Fußball: Die Unruhe der Grande Nation

SPAIN SOCCER PRIMERA DIVISION
SPAIN SOCCER PRIMERA DIVISION(c) APA/EPA/DANIEL PEREZ
  • Drucken

„Je suis Charlie“ – dieser Slogan der Solidarität bewegte nach den Anschlägen in Paris ganz Frankreich. Doch viele Profis blieben stumm und heizten damit die Integrationsdebatte wieder an.

Paris. Nach den Terroranschlägen auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ ging eine beispiellose Solidaritätswelle um die Welt. Auch Fußballspieler trugen Trikots mit der Aufschrift „Nous sommes tous Charlies“. Doch einige Profis wollten sich der Bewegung partout nicht anschließen. Der Torhüter des FC Toulouse, Ali Ahamada, weigerte sich, eine schwarze Binde anzuziehen. Drei Spieler des FC Valenciennes strichen den Slogan „Je suis Charlie“ von ihren Trikots.

Dabei handelt es sich um keine Petitesse. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf das Verhältnis zwischen Religion und Fußball in Frankreich. „Sind sie nicht alle Charlie?“, fragte die Sportzeitschrift „L'Equipe“. Der Fall wuchs sich zu einer veritablen Affäre aus, der Präsident des FC Toulouse musste sich gar öffentlich entschuldigen.

80 Prozent der französischen Fußballer, schreibt der Journalist Daniel Riolo in seinem Buch „Racaille Football Club“, kommen aus der Banlieue. Franck Ribéry stammt aus einem Armenviertel in Boulogne-sur-Mer, Karim Benzema ist in einer Trabantensiedlung vor den Toren Lyons aufgewachsen, Frankreichs WM-Held Zinédine Zidane kommt aus dem Armenviertel La Citadelle in Marseille. Frankreichs WM-Titel 1998 wurde im eigenen Land als Erfolg der Integration verklärt, das Modell „Black-Blanc-Beur“ (black für Schwarzafrikaner, blanc für Franzosen, beur für Nordafrikaner) sollte Schule machen.

Vielfarbige Illusion

Doch das Konzept erwies sich als Illusion. 2005 brannten die Vorstädte, das Land war in Aufruhr. 2010 kam es beim Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und Algerien im Stade de France zum Eklat, weil algerische Fans bei der Marseillaise pfiffen. Frankreich spielte zu Hause auswärts, kommentiert Riolo bitter. Wenig später meuterte das Team bei der WM in Südafrika. Die Équipe Tricolore ist die Projektionsfläche für die nationale Identität, und nur so ist zu verstehen, warum es immer zu Debatten kommt. Wenn Benzema die Nationalhymne nicht mitsingt, ist es ein Politikum. Er sagt: „Wenn ich treffe, bin ich Franzose, wenn ich nicht treffe, bin ich Araber.“ Der Stürmer hat aber auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich im Herzen als Araber fühlt.

Im Nationalteam zeigt sich das Integrationsproblem wie unter einem Brennglas. 2008 forderte Éric Abidal, dass Speisen in der Vorbereitung halal sein sollten – also frei von Blut, Schweinefleisch, Schweinefett und Alkohol (ähnlich wie koscher im Judentum). Der wankelmütige Teamchef Raymond Domenech gab dem Druck nach und verordnete im Trainingscamp von Clairefontaine diesen Menüwunsch; die Nation aber grollte. Das Nationalteam eines streng laizistischen Landes macht sich religiöse Insignien zu eigen, und dann auch noch jene des Islam. In der Umkleidekabine wurden Gebetsteppiche ausgerollt. WM-Torhüter Fabien Barthez erinnerte sich: „Wenn man in die Umkleidekabine kam, glaubte man sich in einer Moschee.“ Soziologe Gilles Kepel warnte vor einer „Halalisierung“ des französischen Teams.

Im aktuellen Kader der Équipe Tricolore stehen vier Muslime: Karim Benzema, Paul Pogba, Moussa Sissoko und Bacary Sagna. Bei der WM 2014, die mit dem Ramadan zusammenfiel, fragten besorgte Beobachter, ob fastende Fußballer überhaupt leistungsfähig seien. Im Sport stellte sich plötzlich die brisante Frage, die in der Politik mit rhetorischer Finesse weggewischt wird: Gehört der Islam zu Frankreich? Samir Nasri, inzwischen aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, rief 2012 bei der Meisterfeier von Manchester City im saudischen TV-Sender al-Arabiya: „Allahu Akbar!“ (Gott ist groß.) Für viele Franzosen ein Affront. Dass Nasri im Sommer in Miami Partys feiert und sich mit schönen Frauen umgibt, passt zudem nicht ganz zu einem strengen Islam.

Macht der Symbolik

Fußballer sind Vorbilder, und da zählt jede Symbolik. Bilal Yusuf Mohammed alias Franck Ribéry, der 2006 zum Islam konvertierte und sich zwischenzeitig mit einem wallenden Bart auch optisch den Glaubensbrüdern anpasste, gab seinem Sohn den Namen Saif-al-Islam (Schwert des Islam). 2014 irritierte Nicolas Anelka mit der Quenelle, einem umgekehrten Hitler-Gruß – einer Geste, die auch der Komiker Dieudonné einsetzt. Dieudonné, wegen Volksverhetzung und Verherrlichung des Terrorismus angeklagt, postete nach den Terroranschlägen auf Facebook: „Ich fühle mich wie Charlie Coulibaly.“ Eine Provokation.

Diese heimliche Sympathie mit den Attentätern fand in den Vorstädten Widerhall. Die Banlieue war nicht Charlie. Ribéry, Nasri und Benzema blieben seltsam stumm. Den Soziologen Stéphane Béaud überraschte das nicht. „Fußballer sind auch soziale Wesen. Diejenigen, die nicht Charlie sein wollen, haben wahrscheinlich starke religiöse Überzeugungen: Sie erkennen sich in der redaktionellen Ausrichtung von ,Charlie Hebdo‘ nicht wieder.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.