Schachtar Donezk: Dribbling fernab von Raketen

(c) REUTERS (ANATOLII STEPANOV)
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Donezk trägt Heimspiele wegen des Konflikts in Lwiw aus. Die Donbass-Arena wurde beschossen - ein Klub zwischen Spiel- und Schlachtfeld.

Frankfurt. Am Tag, an dem nach dem vereinbarten Waffenstillstand die schweren Waffen aus dem Kriegsgebiet im Donbass abgezogen werden sollen, es ist der 17. Februar, spielt der FC Schachtar Donezk in der Champions League gegen den FC Bayern München. Nicht in der heimatlichen Konfliktregion, in der selbst ernannten „Volksrepublik Donezk“, sondern im über tausend Kilometer entfernten Lwiw (Lemberg). Man kann sich kaum einen krasseren Gegensatz vorstellen: auf der einen Seite das militärische Ringen der Ukraine um Einheit und die Verbindung zu Europa, auf der anderen Seite der sportliche Kampf des ukrainischen Meisters in Europas Glamour-Liga. Und dennoch: Der Klub ist das Symbol für die Tragödie eines zerbrochenen Landes.

Es ist eine Ironie der Kriegswirren in der Ukraine, dass der Klub aus dem Grenzgebiet zu Russland ausgerechnet ins Grenzgebiet zum Westen ausweicht. Die Skepsis war groß, als Schachtar statt Charkiw die zum Weltkulturerbe zählende Hauptstadt Galiziens als vorübergehende Heimstätte wählte. Das russophile Donezk im Osten und das patriotische Lwiw im Westen galten in der vergangenen Dekade als politische Gegenpole. Doch befürchtete Feindseligkeiten blieben aus. Schachtars Fans spielten aber eine führende Rolle in den ukrainischen Protesten gegen die Separatisten. Diese Unterstützung der Einheit der Ukraine habe dem orange-schwarzen Klub sogar neue Anhänger im traditionell patriotischen Westen eingebracht, schrieb die englischsprachige Zeitschrift „Business Ukraine“.

Stars in humanitärer Mission

„Die Spieler aus Donezk fühlen sich jetzt hier bei uns in Lwiw wie zu Hause“, sagt Lembergs Bürgermeister Andrij Sadovyj, 46(J.), gegenüber dieser Zeitung. „Die Situation in der Ukraine, besonders im Osten des Landes, hat ihre Auswirkung auf FC Schachtar. Seit dessen Umzug im Vorjahr ist die Arena Lwiw voll, weil man hier den Fußball liebt. Jede Familie hat einen Freund oder einen Verwandten, der im Osten in den Regierungstruppen kämpft.“ Alle Spiele des Klubs seien in Lwiw sportlich und organisatorisch reibungslos abgelaufen. „Schachtar findet hier sicherlich die besten Bedingungen vor“, sagt Sadovyj.

Am Spiel gegen Bayern herrscht großes Interesse, das Stadion wird ausverkauft sein. „Wenn ich es einrichten kann, komme auch ich zum Spiel. Unsere Aufgabe wird es sein, im Stadion und in der Stadt Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten.“ Letzteres gilt auch für den proeuropäischen Bürgermeister persönlich. Am 25. Juli letzten Jahres schlug nachts eine Panzerabwehrrakete, abgefeuert von einem Unbekannten, in Abwesenheit des fünffachen Vaters und seiner Familie in seinem Wohnhaus ein.

Schachtar, auf Deutsch Bergmann, ist nicht nur sportlich auf dem Spielfeld, sondern humanitär auch auf dem Schlachtfeld präsent. Der Fußballmeister, sein milliardenschwerer Besitzer, Rinat Achmetow, 48, und dessen vor sechs Jahren für 175 Millionen Euro erbautes Prunkstadion versinnbildlichen mit ihrer Ambivalenz die Absurdität dieses Konflikts. In der kriegsbeschädigten Donbass-Arena wird nicht mehr Fußball gespielt, sondern notleidenden Menschen geholfen. Der an ein UFO erinnernde Glaspalast der Euro 2012 dient der Rinat-Achmetow-Stiftung als logistisches Hilfszentrum. „Am Montag, 9. Februar, werden in der Donbas- Arena Kinderpakete an Familien aus Donezk und Makiivka verteilt.“ Dieser Hinweis des FC Shakhtar Press Office an die unter dem Krieg in der Ostukraine leidende Zivilbevölkerung war auf der Webseite des Klubs zu finden – zwischen sportlichen Meldungen aus dem Trainingslager in Spanien. Unter der Rubrik „FC Shaktar News“ stand an erster Stelle das „Video of the Day“ von der geordneten Verteilung der Lebensmitteltüten im Fanshop.

Die Angst von 13 Brasilianern

Als der Bürgerkrieg zwischen pro-russischen Separatisten und der ukrainischen Armee im vergangenen Juli immer mehr zivile Opfer forderte, gründete Achmetow das Humanitarian Center Aid+Help. Der Oligarch ließ mit Lastwagen-Konvois tonnenweise Lebensmittel aus Dnjpropetrowsk heranschaffen. Mitarbeiter, Fans und freiwillige Helfer des Vereins verteilten im vergangenen Jänner bis zu einer halben Million Hilfspakete mit dem Aufkleber: „Humanitäre Hilfe. Nicht zum Verkauf.“

Es herrscht trotzdem Aufruhr. Eine Überwachungskamera hat die heftigen Artillerie-Einschläge festgehalten – und ein Drama. Das Video zeigt ein Mädchen, das im Schusswechsel über die Straße zum Stadion läuft und von herabfallenden Trümmern verschüttet wird. Es muss wie durch ein Wunder überlebt haben, denn Generaldirektor Sergej Palkin teilte mit, es habe keine Toten gegeben.

Achmetow, seine Mannschaft und die Administration „flohen“ vor der eskalierenden Gewalt nach Kiew. Der einstige Kohle- und Stahlmagnat, reichster Mann der Ukraine, lenkt sein Firmenimperium SCM jetzt von der Hauptstadt aus, FC Schachtar trägt seit Saisonbeginn am 27. Juli die „Heimspiele“ im Lemberger Exil aus, im gemieteten EM-Stadion von 2012. Ausschlaggebend für den Exodus war offenbar der Abschuss der Boeing 777 der Malaysia Airways mit 298 Toten am 17. Juli. Denn sechs südamerikanische Spieler weigerten sich danach, von einem Trainingslager in der Schweiz und einem Testspiel in Lyon zurückzufliegen. Sie fühlten sich in Donezk nicht mehr sicher, so ihre Begründung, und fehlten am 22. Juli beim verlorenen Supercup-Finale gegen Dynamo Kiew. Rinat Achmetow garantierte seinem Klub, in dem 13 Brasilianer spielen, umgehend Sicherheit durch den Umzug. Zum Ligastart war der Kader komplett.

In der Champions League zumindest bildet das von einer Spaltung bedrohte Land eine Einheit mit einem gemeinsamen Publikumsliebling – dem Brasilianer Torjäger Luiz Adriano, der beim 7:0 gegen den weißrussischen Klub Borissow mit fünf Toren den Champions-League-Rekord von Lionel Messi einstellte. Die vereinbarte Waffenruhe, sagt Kapitän Darijo Srna, seit elf Jahren für Schachtar spielender Kroate, gebe der Mannschaft „mehr Energie für das Spiel gegen Bayern. Unsere Fans wissen: Wir spielen für sie und Frieden im ganzen Donbass.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2015)

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