Dortmund: Spur führt in Islamistenszene

Vor dem gestrigen Spiel zwischen Borussia Dortmund und AS Monaco wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft, Spürhunde und zusätzliche Polizisten waren im Einsatz.
Vor dem gestrigen Spiel zwischen Borussia Dortmund und AS Monaco wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft, Spürhunde und zusätzliche Polizisten waren im Einsatz.(c) APA/dpa/Guido Kirchner (Guido Kirchner)
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Nach Explosionen beim BVB-Mannschaftsbus tauchten mehrere Bekennerschreiben auf. Behörden halten „islamistischen Bezug für möglich“. Ein Verdächtiger wurde verhaftet.

Berlin/Dortmund. Am Ende stehen die Spieler von Borussia Dortmund (BVB) vor der Südtribüne. Vor einer schwarz-gelben Wand. Jeder auf den Rängen trägt die Vereinsfarben. Das Hinspiel des Champions-League-Viertelfinale gegen den AS Monaco haben sie 2:3 verloren. Nebensache. Keine 26 Stunden ist es her, dass der BVB Ziel eines Anschlags war, drei Sprengsätze neben dem Teambus explodierten. Sokratis, dem knallharten Innenverteidiger, steigen nun nach Abpfiff Tränen in die Augen. Mittelfeldstratege Nuri Sahin sagt im Sky-Interview: „Wir sind Menschen.“ Als er am Vorabend nach Hause kam, so erzählt er es, standen Frau und Kind wartend vor der Haustür. Da dämmerte ihm, was geschehen war. Die Dortmunder tragen gestern Leibchen mit dem Bild von Marc Bartra, dem 26-jährigen Teamkollegen, der beim Anschlag an der Hand verletzt worden war. Ein Polizist erlitt zudem ein Knalltrauma.
Dass es keine Toten gab, war Zufall. Mehr nicht. Gestern, nur Stunden vor Anpfiff, teilten die Behörden mit, dass die Bomben eine Sprengkraft von 100 Metern hatten und mit „Metallstiften“ gefüllt waren. Ein solches Geschoss bohrte sich in eine Kopfstütze im Bus.

„Terroristischer Hintergrund“

Die Bundesanwaltschaft geht von einem „terroristischen Hintergrund“ aus. Deshalb hat sie den Fall an sich gerissen. Und sie hat eine Spur. Sie führte gestern zu der Festnahme eines Islamisten. Nach Angaben der WZ handelt es sich dabei um einen 25-jährigen Iraker aus dem Wuppertal, dem Nähe zum IS unterstellt werde. Ein Haftantrag wurde geprüft. Auch ein Deutscher (28) geriet demnach ins Visier der Behörden. In beiden Fällen gab es Hausdurchsuchungen.

Am Anschlagsort wurden drei textgleiche „Bekennerschreiben“ gefunden. Sie beginnen mit den Worten: „Im Namen Allahs“. In den Texten wird ein Ende der Tornado-Einsätze in Syrien verlangt – ein Beitrag Deutschlands im Kampf gegen den IS-Terror – sowie die Schließung der US-Militärbasis Ramstein in der Pfalz. Das Schreiben strotzt vor orthografischen Fehlern. Ein Sicherheitsexperte erklärte aber laut „SZ“ in einer ersten Einschätzung, dass den Text ein Muttersprachler verfasst haben und absichtsvoll Fehler eingebaut haben könnte. Experten wunderten sich in deutschen Medien auch, dass Bekennerschreiben zurückgelassen wurden. Das sei unüblich. Andererseits: Der IS ruft in Propagandamagazinen genau zu einer solchen Vorgangsweise auf. Die Generalbundesanwaltschaft erklärte, ein „islamistischer Bezug scheint möglich“.

Irgendjemand musste die Behörden aber genarrt haben. Denn zwischenzeitlich tauchte auch ein Text auf einer linksradikalen Webplattform auf, wonach die „Antifa“ den Anschlag verübt habe. Die Bundesanwaltschaft äußerte „erhebliche Zweifel“ an der Echtheit. Es roch nach falscher Fährte.

Doch Nordrhein-Westfalen (NRW) hat ein Problem. Ganz unabhängig davon, wer hinter dem Anschlag steckt. Die links- wie rechtsextremen Gruppen halten dort in den Ballungsräumen weit verzweigte Netzwerke. Zugleich gibt es in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland mehrere Hotspots der Islamistenszene. Die Zahl der Salafisten in NRW ist mit 2500 auch proportional höher als im Rest Deutschlands. Und der Berlin-Terror wirft seine Schatten die Landtagswahl am 14. Mai. Denn das Asylverfahren gegen Attentäter Anis Amri lief in NRW, wo der Tunesier in der Islamistenszene verkehrte. Und zwar auch in Dortmund.
Wie unter dem Brennglas zeigen sich in der im Umbruch befindlichen alten Stahl- und Kohlestadt die extremistischen Auswüchse, links wie rechts und in der Islamistenszene. Es gebe mehr soziale Probleme als in anderen Städten, sagt der Dortmunder Extremismusforscher Dierk Borstel zur „Presse“. Doch „auch wenn alles andere doof war, auf den BVB waren wir stolz“, so Borstel. Der Anschlag treffe die Stadt ins Mark.

Merkel verurteilt „widerwärtige Tat“

Thomas de Maizière weilte am Mittwoch im Stadion, ein Solidaritätsbesuch des CDU-Innenministers, der 2015 die Absage des Länderspiels gegen die Niederlande in Hannover verkündet hatte. Tage davor hatte es Explosionen während eines Matches zwischen Deutschland und Frankreich gegeben. Nun waren wieder die beiden Länder betroffen, diesmal auf Klubebene.
Kanzlerin Angela Merkel verurteilte die „widerwärtige Tat“. Sie telefonierte gestern mit Hans-Joachim Watzke, dem BVB-Geschäftsführer. Dass das Spiel trotz der geschockten Akteure am Mittwoch wiederholt wurde, nannte Watzke übrigens „alternativlos“.

HOLPRIGES BEKENNERSCHREIBEN

„. . . Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen, 12 ungläubige würden von unseren Gesegneten Brüder in Deutschland getötet. Aber anscheinend scherst du dich Merkel nicht um deinen kleinen dreckigen Untertanen. Deine Tornados fliegen immer noch über dem Boden des Kalifats, um Muslime zu Ermorden. Jedoch wir bleiben standhaft durch die Gnade Allahs.

Ab sofort stehen alle ungläubigen Schauspieler, Sänger, Sportler und Sämtliche prominente in Deutschland und anderen Kreuzfahrer-Nationen auf Todesliste des Islamischen Staates.

Und das solange die folgenden Forderungen nicht erfüllt werden: – Tornados aus Syrien abziehen.

– Ramstein Air Base muss geschlossen werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2017)

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