Sebastian Prödl: Ein "Knochenhinhalter" in England

Sebastian Prödl.
Sebastian Prödl.(c) REUTERS (Andrew Couldridge)
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Mit Watford spielt Sebastian Prödl am Sonntag um den Einzug ins FA-Cup-Finale. Der Steirer, 28, erzählt bei einem Besuch über Konkurrenzdruck, Geld und sein Image als Verteidiger.

Wo der englische Fußballverein FC Watford spielt, ist jedem Kind in London bekannt. Das Stadion an der Vicarage Road ist legendär, nicht nur, weil eine Tribüne seit 2014 nach Elton John benannt ist. Damit setzte der Verein dem eingefleischten Watford-Fan und Ehrenpräsidenten ein Denkmal, auch wenn ihm heute nur noch Anteile des Klubs gehören. Wo die „Hornissen“, wie die Spieler mit den schwarz-gelben Dressen genannt werden, hingegen wochentags trainieren, ist nicht einmal im nächstgelegenen Ort Potters Bar in Hertfordshire im Norden Londons bekannt. Das Trainingsgelände liegt wie das unmittelbar benachbarte des Stadtrivalen Arsenal weitab zwischen Autobahnen und grünen Wiesen. Hierher kommt nur, wer zum Verein gehört. Medien dürfen dem Training nicht beiwohnen, und Fans können den Profis ausschließlich als Stadionbesucher ein wenig näher kommen.

Für Sebastian Prödl ist genau diese totale Abschottung eines der Erfolgsrezepte des englischen Fußballs. „Wir haben unsere Ruhe beim Training, der Druck ist nicht so groß wie in Deutschland, wo jeden Tag Kamerateams und viele Journalisten beim Training sind und dir sagen, warum du am Wochenende schlecht warst.“ Der Steirer, der seit Sommer 2015 für den Erstligisten spielt, hat gerade die tägliche Trainingseinheit hinter sich, seine Kollegen sitzen beim späten Mittagessen in der Kantine. Prödl hätte eigentlich allen Grund zu feiern. Mittwochabend hat er seinen ersten Treffer in der Premier League erzielt und in den Medien für Begeisterung gesorgt. „Wunderschön, perfekt“ sei sein Halbvolleytor gegen West Ham United gewesen. Der Wermutstropfen: Das Spiel ging 1:3 verloren. Die Enttäuschung über die Niederlage wog schwerer als der persönliche Erfolg. „Ich konnte nur schwer einschlafen“, erzählt der 28-Jährige. „Ich wusste nicht, soll ich mich über mein erstes Premier-League-Tor freuen oder auf das Ergebnis schauen. Leider überwiegt die kollektive Niederlage.“

Die große Chance. Am Sonntag (17 Uhr, live Eurosport) tritt Watford im Halbfinale des FA Cup im legendären Wembley-Stadion gegen Stadtrivalen Crystal Palace an, die Erwartungen sind hoch. Immerhin hat man Arsenal eliminiert, das große Finale scheint in Greifweite. Die Performance des Vereins ist solide, der Klassenerhalt gesichert, auch wenn einige vermeidbare Niederlagen der vergangenen Wochen Rufe nach einer Ablöse des spanischen Trainers Quique Sánchez Flores laut werden ließen. Auch die Philosophie des Trainers, allen Spielern des multinationalen Kaders möglichst viel Spielpraxis zu gewähren, ist nicht unumstritten. Prödl musste lernen, auch nach guten Leistungen plötzlich wieder auf der Bank zu sitzen. „Es ist die Entscheidung des Trainers, aber das Rotationsprinzip ist für alle nicht einfach. Man wünscht sich als Spieler immer, mehr zu spielen.“

Obwohl Fußball ein Mannschaftssport sei, habe man persönliche Ziele. „Natürlich bin ich nach England gekommen, um mich einzubringen, um Erfahrungen zu sammeln und um in dieser unglaublich intensiven Liga zu bestehen“, erklärt der Steirer die neue Herausforderung. „Man muss noch einmal von null anfangen, sich neu beweisen.“ Die Situation in Deutschland, wo Prödl von 2008 bis 2015 für Werder Bremen spielte, sei völlig anders gewesen. „Da wusste ich vorher, ob ich am Wochenende spiele oder nicht. In Watford“, sagt Prödl, „ist der interne Konkurrenzkampf wesentlich härter. Du darfst dir auch im Training keine Schwäche erlauben.“

Ob die starke Konkurrenz das Verhältnis der Spieler zueinander beeinflusst? „Es ist oft ein Kampf, auch mit sich selbst. Nicht nur, um den Schein zu wahren, um gut drauf zu sein.“ Er sei aber seit seinem Wechsel nach England nicht nur sportlich, sondern auch mental gereift, sagt Prödl. „Ich schalte dann auf Einzelsportlermodus um. Ich muss auf meine eigenen Leistungen und Ziele schauen.“ Die Entscheidung, nach England zu gehen, sei absolut die richtige gewesen, betont Prödl. „Es gab immer diesen Traum. Die Premier League hatte auf mich schon von klein auf eine magische Anziehungskraft.“ Die englische Liga ist auch eine der am besten zahlenden der Welt, doch Geld will der ÖFB-Teamverteidiger nicht überbewerten.

„Es wäre gelogen, wenn man sagt, man schaut nicht aufs Geld. Aber ich habe mich bisher nie nur nach finanziellen Aspekten entschieden.“ Dennoch ist es kein Geheimnis, dass Prödl bei Watford besser verdient denn je. „Als Fußballer hat man nur eine begrenzte Zeit, um Geld zu verdienen.“ Ziel sei es, den jetzigen Lebensstandard auch nach der Karriere aufrechterhalten zu können. „Ich bin nicht einer, der Geld rauswirft oder damit angibt. Ich habe die Einstellung: Wie viel Geld kann ich weglegen, nicht, wie viel kann ich ausgeben.“

Kein Schnickschnack. Die Kritik an der Premier League kann Prödl nicht nachvollziehen. „Sie wird zu Unrecht auf das Körperliche reduziert“, sagt der 28-Jährige, der der Gegenüberstellung von Ballkünstlern und Athleten wenig abgewinnen kann. „Die deutsche Liga ist technisch, taktisch und physisch sehr gut. Die englische ist aggressiver, körperbetonter, lebt mehr von den Momenten. Und sie ist schneller. In England gibt es nicht so viel Schnickschnack auf dem Spielfeld.“

Mit seinem athletischen Körperbau ist Prödl daher geradezu prädestiniert für England, eine deutsche Zeitung bezeichnete ihn einst als „Knochenhinhalter“. Ist so eine Beschreibung eigentlich kränkend? „Ich habe damit kein Problem. Als Verteidiger hat man medial generell wenig zu gewinnen, außer man spielt für Real Madrid. Der Verteidiger hat eine Riesenverantwortung, du kriegst selten Ruhm ab, eher Schelte.“ Davon ist in Watford derzeit wenig zu merken, doch Prödl macht sich nichts vor. „Im Fußball kann es von einem Tag auf den nächsten anders sein.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2016)

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