Trotz der frühzeitigen Qualifikation für die EM sieht Marcel Koller vor dem Spiel in Montenegro „keinen Grund nachzulassen“. Die Teamchef-Frage könnte zum großen Poker werden.
Wien. Es waren praktisch ausschließlich positive Schlagzeilen, die das österreichische Fußballnationalteam in den vergangenen zwölf Monaten produziert hat. Tore und Triumphe bescherten der ÖFB-Equipe die erstmalige sportliche Qualifikation für eine Europameisterschaft, von acht Spielen auf dem Weg nach Frankreich hat man sieben gewonnen, einmal wurden die Punkte geteilt. Seinen Höhepunkt erreichte der vor gar nicht allzu langer Zeit noch für unmöglich gehaltene Höhenflug des Teams beim 4:1 in Schweden. 90 Minuten als ein einziges Fest. „Ein tolles Spiel, ein tolles Erlebnis“, erinnert sich Julian Baumgartlinger, mitverantwortlich für die defensive Stabilität innerhalb der Mannschaft. Noch Tage später war der Mainz-Legionär ob der Tat historischen Ausmaßes „euphorisiert“, es hagelte allerorts Gratulationen. „Auch in Deutschland hat man registriert, was wir Österreicher geschafft haben.“
Während dieser Genussmomente aber kommt der Genuss oftmals zu kurz, im Fußball geht es eben „Schlag auf Schlag“, wie Baumgartlinger sagt. „Es bleibt nicht viel Zeit zu reflektieren.“ Zwischen Nationalteam und der Deutschen Bundesliga hin und her gerissen ist der Salzburger dieser Tage also wieder in der rot-weiß-roten Wohlfühloase gelandet. Am Freitag (20.45 Uhr) trifft man auswärts auf Montenegro, drei Tage später wartet zum Abschluss der EM-Qualifikation im Wiener Ernst-Happel-Stadion Liechtenstein (18 Uhr, jeweils live in ORF eins).
Kollers Mahnung
Für Österreichs Auswahl geht es in den beiden verbliebenen Spielen primär darum, die Position in der Fifa- und Uefa-Rangliste mit Erfolgen weiter zu stärken. Aktuell würde die Mannschaft von Marcel Koller bei der EM-Auslosung aus Topf zwei gezogen werden. „Es geht um Punkte und um eine gute Ausgangslage. Wir müssen nicht, aber wir wollen und können gewinnen. Die Motivation ist immer noch groß, der Siegeswille ungebrochen“, versichert Baumgartlinger, der in Podgorica sein 40. Länderspiel bestreiten dürfte.
Marcel Koller wird die kommenden Tage abseits des Rasens auch dazu nutzen, seine Spieler auf die letzten 180 Minuten dieser Qualifikation einzuschwören. Er möchte das Hochgefühl weitertransportiert wissen. Und er warnt vor Stillstand. „Bei aller Vorfreude auf die EM müssen wir uns auf das Tagesgeschäft fokussieren. Es gibt keinen Grund nachzulassen.“ Für den Schweizer dürfte es seinerseits keinen Grund geben, etwas an seiner (erfolgreichen) Linie zu ändern. Sowohl spielerisch-taktisch als auch personell sind in Montenegro keine Überraschungen zu erwarten. Koller: „Ich werde die besten Elf auf den Platz stellen, es gibt wenig Raum für Experimente.“
Während Österreich (22 Punkte) als eines von nur vier Teams bereits für die Europameisterschaft qualifiziert ist, spitzt sich der Dreikampf in der Gruppe G zwischen Russland (14), Schweden (12) und Montenegro (11) zu. „Die Montenegriner können noch etwas erreichen, die Stimmung wird sie beflügeln“, glaubt Baumgartlinger, der dem zu erwartenden Hexenkessel im 17.000 Zuschauer fassenden Stadion Pod Goricom gelassen entgegenblickt. „Wir sind es mittlerweile gewohnt, vor großen Kulissen und lauten Fans zu spielen.“
Die Teamchef-Frage
Am Montag wird es in Wien nochmals laut werden, wenn 48.500 Fans im Happel-Stadion ihre Helden feiern. Dabei wird der Gegner zur Nebensache, er heißt Liechtenstein und nicht etwa Deutschland. Der österreichische Fußballfan pilgert längst wieder wegen David Alaba und Co. zu den Heimspielen der Nationalmannschaft.
Eine solche Kulisse sei mittlerweile schon zur Normalität geworden, aber immer wieder „beeindruckend“, wie Baumgartlinger betont. „Es ist schön, was wir ausgelöst haben. Und es ist ein Ansporn, es weiter so voranzutreiben.“
Einen beträchtlichen Anteil am Erfolg hat Marcel Koller, dessen Vertrag nach der EM endet. ÖFB-Präsident Leo Windtner möchte vor der Endrunde wissen, wer danach den Teamchefposten besetzt. Koller signalisierte am Montag, diesbezüglich weniger Eile zu haben, „das ist der Wunsch des Präsidenten.“ Die Teamchef-Frage könnte zum großen Poker werden .
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2015)