschäft werden in den Staatsfonds eingespeist und über obskure Kanäle in den Sport geschleust. „Man darf nicht so naiv sein und glauben, dass alles sauber ist“, sagt Sportexperte Chaudel.

Die Schlüsselfigur im großen Fußballengagement ist der Geschäftsmann Hafiz Mammadov. Der Gründer der Baghlan-Gruppe (Öl, Gas, Baufirmen und Transport) besitzt neben dem FK Baku auch den RC Lens in Frankreich, den er um 20 Millionen Euro gekauft hat. Der Multimillionär, der schon kraft seiner physischen Präsenz kaum zu übersehen ist, ist europaweit auf Einkaufstour und hat im englischen Verein Sheffield ein neues Spielzeug gefunden. Die Übernahme steht unmittelbar bevor. Mammadov gehört zum Klan des Präsidenten, dem immer wieder Wahlbetrug vorgeworfen wird. Die NGO „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ (OCCRP) wählte Aliyev 2012 zum „korruptesten Mann der Welt“. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International rangiert das Land lediglich auf Platz 127 von 180. Der Präsident des aserbaidschanischen Fußballverbandes, Rovnag Abdullayev, der wie ein alter Sowjetfunktionär aussieht, ist gleichzeitig Präsident des Staatskonzerns Socar und Rechtsberater der Regierung. Sport und Politik sind auf das Engste miteinander verflochten.

Die Frage ist, warum die Uefa mit so jemandem Geschäfte macht. In keinem anderen Land des Europarats gibt es so viele politische Gefangene wie in Aserbaidschan. Beobachter berichten von einer beispiellosen Welle der Repression. Staatschef Aliyev regiert mit harter Hand und lässt Dissidenten aus dem Weg räumen. In dem 84-seitigen Evaluationsbericht der Uefa, der der Entscheidung zugrunde lag, heißt es: „Baku hat ein Strategiepapier vorgelegt, in dem vielen der sozialen Verantwortungs- und Nachhaltigkeitskriterien hinreichend Rechnung getragen wurde.“ Und weiter: „Die politischen und wirtschaftlichen Strukturen sind stabil, der nationale Verband erfreut sich starker Beziehungen mit der Regierung.“ Soll das Ironie sein?

Jami Hasanli, Geschichtsprofessor an der Baku State University und ehemaliger Präsidentschaftskandidat, kritisiert die Investitionen. Auf Anfrage teilt er mit: „Unsere Lehrer und Ärzte erhalten sehr niedrige Löhne, im Durchschnitt 200 Dollar im Monat. Meiner Meinung nach sollte Aserbaidschan derart teure Projekte wie die EM nicht mitfinanzieren.“

Platini versuchte, den Zuschlag an Baku mit einer ganzheitlichen europäischen Vision zu rechtfertigen: Aserbaidschan sei ein „Teil Europas“, sagte er– was weder geografisch noch politisch zutrifft. Schon die Entstehung des ersten paneuropäischen Turniers ließ deutlich erkennen, dass das EM-Format keiner solidarischen Idee entsprang, sondern vielmehr das Ergebnis eines Kuhhandels war. Deutschland verzichtete auf das Finale, hofft bei seiner Bewerbung für die EM 2024 aber auf die Unterstützung Englands. Aserbaidschan hat seine Prämie schon erhalten.

EM 2020

Finale. London ist Austragungsort der Halbfinals und des Endspiels bei der „EURO für Europa“.

Baku. Und München, Rom und St. Petersburg tragen die Viertelfinals plus jeweils drei Gruppenspiele aus.

Die Achtelfinals steigen in Kopenhagen, Bukarest, Amsterdam, Dublin, Bilbao, Budapest, Brüssel und Glasgow. Alle erhielten zudem drei Gruppenspiele.

Insgesamt tragen 13 Nationalverbände die Spiele aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2014)

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