Nenad Bjelica: "Rolle als Anführer in meinen Genen"

Nenad Bjelica Rolle Anfuehrer
Nenad Bjelica Rolle Anfuehrer(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Christian Walgram)
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Der neue Austria-Trainer sieht sich für den Job als Fußballtrainer geboren. Mit einem Schmunzeln bemerkt er, dass nur Pep Guardiola eine schwierigere Aufgabe bevorsteht. Ein "Presse"-Interview.

Wann ist in Ihnen der Entschluss gereift, sich eines Tages als Trainer zu versuchen?

Nenad Bjelica: Sehr früh. Ich habe schon als Spieler immer gern eine Führungsrolle eingenommen, war in diversen Mannschaften Kapitän. Und der Trainer ist wie der Kapitän ein Anführer. Für diese Aufgabe bist du geboren – oder eben nicht. Ich bin geboren dafür. Diese Führungsrolle steckt in meinen Genen.

Sie haben während Ihrer Zeit als Spieler in Spanien damit begonnen, bestimmte Zeitungsartikel zu sammeln...

...und diese Zeitungsartikel gibt es heute noch in Form einer großen Kollektion. Während der 1990er-Jahre haben die damaligen Trainer der Primera División in den Zeitungen Einblicke in ihre Trainingsarbeit gewährt, über taktische Vorgehensweisen und menschliche Führung debattiert. Ich war wissbegierig, habe diese Informationen aufgesaugt und meine Schlüsse daraus gezogen.

Sie sind ein begeisterter Leser von Sportlerbiografien. Lernen Sie etwas aus ihnen?

Von erfolgreichen Menschen kannst du immer etwas lernen – egal, ob es sich um einen Fußballtrainer oder Basketballspieler handelt. Die Biografien von Oliver Kahn und Michael Jordan habe ich verschlungen. Eine Aussage von Michael Jordan ist mir in besonderer Erinnerung geblieben. Auf die Frage eines Journalisten, ob er nicht auch viel Glück in seiner Karriere hatte, meinte er: „Ja, bestimmt. Aber ich hatte mehr Glück, wenn ich im Training mehr investiert hatte.“ Das zeigt mir: Mit harter Arbeit lässt sich alles erreichen. Diesen Ansatz versuche ich auch meinen Spielern zu vermitteln.

Welcher Ihrer ehemaligen Trainer hat Ihnen am meisten imponiert?

Auf menschlicher Ebene Luis Aragonés. Er hatte bei Betis Sevilla immer ein offenes Ohr, für jeden Spieler. Wenn ich rein die Qualität des fußballerischen Trainings in Betracht ziehe, fällt meine Wahl auf Eric Gerets, unter dem ich in Kaiserslautern viel gelernt habe.

Und wer beeindruckt den Trainer Nenad Bjelica gegenwärtig?

Diego Simeone. Ich finde es erstaunlich, welch starkes Team er aus Atlético Madrid geformt hat. Dass ich Simeone gut finde, ist übrigens keine Selbstverständlichkeit. Als Gegenspieler habe ich ihn noch gehasst.


Wie interpretieren Sie also Ihren Job?

Ich führe jene elf Spieler, die auf dem Platz stehen, gebe meine Energie an die Mannschaft weiter und bin letztlich dafür verantwortlich, was während der 90 Minuten passiert. Wenn die Mannschaft einmal nicht funktioniert, muss sich zuallererst der Trainer hinterfragen, nicht die Spieler. Nach einem Spiel analysiere ich mich selbst, gehe dabei in mich, überlege, was schlecht und was gut war. Erst danach setze ich mich mit der Leistung jedes einzelnen Spielers auseinander.

Wie darf man sich Ihre Form der Selbstreflexion jetzt konkret vorstellen?

Ich analysiere die letzten sieben Tage. Was habe ich zur Mannschaft gesagt, was hat die Mannschaft inklusive mir gegenüber Medien gesagt? In Wolfsberg haben wir während des so erfolgreichen Frühjahrs den Fehler gemacht und vom Europacup fantasiert. Am Spieltag wurde in den Zeitungen dann nichts über den Gegner, sondern nur über die mögliche Europacup-Qualifikation geschrieben. Zudem reflektiere ich das Training der vergangenen Woche. Was war gut, was vielleicht nicht? War meine Körpersprache gegenüber den Spielern während der Vorbereitung auf das nächste Spiel vielleicht zu positiv oder zu negativ? Ich vertrete folgende These: Eine Mannschaft verliert ein Spiel nicht wegen einer Einwechslung, sondern weil der Trainer seinen Spielern nicht genügend Energie übermitteln konnte.

Ihr Abschied aus Wolfsberg fiel Ihnen und den Spielern schwer, in Kärnten galten Sie als echter Kumpeltyp. Einen Ihrer Spieler, den Spanier Jacobo, ließen Sie sogar eineinhalb Monate in Ihrem Haus wohnen...

Er ist zusammen mit seiner Frau, der Tochter und den beiden Hunden eingezogen, während er sich noch auf Quartiersuche befand. Das ist sicher nicht normal, aber ich kann mein Privat- vom Berufsleben trotzdem gut trennen. Ich gehe gern mit meinen Spielern Mittagessen, ich sehe sie als Freunde. Aber nur weil sie mit mir einen Kaffee trinken, entbindet sie das nicht von ihren Aufgaben auf dem Platz. Denn mein Freund ist nur der, der hart arbeitet.

Sie haben nie einen Hehl daraus gemacht, mittelfristig den Sprung nach Deutschland schaffen zu wollen. Gibt es für diesen Schritt ein zeitliches Limit?

Ich bin überzeugt davon, es irgendwann nach Deutschland zu schaffen, traue es mir zu, einen europäischen Topklub zu trainieren – aber Eile habe ich keine. Im Leben lässt sich nichts erzwingen. Ich hatte ja bereits in der Vergangenheit Kontakt zu zwei deutschen Bundesliga-Klubs, nur war es zum damaligen Zeitpunkt für die Vereine ein zu großes Risiko, einen Trainer von einem kleinen österreichischen Klub wie Wolfsburg zu verpflichten.

Bei Austria haben Sie es sich zum Ziel gesetzt, Spieler und Mannschaft nach einer starken Saison nochmals besser zu machen. Wo schlummert denn noch Potenzial?

Die Mannschaft kann im Umschalten von Defensive auf Offensive und umgekehrt noch Fortschritte machen. Wolfsberg war unter meiner Führung eine starke Kontermannschaft, diese Qualität möchte ich bei der Austria sehen.

Halten Sie es für realistisch, den Meistertitel zu verteidigen?

Natürlich, warum denn nicht? Das ist genauso realistisch wie der Gewinn des Cups und das Erreichen der Champions-League-Gruppenphase. Ich will alle diese Ziele jagen! Ziel des Vereins ist es, einen Europacup-Platz zu erreichen. Mein persönliches ist aber ganz klar die Titelverteidigung. Ich will immer gewinnen, auch wenn die Latte nach der letzten Saison hoch liegt. Vor einer noch schwierigeren Aufgabe steht nur Pep Guardiola, der mit dem FC Bayern München das Triple verteidigen muss (lacht).

Sie vertrauen vor jedem Pflichtspiel auf ein spezielles Ritual. Was hat es mit Ihren „Schlägen“ auf sich?

Bevor die Spieler auf das Feld laufen, gebe ich ihnen mit der Hand einen Schlag auf die rechte Brusthälfte. Zum Glück hat mich noch niemand verklagt (lacht). Die Schläge sollen das Bewusstsein schärfen. Ich will, dass meine Spieler hellwach in das Spiel gehen.

Ein Spieler kann seinen Trainer um Rat fragen. Aber wer ist die erste Anlaufstelle für den Trainer Nenad Bjelica?

Meine Freunde und meine Frau, zudem führe ich zeitweise Gespräche mit einem Sportpsychologen aus Kroatien. Der Kopf muss immer funktionieren, sonst funktioniert der Körper nicht.

Die Meistermannschaft ist, nicht wie von manchen befürchtet, auseinandergefallen. Auch Philipp Hosiner, der von Hoffenheim umworben worden ist, steht weiterhin zur Verfügung. Sitzt der Torjäger aber nach dem geplatzten Transfer nicht irgendwie auf Nadeln?

In der ersten Trainingswoche hat er den Kopf hängen lassen, ja. Hoffenheim hat ihn doch ziemlich beschäftigt. Mittlerweile ist seine Körpersprache aber wieder eine ganz andere, durchwegs positiv. Ich hoffe, dass ich diese Saison auf ihn bauen kann, und bin überzeugt, dass ihn ein weiteres Jahr bei der Austria nur profitieren lässt. Wenn er seine Vorsaison bestätigt, wird er bestimmt auch das Niveau erreichen, um problemlos in Deutschland mithalten zu können.

Nacer Barazite, der vor einem halben Jahr vom AS Monaco ausgeliehen wurde, ist für Sie kein Thema mehr?

Nein. Wir brauchen ausschließlich fitte Spieler, die uns sofort weiterhelfen können. Barazite hat in der Rückrunde aufgrund seiner Verletzung kaum eine Rolle gespielt. Auf Hosiner können wir nicht verzichten, auf Barazite allerdings schon. Wenn er wieder gesund wird und wir im Winter Bedarf haben sollten, kann eine Verpflichtung immer noch ein Thema werden.

Am Freitag haben Sie im Cup mit einem 3:0-Erfolg in Oberwart einen erfolgreichen Einstand gefeiert. Heute gastiert der Premier-League-Klub Everton in der Generali Arena, ein Testlauf für den Meisterschaftsbeginn kommenden Samstag gegen die Admira. Welchen Stellenwert hat ein solches Spiel für Sie?

Das ist eine schöne Geschichte, ein Spiel, das wir genießen sollten. Aber diese Saison soll es nicht bei Everton bleiben. Ich hoffe, dass wir in der Champions-League-Gruppenphase noch größere Kaliber in unserem Stadion begrüßen dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2013)

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