Ajax: Die Rückkehr der jungen Wilden

Der Jubel nach dem Finaleinzug gegen Lyon: Am Mittwoch bietet sich Ajax im Europa-League-Finale gegen Manchester United eine historische Titelchance.
Der Jubel nach dem Finaleinzug gegen Lyon: Am Mittwoch bietet sich Ajax im Europa-League-Finale gegen Manchester United eine historische Titelchance.(c) APA/AFP/PHILIPPE DESMAZES (PHILIPPE DESMAZES)
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Erstmals seit 21 Jahren bestreitet Ajax Amsterdam wieder ein Europacup-Finale, gegen Man United träumt der Klub vom Europa-League-Titel. Die Geschichte einer Auferstehung.

Das Wiener Ernst-Happel-Stadion kann einige Geschichten erzählen. Eine handelt vom Champions-League-Finale 1995, als Ajax Amsterdam im weiten Rund des Praters AC Milan mit 1:0 bezwang und sich zum König des europäischen Klubfußballs krönte. Die Mannschaft der Niederländer liest sich auch 22 Jahre später wie das „Who is Who“ des Weltfußballs der damaligen Epoche. Edwin van der Sar, Frank Rijkaard, die Zwillingsbrüder Frank und Ronald de Boer, Clarence Seedorf, Edgar Davids, Jari Litmanen, Marc Overmars – und natürlich der eingewechselte Goldtorschütze Patrick Kluivert.

Ajax war eine echte Größe, eine Marke, wie schon zuvor in den Anfängen der Siebzigerjahre, als die Mannschaft rund um Johan Cruyff mit ihrem „Totaalvoetbal“ drei Mal in Folge den Europapokal der Landesmeister gewann. Wer an Ajax dachte, der dachte an junge, ungemein talentierte Fußballer, an berauschend offensiven Fußball, vorgetragen im 4-3-3-System. Der Erfolg war hausgemacht, die exzellente Arbeit der Ajax-Akademie war über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Allerdings, die Konkurrenz erkannte die Zeichen der Zeit.

Als das Geld den Fußball zu überschwemmen begann, wuchsen auch anderswo Akademien nach dem Amsterdamer Vorbild aus dem Rasen. Ajax erreichte 1996, ein Jahr nach dem Triumph von Wien, zum bislang letzten Mal ein Europacup-Finale, verlor das Endspiel um die Titelverteidigung aber gegen Juventus Turin. Anschließend verließen viele Stars den Klub, suchten im Ausland neue Herausforderungen, verdienten besser. 1997 hielt auch Erfolgscoach Louis van Gaal nichts mehr in Amsterdam – ihn zog es zum großen FC Barcelona.

In der Gegenwart, über zwei Jahrzehnte später, schwelgen Ajax-Fans immer noch gern in Erinnerungen. An Wien, an das entscheidende Tor von Patrick Kluivert in der 85. Minute, an den Glanz der Champions-League-Trophäe. In den vergangenen 20 Jahren hat der Erfolg aber einen weiten Bogen um Amsterdam gemacht. Nach 1997 stand der Klub nur jeweils ein Mal im Viertelfinale der Europa League (1998) beziehungsweise der Champions League (2003), das war das höchste der Gefühle.

Ajax war von seinem eigenen Weg abgekommen, entwickelte nicht mehr Toptalente am laufenden Band – auch, weil die Konkurrenzsituation nun einen andere, weitaus komplizierte war. Erst vor etwas mehr als drei Jahren, im Frühjahr 2014, hatte Salzburg unter der Führung von Roger Schmidt im Sechzehntelfinale der Europa League die Niederländer richtiggehend vorgeführt, mit 3:0 (auswärts) und 3:1 (heim) aus dem Bewerb geschossen. Seitdem aber haben beide Vereine bei ihren Auftritten auf internationalem Parkett eine erstaunliche Trendwende vollzogen.


Frischzellenkur. Nach der verpassten Meisterschaft und der Trennung von Langzeit-Coach Frank de Boer vergangenen Sommer kehrte mit Nachfolger Peter Bosz frischer Wind ein. Den Titel in der Eredivisie verpasste man in dieser Saison zwar erneut – Feyenoord Rotterdam triumphierte erstmals seit 1999 –, der Einzug in das erste Europacup-Endspiel seit 21 Jahren entschädigte dafür aber allemal.

Am Mittwoch (20.45 Uhr, live in ORF eins) spielt nun Ajax in der Stockholmer Friends Arena gegen Manchester United um den Titel in der Europa League – und nicht wenige Experten geben der Amsterdamer Angriffsmaschinerie gute Erfolgschancen. Mit einem Durchschnittsalter von 22,7 Jahren erinnert die Ajax-Mannschaft von heute frappant an die goldene Generation von 1995. Die van der Sars, Seedorfs und Kluiverts der Gegenwart heißen Kasper Dolberg (19), Matthijs de Ligt (17), Davy Klaassen (24), Bertrand Traoré (21) und Justin Kluivert, er ist der 18-jährige Sohn der Klublegende.

Ajax begeisterte in der laufenden Spielzeit mit teils schwindelerregend schnellem Offensivfußball und famosem Pressing. Im Halbfinalhinspiel gegen Olympique Lyon (4:1) stellte das Team mit 16 Torschüssen einen neuen Rekord in der K.o-Phase der Europa League auf.


Begehrlichkeiten. Als Architekt des Aufschwungs gilt für viele Marc Overmars, einer der Helden von 1995. Overmars ist seit nunmehr fünf Jahren Sportlicher Direktor und führte Ajax wieder zurück zu den Wurzeln. Sechs gegen Lyon eingesetzte Spieler wurden in der Ajax-Akademie ausgebildet, als Vorzeigespieler gilt Kapitän Davy Klaassen. Der in Amsterdam aufgewachsene Spielmacher trägt seit seinem 10. Lebensjahr das rot-weiße Trikot und ist der unumstrittene Anführer einer angriffslustigen Rasselbande.

Unabhängig vom Ausgang des Endspiels gegen Manchester United wecken die jungen Wilden aus Amsterdam vielerlei Begehrlichkeiten. Ajax kennt die Brutalität des Geschäfts, seit 2008 musste der Klub Stars wie Wesley Sneijder (zu Real Madrid), Ryan Babel (Liverpool), Klaas-Jan Huntelaar (Real Madrid), Jan Vertonghen (Tottenham), Luis Suárez (Liverpool) oder Jasper Cillessen (FC Barcelona) ziehen lassen.

Overmars will den totalen Ausverkauf im Sommer tunlichst vermeiden, auch Geschäftsführer van der Sar und Kotrainer Dennis Bergkamp sollen bei der Jugend Überzeugungsarbeit leisten. Allerdings: Auch Overmars selbst hat Interesse geweckt. Ex-Klub Arsenal soll von der Arbeit des 44-Jährigen sehr angetan sein.

Zahlen

1995gewann Ajax den letzten großen Titel auf internationaler Bühne. Im Finale der Champions League in Wien wurde AC Mailand mit 1:0 besiegt.

4Mannschaften
musste Ajax auf dem Weg ins Finale der Europa League in der K.o.-Phase aus dem Weg räumen. Nach Legia Warschau (Gesamt 1:0), FC Kopenhagen (3:2) und FC Schalke (4:3) wurde im Halbfinale Olympique Lyon (5:4) ausgeschaltet.

22,7Jahre
beträgt das Durchschnittsalter des Ajax-Kaders. Das Team von Finalgegner Manchester United ist um exakt vier Jahre älter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2017)

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