Schwuler Schiedsrichter: Türke kämpft gegen Diskriminierung

Halil Dinçdağ
Halil DinçdağAPA/EPA/PAUL ZINKEN
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Der 38-jährige Halil Dinçdağ ist Schiedsrichter und schwul. Der türkische Verband hat ihn ausgeschlossen. Darum klagt der verhinderte Referee auf Schmerzengeld und Schadenersatz.

Berlin. Er hat keine Angst, sagt Halil Dinçdağ. „Nicht mehr. Schlimmer kann es nicht werden.“ Dinçdağ ist Türke, er ist schwul, er ist Schiedsrichter. Und er wurde aus dem Türkischen Fußballverband (TFF) ausgeschlossen. Deshalb verklagt Dinçdağ den Verband auf Schmerzengeld und Schadenersatz. Und er will wieder offizieller Schiedsrichter sein dürfen.

Bis zum letzten Atemzug

Dinçdağ ist ein kleiner Mann mit schmalen Schultern. „Ich denke, dass ich gewinne. Und dann wird es für alle leichter“, sagt der 38-Jährige. „Dafür kämpfe ich bis zu meinem letzten Atemzug.“ In den vergangenen Tagen ist er deshalb durch Deutschland gereist und hat seine Geschichte erzählt, die vor fünf Jahren begonnen hat. Am Donnerstag bekommt sie ein neues Kapitel, wenn der 14. Verhandlungstag ansteht. Drei Tage vorher hatte Dinçdağ Grund zur Freude: Berlins Regierender Bürgermeister, Klaus Wowereit, überreichte ihm den „Respektpreis“ des Bündnisses gegen Homophobie. Halil Dinçdağ widmete die Auszeichnung seiner im Vorjahr verstorbenen Mutter.

Dinçdağ hat in Trabzon mehr als zehn Jahre als Schiedsrichter gearbeitet, bis zur zweiten Liga. Dann musste er 2008 zum Militär. Er hat viel darüber gehört, wie schwule Männer in dem hierarchischen System behandelt werden. „Misshandlungen, Vergewaltigungen, es gab Selbstmorde danach“, zählt er auf. Um ausscheiden zu können, outete er sich vor den Ärzten. Wochenlang untersuchte man ihn, auch in einem Militärkrankenhaus, wo er in einem Zimmer mit Schizophrenen untergebracht wurde. Schon oft haben Menschenrechtsorganisationen kritisiert, die türkische Armee stufe Homosexualität als psychische Störung ein und erniedrige Männer bei der Ausmusterung.

Nach drei Monaten wurde Dinçdağ ausgemustert. Im Gutachten stand als Grund: „Psychosexuelle Störung“. Kurz darauf wurde Dinçdağs Anstellung beim Verband nicht verlängert – offiziell wegen mangelnder Qualität.

Er legte Einspruch ein gegen den Ausschluss. Kurz darauf stand die Geschichte in einem Sportmagazin. Ohne seinen Namen, doch Dinçdağ fürchtete, die Medien würden ihm keine Ruhe lassen, bis sie ihn fänden. Er outete sich im Fernsehen.

Danach verlor er auch seinen Job als Radiomoderator. 150 Bewerbungen hat er seitdem geschrieben – keine einzige Zusage gab es. Viele Freunde haben sich von ihm abgewandt, er hat Morddrohungen bekommen, ist aus der Kleinstadt Trabzon in die Metropole Istanbul geflohen. Dort ist er wieder Schiedsrichter, in einer inoffiziellen Liga. Wie lange es die noch geben wird, weiß er allerdings nicht.

Er hat neue Freunde gefunden. Seine Familie, die von seiner Homosexualität nichts wusste, unterstützt ihn, auch finanziell. Bis vor fünf Jahren ist auf seinen Schultern „ein riesiges Gebirge gelegen“, sagt Dinçdağ. „Danach war ich leicht wie ein Vogel.“

Seine Offenheit ist ein Glücksfall, ein Werkzeug für eine Gesellschaft, die selbst noch viele Strukturen aufzubrechen hat. „Über wie viele geoutete Menschen im Sport können wir denn reden, die selbst darüber reden wollen?“, fragt Christian Rudolph von der Initiative „Fußballfans gegen Homophobie“. Und weiter: „Jemand mit so einer Geschichte wie Halil sensibilisiert uns.“

Halil Dinçdağ sagt: „Am Anfang war es mein persönliches Problem, meines allein.“ Dann seien die Anrufe gekommen, die Mails und Briefe von anderen schwulen türkischen Schiedsrichtern, von Sportlern, die von ihren Erfahrungen berichteten, die sich Hilfe von ihm erhofften. „Da habe ich gemerkt: Das ist nicht mehr nur allein meine Sache.“

ZUR PERSON

Hilferuf. Halil İbrahim Dinçdağ (* 1976 in Trabzon, Türkei) ist ein türkischer Fußballschiedsrichter, der durch das öffentliche Outing seiner Homosexualität international für Aufsehen gesorgt hat.

Dinçdağ wurde vom Militärdienst wegen „psychosexueller Störungen“ ausgemustert. Als er danach erneut als Schiedsrichter eingesetzt werden wollte, wurde er vom türkischen Verband ausgeschlossen. [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2014)

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