Eine Stadt erlebt ihr blaues Wunder

(c) REUTERS (Darren Staples)
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Die Foxes ließen den ersten Matchball gegen Manchester United ungenutzt, die große Fußballsensation ist damit vertagt. Doch die Fans hoffen weiter.

Leicester. Am Stadttheater von Leicester hatte gestern „The Importance of Being Earnest“ Premiere. Leider interessierte sich niemand für die Komödie, in der es heißt: „Klugheit hängt mir zum Hals heraus. Jeder ist heutzutage schlau. Ich wünschte, wir hätten stattdessen ein paar Narren übrig.“ Ganz großes Theater wird in Leicester dieser Tage nämlich auf der Bühne des Fußballs gegeben, und es ist ein echtes Drama: Mit dem 1:1 gegen Manchester United hat Leicester City FC gestern den ersten Matchball vergeben.

Leistet Chelsea nicht schon heute Schützenhilfe gegen Tottenham, bleiben Leicester noch zwei Runden für den ersten Meistertitel in der 132-jährigen Vereinsgeschichte. Es wäre die größte Sensation, die der englische Fußball je erlebt hat. Wer zu Saisonbeginn 100 Pfund auf Leicester als Meister wettete, könnte nun mit 500.000 Pfund nach Hause gehen. Die 20-jährige Risha „riskierte“ im August zwei Pfund für ihren als Fixabsteiger gehandelten Klub. „Man darf niemals den Glauben an den Traum verlieren“, sagt sie. Die gesamte 330.000-Einwohner-Stadt erlebt derzeit ihr blaues Wunder. In der Aktion „Backing the Blues“ wurden die wichtigsten Gebäude in blaues Licht getaucht, blau gefärbte Würste verkauft und Klubdevotionalien zierten Auslagen.

Das Selbstvertrauen wächst

Die kollektive Unterstützung trägt den Höhenflug des Vereins. Umgekehrt haben die Foxes das Selbstvertrauen der Stadt beflügelt. Bürgermeister Peter Soulsby sagt: „Viel zu lang waren die Einwohner von Leicester bezüglich ihrer Leistungen und der Errungenschaften ihrer Stadt allzu bescheiden.“ Bevor Fußballfans weltweit über die Stadt in den East Midlands zu sprechen begannen, war sie vor allem für ihre ethnische Vielfalt bekannt: Die Volkszählung 2011 wies Leicester als erste Großstadt des Landes aus, in der weiße Briten in der Minderheit sind.

Politisch ist Leicester fest in der Hand der Labour Party. Jonathan Ashworth, einer ihrer drei Unterhausabgeordneten, will für Leicester-City-Manager Claudio Ranieri „für seine phänomenale Arbeit“ die Erhebung zum Sir: „Er verdient es.“ Bekannt ist die Stadt für den Junk-Food-Hersteller Walkers und Fußballlegende Gary Lineker. „Wir gehen durch die Hölle“, beschreibt der ehemalige Leicester-Spieler und lebenslange -Fan das Zittern um den Titel. Bei einem Gewinn der Meisterschaft will er die BBC-Fußballsendung „Match of the Day“ in Unterhosen moderieren.

Fußball ist heute das größte gemeinsame Vielfache in Leicester. „Er hat uns den Glauben an uns selbst wiedergegeben“, sagt Gemüsehändlerin Vicky über Erfolgstrainer Ranieri. So bunt gemischt wie die Stadt ist auch die Mannschaft: Aus 14Nationen kommen die Spieler, darunter Christian Fuchs, der nun als erster Österreicher englischer Meister werden könnte. Mit 22 Millionen Pfund kostete Leicesters Narrentruppe („No Fuchs Given“ ist Kult auf YouTube) einen Bruchteil der Millionärsensembles von Chelsea, Manchester City oder Arsenal.

Steile Erfolgskurve

Vielleicht war der Triumph aber von Geisterhand geplant. Seit 2012 unter einem Parkplatz die Gebeine von König Richard III. entdeckt und im Vorjahr beigesetzt wurden, geht es mit dem Verein steil bergauf. Statistiker haben errechnet, dass die Erfolgsquote in diesen drei Jahren von 32 auf stolze 63 Prozent gestiegen ist. Ein Public Viewing im King Power Stadium – nicht nach Richard III., sondern nach dem Konzern des milliardenschweren thailändischen Vereinsbesitzers Vichai Srivaddhanaprabha benannt – untersagte gestern der Fußballverband. So versammelten sich Tausende Fans in den Pubs. Kein Auge und keine Kehle blieben da trocken.

Im Jahr 1981 erschien ein Punkalbum mit dem Titel „Where the Hell Is Leicester?“. Der Geschäftsmann Stuart Dawkins gestern: „Jetzt weiß die ganze Welt, wo Leicester liegt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2016)

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