Die Turniermannschaft: Tugend, Glück und Tore

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15 04 2016 Frankfurt Messe Congress Center Auszerordentlicher DFB Bundestag Fussball Legenden Bundeimago/Hartenfelser
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Die EM 2016 in Frankreich könnte das Turnier von Weltmeister Deutschland werden. Joachim Löw sagt, "dass wir in der Lage sind, unsere Qualität zu zeigen". Die Marschrichtung ist klar.

Berlin. Die Fußball-EM naht, Titelverteidiger Spanien rüstet sich für den nächsten Anlauf, Gastgeber Frankreich schmückt sich mit der Equipe Tricolore und immensen Sicherheitsvorkehrungen. England hat eine tolle Qualifikation gespielt, im Heimatland des Fußballs wartet man gierig auf einen Titel und hofft auf eine Sensation, wie Leicester City sie in der Premier League vorgelebt hat. Doch die Three Lions könnten auch in diesem Turnier schnell enttäuschen, spätestens dann, wenn wieder ein Elfmeterschießen auf dem Programm steht. Es gibt folglich viele Anwärter auf Europas Krone, aber keinen richtigen Topfavoriten. Also braucht man eine Turniermannschaft – es könnte die EM von Weltmeister Deutschland werden.

Frankreich (1998 und 2000) oder Spanien (2010 und 2012) zeigten es vor: WM-Sieg und EM-Triumph sind in Serie nicht unmöglich, also könnte dem Weltmeister von 2014 auch nun ein Hit gelingen. Am Abend des 12. Juni im Stade Pierre Mauroy von Lille wird für Joachim Löw gegen die Ukraine jedenfalls vorerst nur das nackte Ergebnis zählen. Im ersten EM-Spiel muss der ehemalige Tirol- und Austria-Trainer wieder Leistung zeigen. Was vorher war, ist dann egal.


Löw denkt, plant, läuft. Die EM-Operation beginnt für Löw aber tatsächlich schon 20 Tage vor dem Auftaktspiel. Der 23. Mai ist der Stichtag für den Schwaben, dann fliegt Löw mit seinem vorläufigen Kader in die Schweiz, um Mario Götze, Marco Reus und Co. im Trainingslager in Ascona am malerischen Lago Maggiore fit zu machen für die strapaziöse Tour de France.

Er vertraut auf seine bislang bei Turnieren nachgewiesene Fähigkeit, die Nationalmannschaft in der Vorbereitung auf den Punkt in Form zu bringen. EM-Finale 2008, WM-Dritter 2010, EM-Halbfinale 2012, Weltmeister 2014 – die DFB-Mannschaft hat sich in den bisherigen vier Turnieren mit Chefcoach Löw als eine typische Turniermannschaft präsentiert. Und auch diesmal setzt der 56-Jährige alles auf die intensive Vorarbeit. „Ich kenne unsere Mannschaft ganz gut und weiß, wenn es drauf ankommt, kann sich die Mannschaft ganz anders fokussieren. Ich habe keine Bedenken, dass wir bei der EM konzentriert sind und eine gute Leistung abrufen“, sagt Löw.

Erkenntnisse standen für ihn zum Start ins EM-Jahr über Ergebnissen, das 2:3 gegen England bereitete ihm keine schlaflosen Nächte. Auch die für einen Weltmeister holprige Qualifikation begleitete er mit Langmut. Er denkt, plant und arbeitet in Zweijahreszyklen, von Turnier zu Turnier. Die WM 2018 in Russland hat Löw schon im Visier, vor allem in Hinblick auf das nötige Spielerpotenzial. Ist es sinnvoller, Talenten wie Joshua Kimmich (20/Bayern), Leroy Sané (20/Schalke) oder Jonathan Tah (20/Leverkusen) wertvolle Erfahrungen zu bescheren statt auf verdiente Veteranen wie Lukas Podolski (30/Galatasaray) zu setzen?

„Es gibt Spieler, die wir konkret auf unserer Liste haben“, sagt Löw. Und mehr auch schon wieder nicht. „Wir glauben, dass sie in der Lage sind, bei so einem Turnier ihre Qualität zu zeigen. Der Konkurrenzkampf um die 23 Plätze ist im Gang. Es wird spannend.“


Automatismen wecken. Wie weit, wird Löw am 17. Mai verraten. Dann benennt er in Berlin den vorläufigen EM-Kader, mit dem er ins Trainingslager startet. „Es hängt auch davon ab, wie einzelne Spieler nach ihren Verletzungen zurückgekommen sind“, sagte Löw mit Blick auf Jérôme Boateng, Ilkay Gündoğan und Benedikt Höwedes. Holger Badstuber wird es nach dem Bruch des Sprunggelenks nicht schaffen. Auch für Bastian Schweinsteiger wird es nach einem zweiten Innenbandschaden im rechten Knie eng. „Das muss man kurz vorher bewerten, ob es Spieler gibt, die angeschlagen sind oder Trainingsrückstand haben“, sagte Löw über das Prozedere.

Im Trainingslager, den abschließenden Testspielen gegen die Slowakei in Augsburg (29. Mai) und gegen Österreichs EM-Gegner Ungarn in Gelsenkirchen (4. Juni) gilt es dann für Löw, beim Team verloren gegangene Automatismen „wieder einzuschleifen“, wie er es trocken formulierte. Darauf vertrauen auch seine Spieler, denn er besitzt die nötige Ruhe – auch in Krisenmomenten wie im vergangenen November in Paris, als der Terror den Fußball eingeholt hat. „Das Wichtigste wird sein, dass wir in der Vorbereitung gut arbeiten. Da können wir inhaltlich und konzeptionell arbeiten“, sagt der Trainer, der ob der Vorfälle auch psychologische Arbeit zu betreiben hat.

Am 7. Juni bezieht Deutschland das Quartier in Évian-les-Bains am Genfer See. Gruppengegner sind Ukraine, Polen und Nordirland. Und Joachim Löw weiß: „Den Weltmeister will jeder schlagen!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2016)

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