Sepp Blatter: Der Tag der Abrechnung

SUI, FIFA, Sepp Blatter und Michel Platini suspendiert
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Am Montag soll das Urteil der Fifa-Rechtskammer über Sepp Blatter und Michel Platini ergehen. Die Fußballwelt rechnet mit langen Sperren, Anti-Korruptions-Experte Michael Hershman, fordert sie sogar.

Razzien haben etwas Alarmierendes an sich. Es gibt Blaulicht, Verbrechen, eventuell Gewalt – immer ist etwas Schlimmes passiert. Finden sie im Sport statt, dreht es sich zumeist um Doping oder Korruption. Bilder davon eilender, älterer, wohlgenährter Funktionäre oder alles leugnender Sportler machen dann die Runde.

Im Weltfußballverband Fifa ist jedenfalls seit einer Razzia am 27. Mai diesen Jahres im Züricher Nobelhotel Baur au Lac kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Zig Mitglieder und Funktionäre wurden mittlerweile auf Geheiß der US-Justiz verhaftet, ausgeliefert oder sitzen in Untersuchungshaft. Ihnen wird Korruption und Betrug, allen voran Bereicherung beim Privatverkauf von Tickets und TV-Rechten vorgeworfen. Obwohl die Unschuldsvermutung gilt, wurde der Druck zusehends größer, und der mächtige Weltverband fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus.

Sepp Blatter, seit über 40 Jahren im Haus, als Präsident wiedergewählt und für die fünfte Amtszeit bereit, trat Anfang Juni zurück. Die Einschläge kamen immer näher, der Walliser, 79, trat ab – obwohl er bislang nicht als Beschuldigter geführt oder offiziell gegen ihn ermittelt wird. Er wurde am 7. Oktober von der hauseigenen Ethikkommission dennoch gesperrt, weil eine Zahlung an Uefa-Präsident Michel Platini über 1,8 Millionen Euro aus dem Jahr 2011 offen blieb und beide trotz aller Bemühungen den Verdacht der „ungetreuen Geschäftsbesorgung“ nicht wegwischen konnten. Es soll ein Honorar gewesen sein für Dienste aus dem Jahr 2002 und somit erst neun Jahre später beglichen worden sein.


„Korruption überall!“ Das Urteil der Rechtskammer soll am Montag ergehen, lebenslange Sperren für alle fußballrelevanten Bereiche stehen im Raum. Blatter und Platini wähnen sich zu Unrecht belastet. Im Weltverband aber, so legen es die bekannten Fakten nahe, muss über Jahrzehnte ein System massiver Freunderlwirtschaft bis skrupelloser Korruption praktiziert – und vor allem toleriert worden sein.

„Nicht nur Fußball oder die Fifa haben Probleme mit Korruption“, sagt Michael Hershman, „sondern der ganze Sport. Jedes Großereignis muss man hinterfragen, jeden Verband.“ Die Worte des Amerikaners lassen aufhorchen, weil er der Internationalen Anti-Korruptions-Akademie (IACA) als Präsident des internationalen Beirates vorsteht und vor wenigen Jahren auch für die Fifa als Berater in Sachen Transparenz, Reformen und Integrität tätig gewesen ist. Seine Vorschläge wurden, wie auch Berichte von „Transparency International“ (2010) oder dem „Basel Institute of Governance“ (2011), jedoch „ignoriert“, sagt Hershman beim Interview mit der „Presse am Sonntag“ in der IACA-Zentrale in Laxenburg. Man hatte kein Interesse, am „System etwas zu ändern“. „Code of Conduct“, Compliance, Altersbeschränkung, limitierte Amtszeit – bei der Fifa war all das definitiv unerwünscht.

Sport, Verbände und Organisationen waren zu lange unterhalb des Radars von Steuerbehörden, Polizei oder unabhängigen Instanzen unterwegs gewesen, sagt Hershman. Wie eine Matrix liest er das System, wie ein Gang durch einen Selbstbedienungsladen. „Solche Institutionen sind wie globale Konzerne. Sie setzen Milliarden um mit TV-Geld und Sponsoren. Aber man sah nur das Event.“ Was geschah hinter den Kulisse? Ein Werk ohne Wert und Ethik, speziell bei der Fifa.


Der verkaufte Fußball. Hershman sagt, dass die Fifa seit Jahrzehnten Probleme hat. Ticket-Betrug, der ISL-Skandal oder andere Machenschaften wurden stets mit der gleichen Auskunft abgehandelt: „Es war das Vergehen einer Einzelperson. Wir kümmern uns selbst darum.“ Laut Hershman war immer ein System dahinter. Es seien nie Einzelne gewesen, jeder müsse davon gewusst haben ab einer gewissen Funktionärsebene. Allen voran Blatter. „Er wusste augenscheinlich ganz genau, was los war, welches Spiel da gespielt wurde. Er ist ein exzellenter Politiker, hatte all die Informationen – und die sind Geld wert oder noch mehr.“ Wer viel weiß, bleibt unangetastet, wahrt seine Position, wird immer gewählt.

In Amerika arbeiten FBI und Staatsanwälte derweil auf Hochtouren. Anklagen gegen 40 Personen, sagt Hershman, sind so gut wie fix. Die Ermittlungen laufen weiter, vor allem Justizministerin Loretta Lynch habe einen „starken Ansatz“. „Sie sagte: ,Niemand wird uns entkommen!‘ Eine tolle Ansage.“ Acht Funktionäre plädierten in Brooklyn bereits auf „schuldig“, sie kooperieren mit den Behörden. Vor allem Ex-Fifa-Vize Chuck Blazer habe offensichtlich „ein enormes Mitteilungsbedürfnis“, um straffrei zu bleiben.

Hershman musste zu einem Detail schmunzeln. Die in Fußballfragen eher unbedarfte US-Richterin wusste nicht, wie man Fifa ausspricht, die Ausführungen wurden ihr zu bunt und sie stufte den Fall als „Racketeer Influenced and Corrupt Organization“ ein. Der Fifa-Case gilt als „Rico-Act“, als Verfahren gegen eine Organisation mit mafiösen Strukturen. Hershman: „Jetzt sind sie in Nord- und Südamerika. Dann kommt Afrika dran, Asien – und dann bald auch Europa.“


Das Zuwarten der Schweiz. Wie wird man korrupt, wie entwickelt sich so ein Gebilde, globale Vernetzung, Stimmenkauf – Hershman skizziert ein erschreckendes Bild. Man müsse sich vom naiven Bild der freiwillig arbeitenden Funktionäre verabschieden. Selbstinteresse und Gier hätten die Oberhand gewonnen, ermöglicht dadurch, dass Kontrolle und unabhängige Instanzen fehlen. Daher treffe Blatter nicht die Alleinschuld, wenngleich er „als Anführer versagt hat. Die Fifa ist keine demokratische Organisation. Ich sehe keine wirkliche Integrität, Ethik. Und der Deal mit Platini? Blatter brauchte wohl etwas von ihm – er wusste, wie er es bekommt.“ Angst, dass ihn Blatter, Platini oder andere klagen, hat Hershman nicht. Er sagt, er würde sich darüber sogar freuen, dann kämen weitere Fakten auf den Tisch.

Das plötzliche, schier unermüdliche Streben nach Transparenz in der Fifa sieht er dennoch kritisch. Nicht nur der Kopf und seine engsten Mitarbeiter müssten ausgetauscht werden, der ganze Verband, seine Abläufe gehörten verändert, alles müsse transparent sein. In diesem Punkt nahm der IACA-Beiratspräsident pikanterweise die Schweiz in die Pflicht. 50 oder mehr Sportverbände würden in der Schweiz residieren, allesamt nicht nur der guten Luft wegen, sondern wohl auch aus Steuergründen. „Und jetzt muss Amerika ihnen zeigen, was da los ist und ihre Gesetze verletzt werden?“

Es kommen neue Informationen, Anklagen, auch wird die Wahl am 26. Februar 2016 in Zürich stattfinden, es einen neuen Fifa-Chef geben. Favoriten wollte Hershman keinen nennen. Er hatte jedoch eine Befürchtung. Es könnte jemand sein, der mit dem gewohnten System bestens vertraut ist.

Steckbrief

Michael Hershman
Der Amerikaner gilt als Experte für die Aufklärung von Korruptionsfällen, war für UNO, FBI und die Fifa als Berater tätig.

IACA
Die Internationale Antikorruptions-Akademie ist seit 2011 in Laxenburg angesiedelt. Sie verfügt über einen Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen sowie bei der Staatengruppe des Europarates gegen Korruption.

Privat

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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