Schattenreich Fifa: Der verkaufte Fußball

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Das Jahr 2015 brachte etwas Licht in das Schattenreich Fifa - und endete mit dem beispiellosen Absturz des ewigen Präsidenten, Joseph Blatter.

Joseph Blatter, 79, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Rund eine Stunde nachdem das Urteil der Ethikrichter (acht Jahre Sperre) seiner Ära beim Weltverband ein Ende setzte, trat der scheidende Präsident in Zürich vor die Weltpresse – vielleicht zum letzten Mal. Aufgewühlt, gesundheitlich angeschlagen und gezeichnet von einem Jahr, wie es einmalig war in der Geschichte des Weltsports Fußball. In rund sieben Monaten ist ein System kollabiert, das maßgeblich mit dem Namen Blatter verbunden ist.

Der Anfang vom Ende ereignete sich im Morgengrauen des 27. Mai. Im noblen Hotel Baur au Lac am Zürichsee nahmen Fahnder der Schweizer Polizei als Amtshelfer der US-Justiz sieben hohe Fußballfunktionäre wegen Korruptionsverdachts fest – darunter den Blatter-Stellvertreter und -Vertrauten, Jeffrey Webb. Die Funktionäre weilten zum Fifa-Kongress in Zürich, zwei Tage nach der Razzia sollte der ewige Präsident Blatter ein viertes Mal wiedergewählt werden.

Und so kam es auch. Dass die Fifa gerade in ihren Grundfesten erschüttert wurde, war den Delegierten egal. Es gab Beifall für Blatter. Der Schweizer gewann mit 133:73 Stimmen gegen Ali bin al-Hussein. Für die nötigen zwei Drittel der Stimmen reichte es nicht, doch der jordanische Prinz gab auf. Wie schon in seiner bisherigen 17-jährigen Amtszeit konnte sich Blatter auf seine treue Gefolgschaft verlassen: eine Hundertschaft aus kleinen Verbänden, die wegen seiner Entwicklungsprogramme im Schweizer einen Heilsbringer sieht. Denn obwohl die Ära Blatter auf einer Korruptionskultur basierte, hatte die Fifa in seiner Amtszeit großen wirtschaftlichen Erfolg. Blatters Siegesrede war ein erstes Beispiel für die zahlreichen bizarren Auftritte, die noch folgen sollten. Er witterte Verrat und wies alle Vorwürfe von sich: „Das sind Einzelpersonen, das ist nicht die gesamte Organisation.“

»Mafia-Familie«. Umso überraschender kam die Rücktrittsankündigung nur vier Tage nach der Wiederwahl. Bis heute ist unklar, was sich im Fifa-Hauptquartier in diesen gut 100 Stunden abspielte. Blatter schwieg sich zu den Motiven aus, gab aber plötzlich den großen Reformer, um seinem schon bröckelnden Lebenswerk noch den Anschein von Moral zu verpassen.

Keine 48 Stunden nach der Rücktrittsankündigung Blatters kamen neue Indizien aus den USA. Chuck Blazer, ehemaliges Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees und nun Kronzeuge des FBI, zeigte sich gesprächig und sagte vor einem Gericht in New York aus. Die Richterin wusste zwar nicht, wie man Fifa ausspricht, stellte aber klar, als was sie den Weltverband einstuft: als Organisation mit mafiösen Strukturen.

Zuerst verdichteten sich Verdachtsmomente um zweifelhafte Funktionäre aus karibischen Inselparadiesen. Doch bald erreichten die Vorwürfe auch die Schweizer Fifa-Zentrale. Eine dubiose Zahlung von zehn Millionen Dollar wurde von Südafrika als WM-Gastgeber 2010 über Zürich Richtung Karibik und den skandalumwitterten Jack Warner abgewickelt. Plötzlich befand sich auch Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke im Visier der Ermittlungen. Der Blatter-Intimus musste als Nächster seinen Posten räumen. Die Einschläge der Ermittler kamen dem Präsidentenbüro immer näher – und trafen schließlich auch.

Eine Zahlung von zwei Millionen Schweizer Franken an seinen früheren Vertrauten und heutigen Intimfeind, Michel Platini, im Jahr 2011 sollte Blatter – und auch Uefa-Chef Platini – zum Verhängnis werden. Der an allen Finanzkontrollen vorbeigeschleuste Geldtransfer für eine neun Jahre zurückliegende Beratertätigkeit rief die Schweizer Justiz auf den Plan. Denn wenige Tage nachdem das Geld auf Platinis Konto einging, ordnete Platini die Unterstützung aller europäischen Nationalverbände für Blatter auf dem bevorstehenden Fifa-Wahlkongress an. „So läuft das in der Mafia-Familie namens Fifa“, schrieb der Experte Jens Weinreich Ende September an dieser Stelle. Am 7. Oktober sprach die Fifa-Ethikkommission, die Blatter einst selbst ins Leben gerufen hatte, gegen beide Spitzenfunktionäre eine provisorische Sperre von 90 Tagen aus.

Blatter sah sich mehr denn je als Verfolgter in den Trümmern seines zusammengebrochenen Imperiums. Aus seinem Büro wurde er verbannt, in seinen Interviews wetterte er aber gegen die Fifa-Ethikhüter, als hätte er die Geschicke des Weltfußballs noch fest in der Hand. „Was die Ethikkommission mit mir macht, das ist wie eine Inquisition“, meinte der suspendierte Präsident. Im „Spiegel“ sprach er von einer „Hexenjagd“ und beklagte, sein einziger Fehler sei es gewesen, ein „viel zu vertrauensvoller Mensch“ zu sein. Vom enormen Druck in die Knie gezwungen, begab sich Blatter Anfang November ins Krankenhaus. Er sei „dem Tod sehr nah“ gewesen und habe die Engel singen gehört, erzählte er danach.

Auf Reisen in Länder, in denen ihm eine Verhaftung oder Auslieferung in die USA drohte, hatte der Schweizer schon zuvor verzichtet. Bitter für Blatter, denn gerade wenn er unterwegs war, fühlte er sich in seiner Bedeutung bestätigt. Die Treue hielt ihm nur noch Russlands Präsident, Wladimir Putin, („Wir sollten Blatter den Friedensnobelpreis geben“) und die „Weltwoche“, seine Schweizer Hauspostille, die ihn unlängst zum „Schweizer des Jahres“ kürte.

Vor der Sitzung des Exekutivkomitees am 3. Dezember folgte dann der nächste Paukenschlag – wieder war das Hotel Baur au Lac der erste Schauplatz. Die Fifa-Vizepräsidenten Juan Angel Napout und Alfredo Hawit Banegas wurden wegen Bestechungsverdachts festgenommen. Das US-Justizministerium erhob gegen insgesamt 16 Funktionäre Anklage wegen Korruption.

Am Heiligen Abend wurde schließlich der frühere Fifa-Vizepräsident Eugenio Figueredo von der Schweiz an seine Heimat Uruguay ausgeliefert. Er hatte die Existenz eines umfangreichen Korruptionsnetzes in Südamerika eingestanden. Figueredo, Ende Mai in Zürich festgenommen, soll auch eingeräumt haben, dass zehn Präsidenten nationaler Fußballverbände in Südamerika Bestechungsgeld kassiert haben, etwa beim TV-Rechtehandel.


Der Sturz. Vor gut einer Woche mussten die suspendierten Blatter und Platini wegen der Zwei-Millionen-Franken-Zahlung vor die Ethikkommission. Die Richter kamen zum Schluss, Blatter habe den Geldtransfer in seiner Funktion als Fifa-Präsident abgesegnet – allerdings ohne rechtliche Grundlage. Die Erklärung, es habe sich um eine mündliche Abmachung gehandelt, hat das Gremium nicht überzeugt. Das Urteil: jeweils acht Jahre Sperre für alle Fußballaktivitäten. Die Funktionärswelt im Jahr 2015 lag endgültig am Boden, das System Blatter war kollabiert. Vor der Wahl eines neuen Fifa-Präsidenten am 26. Februar 2016 ist die moralische Krise des Weltfußballs so groß wie nie. Platini steht ein halbes Jahr vor der Heim-EM vor den Trümmern seiner Funktionärskarriere. Der Traum, Fifa-Präsident zu werden, ist ausgeträumt. Doch der gesperrte Uefa-Chef und bekennende Befürworter der ebenfalls skandalumwitterten WM in Katar 2022 will um Rehabilitierung kämpfen. Nächster Schritt wäre eine Aussage vor dem Fifa-Berufungskomitee. Doch wer soll die Geschichte vom mündlichen Vertrag noch glauben?

Auch Blatter, der inzwischen wohl am meisten verachtete Sportfunktionär der Welt, will weiterkämpfen. In wenigen Monaten hat der 79-jährige Machtmensch praktisch alles verloren. Merklich angeschlagen und an der Seite seiner Tochter suhlte er sich bei seinem bisher letzten Auftritt erst in Selbstmitleid, um sich dann als Opfer einer politischen Intrige darzustellen. Blatter will wie Platini umgehend durch die Instanzen bei Fifa und Sportgerichtshof ziehen. Auch das Berner Bundesgericht will er bemühen.

Doch dem Walliser droht weiteres Ungemach. Die US-Justiz stuft seine Fifa als kriminelle Organisation ein, Untersuchungen laufen. US-Ermittler sichten in der Schweiz alte Akten, rollen Fälle wieder auf. Vor dem Jahreswechsel stehen Fifa und Uefa führungslos da. Das Vermächtnis ihrer gestürzten Bosse: Korruption und schwarze Kassen (Artikel rechts).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2015)

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