Die Fans bestimmen, wer spielt

Lincoln´s Alan Power, Terry Hawkridge and Jonathan Jack Muldoon celebrate after the match
Lincoln´s Alan Power, Terry Hawkridge and Jonathan Jack Muldoon celebrate after the match(c) REUTERS (Phil Noble)
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Fünftligist Lincoln City sorgte in England für eine Fußballsensation und steht im FA-Cup-Viertelfinale. Dabei ist der Klub wegen seiner Organisationsstruktur längst ein Unikum auf der Insel.

Es gibt sie also noch, die Fußballmärchen: Der englische Fünftligist Lincoln City ist nach dem 1:0-Erfolg über Premier-League-Aufsteiger Burnley als erster Nicht-Profi-Klub seit 104 Jahren ins Viertelfinale des FA-Cups eingezogen. Das ist in jeder Hinsicht eine Sensation im Millionengeschäft Fußball.

Der Gesamtmarktwert des Kaders beträgt laut der Onlineplattform transfermarkt.de knapp 800.000 Euro. So viel verdient ein Spitzenspieler in der Premier League pro Woche. Das Stadion Turf Moor, das mehr nach torfigem Whiskey als nach Champagner-Fußball à la Chelsea klingt und in dem die Gegentribüne nur mit profanem Wellblech verkleidet ist, steht inmitten von Backsteinhäusern. Der Klub aus der Grafschaft Lincolnshire im Nordosten Englands bei Nottingham, einem ländlich geprägten Landstrich, wo man noch dieses raue, kantige Englisch spricht, markiert einen Sonderfall im englischen Fußball.


1400 Euro für „Gold Member“. Da ist zum einen die Mitgliederbestimmung: Fans sind mit dem Erwerb des Gold-Mitgliedschafs-Status, der 1200 Pfund (1400 Euro) für fünf Jahre kostet, erlaubt es, ein stimmberechtigtes Vorstandsmitglied zu wählen. Zudem dürfen „Gold Member“ auch die Umkleidekabine besuchen sowie drei Mal pro Saison den Teammanager persönlich konsultieren. Den zweiten Sitz im Vorstand stellt die Lincoln City Supporters' Trust, eine Treuhandgesellschaft der Fans. Haben andernorts ausschließlich Investoren oder Klubchefs das Sagen, bestimmen bei Lincoln City auch die Fans mit.

Diese Premiummitgliedschaft ist nicht unumstritten in der Arbeiterhochburg, weil sie die Entscheidungsbefugnisse an das Einkommen koppelt und mit genossenschaftlichen Mitbestimmungsrechten neue Investoren abschrecken könnte. „Ich denke aber, wir können einen positiven Einfluss haben“, sagte Lincoln-Fan und Goldkartenbesitzer Steve Tointon dem „Guardian“. „Die Gold-Mitgliedschaft ist eine Untereinheit der Treuhand, und zusammen waren wir in der Lage, Geld beizusteuern, vor allem in Zeiten, in denen es schwierig für den Klub war.“


Coach? Ein Grundschullehrer. Das Mitbestimmungsmodell scheint sich auszuzahlen. Denn es waren vor allem die beiden Fanvertreter, die sich vor der Saison für die Verpflichtung der Cowley-Brüder als Trainergespann starkgemacht hatten. Die Coaches formten Lincoln zu einer Spitzenmannschaft, in der fünften Liga.

Aktuell führt das Team die Tabelle der National League an und würde bei einem Aufstieg auch den Sprung ins Profigeschäft schaffen. Chefcoach Danny Cowley arbeitete vor der Saison noch als Grundschullehrer. Statt der Schulbank drückt er nun die Trainerbank. Allerdings, der pädagogische Ansatz ist geblieben. Als erste Amtshandlung nahm er sein Team mit zu einer kulturellen Expedition in die Kathedrale von Lincoln, eines der bedeutendsten Werke der englischen Gotik, und drückte jedem Spieler ein Arbeitsblatt als Hausaufgabe in die Hand, wie er dem „Telegraph“ erzählte.

Die Resonanz hielt sich unerwartet in Grenzen, doch auf dem Feld haben Trainer und Team ihre Hausaufgaben definitiv gemacht. Die Cowley-Brüder haben ein paar freiwillige Sportstudenten angeheuert, um Trainingsabläufe und Ernährungsplan zu optimieren. Und daran haben sich auch alle gehalten. Durch die Viertelfinalteilnahme im FA Cup hat das Team bereits über eine Million Pfund eingespielt. Geld, das der zumeist klamme Klub gut gebrauchen kann.


Fans bezahlen den Cup-Helden. Denn der Fünftligist schafft es momentan noch nicht, die Gehälter aller seiner Spieler zu bezahlen. Das Salär von Pokalheld Nathan Arnold, der gegen Ipswich Town im Rückspiel der vierten Runde den entscheidenden Siegtreffer zum 1:0 erzielte, bezahlen die Fans. Noch so eine Besonderheit des Klubs. Hätten die Fans nicht 30.000 Pfund (35.200 Euro) in einer Crowdfunding-Kampagne gesammelt, wäre der Stürmer erst gar nicht zu Lincoln City gewechselt. Diese Investition hat sich für den Verein bereits definitiv gelohnt: Sein Siegtreffer war allein 70.000 Pfund (82.000 Euro) wert. Nach dem Viertelfinaleinzug feierten die Lincoln-Spieler in der Kabine mit Wasser – Cowley hatte vorsichtshalber Alkoholverbot verhängt. Die Konzentration gelte nun der Liga, man wolle ja aufsteigen. Und der Cup-Partie gegen Arsenal am 11. März. Die große Party kann warten.

Und nun Arsenal

Lincoln, Tabellenführer der fünft-klassigen Conference National, schaltete im Achtelfinale Premier-League-Klub Burnley aus und qualifizierte sich als erster Amateurverein seit den Queens Park Rangers 1914 für das FA-Cup-Viertelfinale. In diesem wartet nun Arsenal (11. März).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2017)

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