Frauenfußball-WM: Vorbildrolle der Weltmeisterinnen

Japan beat Switzerland in Women s World Cup Players of Nadeshiko Japan express joy for their 1 0 vic
Japan beat Switzerland in Women s World Cup Players of Nadeshiko Japan express joy for their 1 0 vic(c) imago/Kyodo News (imago sportfotodienst)
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Japans Frauen spielen um die Titelverteidigung und brechen traditionelle Geschlechterbilder in der Heimat auf. Das will auch der Premierminister nützen.

Vier Jahre ist es her, als sie Spiel für Spiel ein Banner durch die deutschen WM-Stadien trugen. Darauf stand: „An unsere Freunde auf der ganzen Welt. Danke für eure Unterstützung.“ Im Finale in Frankfurt kämpften sich die Japanerinnen ins Elfmeterschießen und schlugen den Favoriten USA am Ende verdient. Obwohl die japanischen Fußballerinnen auf dem asiatischen Kontinent schon länger führend waren, wunderte sich die Welt doch ziemlich – es handelte sich um eine fußballerische, fast humanitäre Sensation.

Nicht nur, dass vorher noch nie eine japanische Fußballauswahl eine Weltmeisterschaft gewonnen hatte, den Überraschungssieg erreichten sie überdies vier Monate nach der verheerendsten Katastrophe Japans der vergangenen Jahrzehnte. Am 11. März 2011 war über die Nordostküste nach einem schweren Erdbeben ein Tsunami mit teils über 20 Meter hohen Wellen hereingebrochen. Knapp 20.000 Menschen starben. Und als wäre das nicht genug gewesen, schmolzen im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi auch noch drei Reaktorkerne, die bis heute kaum unter Kontrolle sind. Im Licht der Katastrophe mussten 300.000 Menschen umgesiedelt werden, und wegen des Strommangels trainierte die Nationalmannschaft abends ohne Flutlicht, konnte sich kaum richtig vorbereiten – und holte trotzdem den WM-Titel.

Dieser Tage träumt Japan vom nächsten Coup. In der Nacht auf Mittwoch gewann das Team bei der Endrunde in Kanada im Achtelfinale gegen die Niederlande mit 2:1, zeichnete sich dabei wieder einmal durch ein kontrolliertes Spiel und viel Geduld aus. Am Samstag geht es im Viertelfinale gegen den Emporkömmling Australien. Der japanische Frauenfußball hat in der Heimat ein hohes Standing. Länderspiele werden regelmäßig live im Fernsehen übertragen, laufen in Bars, man spricht über die Erfolge. Die Titelverteidigung gilt als schwierig, nicht aber als unwahrscheinlich. „Wir treten als Titelverteidiger mit guten Karten an“, hat Trainer Norio Sasaki vor dem Turnier gesagt. Mit dem Sieg 2011 hat sich auch das Interesse im Land für seine Fußballerinnen enorm verstärkt. In den Schulen boomt der Mädchenfußball, die Führungsspielerinnen sind Vollprofis, haben Werbeverträge und treten im TV-Shows auf. Der Durchschnittsjapaner weiß, dass WM ist – und Japan gewinnen könnte.

Hoher politischer Wert

Vor vier Jahren war das noch nicht unbedingt so. Schließlich bestimmt die traditionelle Rollenaufteilung der Geschlechter, wonach der Mann für das Einkommen und die Frau für den Haushalt sorgt, weiterhin die Gesellschaft. Bis heute diskriminiert kaum ein Industrieland in Sachen Wirtschaft und Politik die Frauen derart stark wie Japan. Der Spitzname der Fußballerinnen lautet wohl nicht aus Zufall Nadeshiko – ein Synonym für das traditionelle Frauenideal, also eine geduldige, dienende, charmante Dame.

Da diese Nadeshiko nun aber Japans einzige realistische Hoffnung auf einen WM-Titel im Fußball sind, der allmählich Baseball als beliebtesten Sport des Landes ablöst, fiebern auch die japanischen Machos mit. „Wir müssen uns vor niemandem mehr dafür rechtfertigen, dass wir Fußball spielen“, sagt Homare Sawa heute selbstbewusst. Die Anführerin der Mannschaft, die vor vier Jahren zur Spielerin des Turniers gekürt wurde, ist die Personifizierung des japanischen Frauenfußballs. Fast jeder Japaner kennt die 36-Jährige, die schon ihre sechste WM spielt und ein Star ist. Aber als sie als Siebenjährige anfing, musste sie mit ihrem größeren Bruder kicken, weil es für Mädchen keine Mannschaften gab. Mittlerweile sind die Nadeshiko auch von politischem Wert. Um das Wirtschaftswachstum im Land zu fördern, will Japans Premierminister, Shinzo Abe, mehr Frauen voll in den Arbeitsmarkt integrieren. „Die Frauen sind Japans am stärksten ungenutzte Ressource“, hat er mehrmals verkündet.

Für den Erfolg seiner Bemühungen, die vor allem den alten Rollenbildern und Vorurteilen durch Arbeitgeber gegenüberstehen, braucht Abe überzeugende Rollenmodelle. Kaum welche wären passender als die amtierenden Fußballweltmeisterinnen. Vor allem dann, wenn sie noch einmal gewännen. In den Bars von Tokio spottet man deshalb schon: Gelingt die Titelverteidigung, müssten nicht mehr die Nadeshiko mit einem Banner durch das Stadion laufen. Shinzo Abe sollte dann mit so einem Spruch durchs Parlament stolzieren: „Danke für eure Unterstützung.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2015)

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