Am Samstag könnte Österreichs Nationalteam mit schwedischer Schützenhilfe die EM-Qualifikation bejubeln. Diese Situation beflügelt mehr als sie hemmt, meint Martin Harnik.
Wien. Seit 2007 ist Martin Harnik Mitglied der österreichischen Nationalmannschaft, in 51 Spielen hat der gebürtige Deutsche das ÖFB-Trikot getragen. Der 28-Jährige zählt damit zu den routiniertesten Akteuren im Team von Marcel Koller, schon bei der Heim-Europameisterschaft 2008 kam er in allen drei Gruppenspielen zum Einsatz. Die Erinnerungen an das Großereignis im eigenen Land werden nie verfliegen. Harnik hat seitdem viele Höhen und Tiefen durchlebt, einige Teamchefs kommen und auch wieder gehen gesehen.
Zu einer Qualifikation für eine Endrunde sollte es während Harniks ÖFB-Ära aber bislang nicht reichen. Die Weltmeisterschaften in Südafrika (2010) und Brasilien (2014) fanden ebenso ohne Österreich statt wie die jüngste Europameisterschaft in Polen und der Ukraine (2012).
Nun, mehr als acht Jahre nach seinem Debüt gegen Tschechien (1:1, das ÖFB-Tor erzielte Harnik), scheint die Zeit reif für den nächsten, großen Schritt. Bei einem Sieg gegen Moldau am Samstag (20.45 Uhr) und einem gleichzeitigen Punkteverlust Russlands im Vergleich mit Schweden (18 Uhr, beide Spiele live in ORF 1) steht Österreich als Teilnehmer an der EM-Endrunde 2016 in Frankreich fest. „Ich habe erst am Montag davon erfahren, dass die Qualifikation schon am Samstag rechnerisch möglich ist“, sagt Harnik, der dieser Tage wie seine Kollegen große Vorfreude verspürt. „Der Gedanke daran, sich zu qualifizieren, stellt einem die Haare auf.“
Kein Kanonenfutter
Der Stuttgart-Legionär sieht eine kontinuierliche Entwicklung der Nationalmannschaft, so erklärt sich auch das aktuelle Hoch und Tabellenplatz eins. „Schon die letzte Qualifikation für die WM war ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass wir bereit sind anzugreifen.“ Jetzt gehe es darum, die Früchte der Arbeit zu ernten, sprich, sich erstmals aus eigener Kraft für eine EM zu qualifizieren. „Die Situation beflügelt mehr als sie uns hemmt“, betont Harnik und ergänzt: „Wenn wir die Quali schaffen, haben wir ein ganz, ganz großes Ziel erreicht.“
Doch noch ist es nicht so weit, weswegen Teamchef Marcel Koller seine Spieler eindringlich vor Moldau warnt. Man müsse den Gegner ernst nehmen, auch wenn in der Weltrangliste Welten zwischen Österreich (13.) und dem Gast aus Südosteuropa (124.) liegen. Der 2:1-Auswärtssieg in Chisinau vor elf Monaten glich einem Kraftakt. Harnik erinnert und mahnt: „Wir haben uns damals extrem schwergetan, das werden die Moldauer nicht vergessen haben. Und Kanonenfutter gibt es keines mehr.“
So ähnlich klingt auch Zlatko Junuzović, wenn er über die bevorstehende Aufgabe spricht. Die dichte Abwehr der Moldauer samt Fünferkette würde eine echte Herausforderung darstellen, „und laufen, kämpfen sowie über ein gewisses taktisches Niveau verfügen, das tut heute jede Mannschaft.“ Dennoch regiere natürlich die Zuversicht, die Favoritenrolle kann und will Österreichs Auswahl gar nicht erst zur Seite schieben. Wenn wenig klappen sollte, dann kann immer noch Standardspezialist Junuzović mit seinem rechten Fuß aushelfen. Aber so weit soll es erst gar nicht kommen. „Wir wollen dieses Match aus dem Spiel heraus entscheiden.“
Junuzovićs Appell
Im österreichischen Nationalteam macht man sich derzeit aber nicht nur über die laufende EM-Qualifikation Gedanken. Die aktuelle Flüchtlingsdebatte beschäftigt vor allem Zlatko Junuzović, der mit seinen Eltern und seiner Schwester während des Bosnienkrieges von Loznica (Westserbien) nach Kärnten geflüchtet ist. Junuzović selbst, er war vier Jahre alt, hat keinerlei Erinnerungen an diese Zeit, „aber ich kenne die Geschichten meiner Familie. Es war brutal.“
Jene Bilder, die seit Wochen sämtliche Gazetten beherrschen, beschäftigen den 27-Jährigen, gehen ihm nahe. „Sie sind ein Wahnsinn, schockierend“, sagt Junuzović und senkt dabei seinen Blick. Er hofft auf Solidarität und Unterstützung, „es ist auch eine Chance für jedes Land, seine Menschlichkeit zu zeigen. Diesen Leuten geht es richtig schlecht. Da darf man nicht wegschauen.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2015)