Liverpool-Legende: Kick it like Klopp

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FBL-ENG-PR-CRYSTAL PALACE-LIVERPOOLAPA/AFP/GLYN KIRK
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Wie der deutsche Startrainer Jürgen Klopp beim Liverpool FC zur Legende wird, ist kein Geheimnis: mit Euphorie, Siegen und dem Versprechen, endlich den Titel zu gewinnen.

Albert Camus, der französische Fußballfan und Philosoph, es sind zwei durchaus verwandte Leidenschaften, schrieb: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Wer dieser Tage den deutschen Trainer des Liverpool FC bei der Arbeit sieht, darf sich Jürgen Klopp als solch glücklichen Menschen vorstellen. Dass man ihn sehr viel lachen sieht, hat nicht nur mit der aktuellen Erfolgsserie der Reds zu tun, sondern auch mit dem Gefühl, dass hier Großes im Entstehen ist.

Nach Jahren der Enttäuschung spielt der Kultklub in dieser Premier-League-Saison zur Begeisterung der Fans wieder ganz vorn mit. Das heutige Auswärtsspiel gegen Watford in London bietet die Chance, mit dem siebenten Sieg in den vergangenen acht Spielen die Tabellenführung zu übernehmen. Ungeachtet des Ausgangs dieser Partie gehört Liverpool jedenfalls mit Manchester City, Arsenal, Chelsea und Tottenham zum Kreis jener Klubs, die sich langsam absetzen und am Ende wohl den Titel in der Premier League unter sich ausmachen werden.

Klopp weist jede Bemerkung von seiner Mannschaft als möglichem Titelanwärter resolut als „verrückt“ zurück. Stattdessen meint der 49-Jährige: „Wir können gemeinsam gewinnen, und manchmal können wir auch gemeinsam verlieren. Aber wir können immer optimistisch sein.“


You'll Never Walk Alone. Mit Leidenschaft und seinem Enthusiasmus hat er einem seit Jahrzehnten von Selbstzweifeln geplagten Klub neues Leben eingehaucht. „Es ist wirklich, wirklich intensiv. Selbst wenn Fußball nicht die wichtigste Sache der Welt ist.“ Fußball ist aber im Universum des Liverpool FC selbstverständlich. Seit April 1990 wartet man auf den Meistertitel, fast so lang wie Sisyphos auf den Berggipfel.

Nach der totalen Dominanz des englischen und zeitweise auch des europäischen Fußballs – in den 18 Saisonen von 1973 bis 1990 wurde Liverpool elfmal Meister, sechsmal Vizemeister und viermal Europacupsieger – folgten Niedergang, Krisen und Tragödien. Die Katastrophe von Hillsborough, bei der im April 1989 bei einem Auswärtsspiel 96 Liverpool-Fans zu Tode getrampelt wurden, hat sich in die kollektive Psyche des Vereins und der Stadt eingegraben. Das Revolverblatt „Sun“ wird wegen seiner damaligen Berichterstattung bis heute boykottiert.

Man sagt, die Scousers genannten Liverpudlians seien sentimental, würden lieber ihrer glorreichen Vergangenheit nachhängen als die Herausforderungen der Zukunft annehmen. Und nichts mehr lieben, als sich in Leid, Trauer und Selbstmitleid zu suhlen. Der Vereinssong „You'll Never Walk Alone“ (Gerry & The Pacemakers) ist eher ein Herzensbrecher denn eine Kampfeshymne. In die Melancholie einer regnerischen Hafenstadt, deren beste Zeit lang vorbei ist, hat Klopp mehr als nur frischen Wind gebracht.


„The Normal One“. Wo Fußball Emotion pur ist, ist der gebürtige Stuttgarter offenbar die Idealbesetzung. Was er bei Borussia Dortmund begonnen hat, könnte er in Liverpool zum Höhepunkt bringen: aus einem Großen wird dieser Tage eine Legende. Aus „The Kop“, dem Tribünenherzstück an der Anfield Road, wurde „The Klopp“. Er ist auch kein Narziss wie José Mourinho. Klopp ist „The Normal One“. Der Verein hat ihn vorsorglich schon bis 2022 an sich gebunden. Das ist mehr als ein Vertrauensvorschuss.

Tatsächlich spielt aktuell kein Team in England attraktiveren und unterhaltsameren Fußball. Klopps Leitmotiv des Gegenpressings ist mittlerweile in den englischen Wortschatz übernommen worden. Es ist nicht so, dass seine Mannschaft fehlerlos spielt, und wenn es einen Favoriten um den Titel gibt, dann ist es Manchester City unter Pep Guardiola. Denn weiterhin leistet sich Liverpool geradezu haarsträubende Abwehrfehler. Aber so schlecht kann die Verteidigung gar nicht agieren, dass vorn nicht mehr Tore geschossen werden.


Eisenfüße, Kicker & Könner. „Wir sind weit davon entfernt, perfekt zu sein“, sagt Klopp. Doch er hat es geschafft, aus einer Mischung von Ausnahmekönnern wie den Brasilianern Philippe Couthino und Roberto Firmino, biederen Eisenfüßen wie James Milner oder Nathaniel Clyne und eigentlich lang verlachten Engländern wie Jordan Henderson (Kapitän) ein funktionierendes Kollektiv zu formen. Adam Lallana spielt momentan in einer Form, die seinen Kaufpreis von 25 Millionen Pfund als Schnäppchen erscheinen lässt. Und Ex-Salzburger Sadio Mané gilt mit vier Toren und zwei Assists bereits jetzt als der Transfer der Saison.

Klopp ist ein harter, systematischer Arbeiter. Fitnesscoach Raymond Verheijen wirft zwar ihm vor, die Spieler „zu hart anzupacken“, mitunter fallen ja sogar Ohrfeigen. Ansonsten kennt die Bewunderung, die „Kloppo“ entgegenschlägt, keine Grenzen. Die Medien lieben seine schlagfertigen, geistreichen Pressekonferenzen. Seine Sager sind populär, sein Englisch ist legendär: „This is not a Wish-Concert. United is the salt in the soup!“ Als er sich unlängst beim Auswärtsspiel gegen Tottenham auf die Trainerbank setzte, standen ihm 29 Kameraleute gegenüber. Er sagte: „Das lässt einen an der menschlichen Intelligenz zweifeln.“

Nichts bereitet Liverpool-Fans derzeit größere Genugtuung, als dass Klopp dem Erzrivalen Manchester United unter José Mourinho zeigt, was moderner Fußball ist, und das, obwohl der mürrische Portugiese allein für Paul Pogba mehr als 100 Millionen Euro bezahlt hat. Schadenfreude ist die schönste Freude. Albert Camus schrieb: „Es gibt kein Schicksal, das nicht durch Verachtung überwunden werden kann.“

FC LIVERPOOL

18Meistertitel
Der FC Liverpool, 1892 gegründet, gewann 18-mal die Meisterschaft – zuletzt 1990.

5Cup Landesmeister/
Champions League
The Reds gewannen fünfmal den höchsten Europacup-Bewerb – zuletzt 2005 in Istanbul nach 0:3 zur Halbzeit im Elfmeterschießen (3:2) gegen AC Milan.

7FA-Cup-Triumphe
2006 sicherte sich der Klub seine bislang letzte Silberware, im Elferschießen gegen West Ham (3:1).

2015Jürgen Klopp
Seit 8. Oktober 2015 ist der Deutsche, 49, Trainer an der Anfield Road.

2016Finalniederlagen
Liverpool unterliegt im Ligacup-Finale ManCity mit 1:3 (n. V.), im Europa-League-Finale Sevilla mit 1:3.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2016)

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