Japan: Fairplay allein gewinnt keinen Titel

Michael Petrović
Michael Petrović(c) EPA (Guenter R. Artinger)
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Michael Petrović, einst Spieler und Trainer bei Sturm Graz, hätte die J-League gewinnen müssen. Wie seine Urawa Red Diamonds in letzter Minute alles verspielten, ist ihm unbegreiflich.

Tokio. „Immer dieses Fairplay“, muss sich der Mann am Spielfeldrand gedacht haben. Vornehm in Anzug war er gekleidet, aus der mit Kreide markierten Coachingzone stürmte er nicht heraus. Aber ein paar Gepflogenheiten kann sich Michael Petrović trotzdem nicht abgewöhnen. Er sprang und stampfte herum, humpelte vor und zurück, mehrere Male war seine Wut bis oben auf die Pressetribüne zu hören. Denn eigentlich hätte der Serbe mit österreichischem Pass japanischer Meister werden müssen.

Aber nur eigentlich. Drei Wochen vor Saisonende hat der Spitzenklub Urawa Red Diamonds, bei dem Petrović seit 2012 werkt, mit fünf Punkten Vorsprung die Tabelle angeführt. Dann wurden die Spieler nervös. Nach einer Niederlage am vorletzten Spieltag gab der Klub aus einem Vorort von Tokio die Tabellenführung an Gamba Osaka ab. Und am letzten Spieltag empfing Urawa Nagoya Grampus, die unbedingt besiegt werden mussten, wollte man noch Chancen haben. Tabellenführer Gamba Osaka genügte ein Sieg gegen Tokushima Vortis, den Tabellenletzten. Die Sache schien entschieden.

Trotzdem begann alles wie geplant für Petrovićs Urawa. 53.000 Zuschauer waren ins WM-Stadion von 2002 nach Saitama gekommen, die Gastgeber lagen nach zwei Minuten in Führung. So war Urawa vorübergehend japanischer Meister, in der zeitgleichen Begegnung fiel kein Tor. Das Spiel plätscherte dahin, streckenweise wurde schöner Fußball gespielt. Aber nach einer Partie, in der es für Urawa um die Meisterschaft ging, sah es nicht aus. In der 72. Minute kam die Quittung: Nach einer Ecke fiel aus dem Nichts der Ausgleich. Danach war der große Favorit wie gelähmt, fing sich kurz vor Schluss auch noch das 1:2 ein.

Kein Feuer, keine Leidenschaft

„Bevor ich nach Japan kam, hatte ich so etwas noch nie erlebt“, moserte Petrović nach dem Abpfiff, einer plötzlich komplett verlorenen Saison. Seit acht Jahren ist der gebürtige Belgrader, der einst acht Jahre für Sturm Graz spielte und auch drei Jahre lang Trainer des Klubs war, in Japan zu Hause. Dass der Trainerjob in Fernost für diesen aufbrausenden, herzlichen Typen nicht immer einfach ist, konnte er nicht mehr zurückhalten. „Hier ist es egal, ob es in einem Spiel um alles geht oder um nichts. Es wird immer gleich gespielt.“ Feuer, Leidenschaft – das sind Fremdwörter.

Vor versammelter japanischer Presse packte Petrović Anekdoten aus, die seinen Dolmetscher sichtlich in Bedrängnis brachten. „Bei unserem Spitzenspiel gegen Gamba Osaka vor ein paar Wochen pfiff der Schiedsrichter eine Ecke. Aber es hätte Elfmeter sein müssen. Das sahen wir alle so. Und keiner meiner Spieler reklamierte.“ Die Journalisten schwiegen, Petrović zuckte mit den Achseln.

In der zurückhaltenden, höflichen japanischen Gesellschaft funktioniert Fußball eben nicht wie in Europa. Der Schiedsrichter gilt als unfehlbar, auch die Presse diskutiert dessen Leistungen nicht. Ein Beispiel: Als beim Eröffnungsspiel der WM 2014 Referee Yuichi Nishimura einen fragwürdigen Elfmeter für Brasilien gegeben hatte, regte sich die ganze Welt tagelang auf. In Japans Medien blieb es still.

Auch böse Fouls gibt es in Japans Fußball kaum. Die Spielregeln, so scheint es hier oft, werden nicht als etwas interpretiert, was man ausreizen und auch mal überschreiten kann, sondern eher als allerletzte, mahnende Grenze des Möglichen. Und grundsätzlich ist man in Japan auch stolz auf diesen Stil. Die Fairplay-Awards, die japanische Nationalmannschaften regelmäßig bei internationalen Turnieren gewinnen, sind im Fußballmuseum im Zentrum Tokios groß ausgestellt. Japanische Fußballer brauchten eben keine Fouls, um Erfolg zu haben, so die Botschaft.

Schrei nach drei Roten Karten

Nach den drei sieglosen Spielen zu Saisonende, die die Red Diamonds die sicher geglaubte Meisterschaft gekostet haben, schien nur noch deren aufbrausender Trainer recht zu haben. „Fußball ist ein sehr schmutziger Sport“, sagte Petrović in einem sehr harten Ton. „Manchmal musst du drei Rote Karten bekommen, damit du am Ende gewinnst.“ Dann drehte er sich fragend zu seinem Übersetzer: „Wann hat ein Spieler das letzte Mal eine Gelbe Karte bekommen?“

Für Petrović, der seit 2006 in Japan arbeitet, wäre der Gewinn der J-League sein größter Erfolg gewesen. Immerhin: Wie zuvor in Hiroshima hat er die Mannschaft erneuert, auf Erfolgskurs geführt. „Aber Japans Fußball hat sich stark entwickelt“, beteuerte er trotz aller Wut. Als die Profiliga J-League vor 20 Jahren gegründet wurde, importierten deren Klubs in großem Stil gealterte Weltstars. „Heute sind die jungen Spieler viel besser als die großen Namen, die einmal gut waren.“

Damit ätzte Petrović gegen Cerezo Osaka, der Klub stieg mit Altstars wie Diego Forlán oder Cacau sogar ab. In Urawas Aufstellung spielte kein Ausländer. Allerdings könnte Petrović genau so ein Mann gefehlt haben. Und wenn es nur für eine Gelbe Karte gewesen wäre.

ZUR PERSON

Michael Petrović, 57, ist Trainer der Urawa Red Diamonds in Japan. Der ehemalige Sturm-Spieler und -Trainer verlor die Meisterschaft in der letzten Runde. Der gebürtige Serbe arbeitet seit 2006 in der japanischen J-League. [ EPA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2014)

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