Torlinientechnologie: Habicht hat Ball und Strafraum im Visier

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FILES-FBL-EUR-C1-C3-EURO 2016-UEFA-GOAL-TECHNOLOGY(c) APA/AFP/TOSHIFUMI KITAMURA
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Erstmals bei einer Endrunde kommt das Hawk Eye zum Einsatz. Krasse Fehlentscheidungen sollten zumindest an der Torlinie ausbleiben.

Paris/Wien. Viktor Kassai leitet heute nicht nur das Eröffnungsspiel zwischen Frankreich und Rumänien in Paris, der ungarische Schiedsrichter ist in gewisser Weise auch dafür verantwortlich, dass die 18 EM-Schiedsrichter Hilfe von einer Torlinientechnik erhalten.

Lang hatte sich die Uefa gegen technische Hilfsmittel gesträubt, ihr gesperrter Chef Michel Platini befürchtete stets, der Schiedsrichter werde irgendwann überflüssig. Außerdem würden ohne strittige Entscheidungen die Emotionen verloren gehen. Bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine kamen deshalb zwei zusätzliche Torlinienrichter zum Einsatz – und versagten prompt. Im Vorrundenspiel zwischen England und der Ukraine kratzte John Terry einen Schuss von Marko Devic erst hinter der Linie aus dem Tor, der bestens postierte Torlinienrichter sah es nicht und der damalige Schiedsrichter, es war Viktor Kassai, ließ weiterspielen. Der Gastgeber verlor 0:1, schied aus. Ein 1:1 hätte der Ukraine zwar auch nicht gereicht, dennoch war der Skandal perfekt.

Die Torlinienrichter wird es auch in Frankreich geben, zumindest zwischen den Pfosten übernimmt aber die Technik. Hawk Eye heißt das System, das ab heute bei allen Spielen entscheiden wird, ob ein Ball die Torlinie überquert hat oder nicht. In der deutschen Bundesliga wird es seit der vergangenen Saison verwendet, in der Premier League bereits seit 2013. Es wurde schon bei der Frauen-WM 2015 in Kanada, bei Olympischen Spielen und beim Cricket eingesetzt. Im Tennis ist das Hawk Eye bereits seit 2006 etabliert. Auch über der Copa America in den USA wacht das Habicht-Auge.

Mithilfe von zwölf Kameras, einer Computertechnologie und Bildverarbeitungssoftware wird dabei die Position des Balles im Strafraum mit einer Fehlertoleranz von fünf Millimetern berechnet. Wenn der Ball die Torlinie überquert hat, sendet das System innerhalb von einer Sekunde ein akustisches Signal zum Ohrstöpsel des Schiedsrichters, zusätzlich vibriert dessen Armbanduhr, auf dem Display erscheint „Goal“.

Die Erfahrungen mit dem Hawk Eye aus der deutschen Bundesliga sind positiv, ein Streitpunkt vor der Einführung waren aber die Kosten. Für Installation, Wartung und Betreuung durch zwei Operateure muss ein Bundesligaklub 8000 Euro pro Spiel oder 136.000 Euro pro Saison bezahlen.

Für die EM hat sich das System der britischen Hawk Eye Ltd., einer Tochter von Sony Europe, in einem Ausschreibungsverfahren gegen die anderen drei von der Uefa lizenzierten Torlinientechnologien GoalControl, GoalRef und Cairos durchgesetzt. GoalControl kommt in der französischen Ligue 1 zum Einsatz, außerdem hat sich die Fifa bei der WM 2014 für das deutsche System entschieden. Die ebenfalls in Deutschland entwickelten Technologien GoalRef und Cairos arbeiten hingegen mit elektromagnetischer Induktion (Chip im Ball).

Zusätzlich zum Hawk Eye erhalten die Schiedsrichter in Frankreich Unterstützung von Spielanalysten, die sie mit Datenmaterial auf die Partien vorbereiten. Abgeschafft wurde auch die Dreifachbestrafung: Sofern es sich um keine Tätlichkeit handelt, soll bei der EM ein Foul im Strafraum nicht mehr mit der Roten Karte bestraft werden. Der Schiedsrichter wird also weder überflüssig noch wird es an strittigen Abseits- und Foulentscheidungen mangeln. Nur auf der Torlinie herrscht Klarheit. (joe)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2016)

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