Helmut L. Kronjäger: Worum es im Fußball wirklich geht

Helmut Kronjäger
Helmut KronjägerGEPA pictures/ Michael Kop
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Helmut L. Kronjäger ist verstorben. Im April traf Presse-Redakteur Wolfgang Wiederstein Kronjäger im Krankenhaus. Lesen Sie noch einmal das Portrait einer vielfältigen Trainerpersönlichkeit.

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Helmut Kronjäger ist am 24. September 2014 verstorben. Dieses Portrait erschien am 13. April 2014 in der "Presse am Sonntag".
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Der Termin mit Helmut L. Kronjäger ist schon lange ausgemacht. Und darum will er ihn auch nicht absagen, auch wenn er nicht unbedingt ganz so gelegen kommt. Ein Treffen mit „Sir Henry“ ist allerdings diesmal nicht drinnen, Hunde sind in Krankenhäusern bekanntlich verboten. Das Wetter hätte dazu eingeladen, um irgendwo in Graz in einem sonnigen Schanigarten zu sitzen, stattdessen wurde es der Auenbruggerplatz. Diese Adresse ist den Grazern ein Begriff, das riesige Landeskrankenhaus ist dort beheimatet. „Mich findest du auf der Endokrinologie“, schreibt Kronjäger in einer kurzen Nachricht. „Im ersten Stock, Zimmer 117.“

Helmut L. Kronjäger wartet wieder einmal auf eine Chemotherapie. Sein Leben hat der Fußball geprägt, aber auch der Krebs. Zuerst war es Brustkrebs, jetzt sind es die Lymphknoten. Nach dem Besuch gönnte sich der heute 60-jährige Steirer ein paar freie Tage in Grado. Spazieren gehen am Strand, mit dem Hund spielen im Sand, italienisch speisen – noch einmal Kraft tanken vor den Strapazen. Die Schmerzen, die werden wiederkommen. Das weiß er. Und dennoch trägt es Kronjäger mit Fassung. Weil das L, dieser allein stehende Buchstabe zwischen Helmut und Nachname, der steht für Leben.

Dach über dem Kopf. Der ehemalige Fußballtrainer, der sogar im Königreich Bhutan, auf den Salomonen und in Sri Lanka gearbeitet hat, bis 2012 als Sportdirektor beim steirischen Verband unter Vertrag gestanden ist, hat vermutlich in seinem Leben nicht nur einen Baum gepflanzt. Kinder, das ist bekannt, hat er zwei. Ein Haus hat er vermutlich auch gebaut, ein geistiges Dach über dem Kopf hat der Grazer jedenfalls vielen Jugendlichen gegeben. Vor wenigen Tagen hat sich ein weiterer Traum von Kronjäger erfüllt. Seine Biografie ist tatsächlich in Druck gegangen, dank der Mithilfe eines Gönners. Und dank eines Journalisten, den der bald 61-Jährige eigentlich „Lieblings-Piefke“ nennt. Die Rede ist von Markus Geisler, Redakteur bei der „Sportwoche“, Weggefährte und Freund. Er hat das Werk zu einer Einheit gegossen.
Das Buch trägt den Titel „Das L steht für Leben“.

Naheliegend, wenn man sich mit der Person Helmut Kronjäger beschäftigt. Der Mann hat viel gesehen und erlebt, nicht nur im Inland, sondern auch in für Österreich exotischen Ländern. Ein großer Kämpfer war Kronjäger schon immer, nur hat sich in seinem Leben zuletzt einiges verschoben. Jetzt muss Kronjäger um sein eigenes Leben kämpfen. Früher waren es eher Funktionäre, Präsidenten oder verkrustete Strukturen, die der Querdenker aufbrechen wollte. Und zwar überall dort, wo man ihm Verantwortung übertrug.

Kronjäger wird von seinen engsten Freunden „Petz“ genannt. Auch Markus Knauß, der gebürtige Schladminger, gehört dazu. Zur Feier des Tages wurde mit einem Wiener Schnitzel gesündigt. Dazu genehmigte sich der Krebspatient ein Coca-Cola. Gesprächsthema bei Helmut L. Kronjäger, der im Vorjahr von der Stadt Graz das Ehrenabzeichen verliehen bekommen hat, ist und bleibt der Fußball. Gespielt hat der Steirer einst beim ESV Austria Graz, bei Sturm Graz, bei den Stuttgart Amateuren, beim SC Stuttgart, bei Waagner Biro Graz, beim SV Straßgang und bei Gratkorn.

Als Trainer hat er erste Erfahrungen bei Hitzendorf gesammelt. Dann erfolgte der Durchbruch – als einer der Assistenten von Ivica Osim. Anschließend übersiedelte Kronjäger nach Wien, er wurde Nachwuchstrainer und Merchandising-Manager bei der Wiener Austria. Danach holte ihn Heinz Hochhauser als Assistent nach Ried, später wurde er im Innviertel Cheftrainer. Und Kronjäger hat auch für den Österreichischen Fußballbund gearbeitet, er war bei diversen Nachwuchsteams als Betreuer dabei. Heute spricht er nur von seinen „Buam“, Dazu gehört auch ein David Alaba, ein Manuel Ortlechner oder Veli Kavlak. Und ein Christoph Knasmüllner. „Fußballerisch der Beste von allen. Aber . . .“

Das System Fußball, so sagt Helmut Kronjäger, mache krank. Heute liest sich dieser Satz in einer etwas abgewandelter Form im Untertitel seines Buches. „Warum das System Fußball krankmachen kann!“ Fußball habe zwei Seiten. Besser gesagt – mindestens zwei Seiten. „Als Spiel, als Sprache, als Mutmacher. Aber auch als Betrug, mieses Geschäft und Krankmacher.“ Aber der Kronjäger von heute sagt: „Der Fußball hat mir viel gegeben.“
Der Mann, der schon so viel erleiden musste, schreibt in seinem Buch von einem Licht. Und einer Stimme, die keine Ruhe gibt. „Aber ich habe keine Angst mehr vor dem Tod.“ Vor dem Tod, so betont er mehrmals, brauche er auch keine Angst zu haben. „Vor dem Sterben schon.“ Denn er hat „einen Feind“ in seinem Körper. Haare und Zähne hat Kronjäger schon einmal verloren. Dafür aber einen Mops erhalten. Dieser Hund ist nach Eigendefinition einer seiner Leuchttürme. Ein anderer war und ist das Buch.

Eintrag ins Tagebuch am 2. September: „Guten Morgen, Sie haben mich erwartet? Nein, eigentlich nicht. Wer sind Sie eigentlich, dass sie so einfach in meine Träume, in mein Leben platzen? Mein Leben ist gut. Ich darf mich vorstellen: Ich bin Ihr Todesbegleiter. Der Chef hat ja immer viel zu tun, er kommt dann eh persönlich. Nur keine Eile! Wissen Sie, ich hänge an meinem Leben. Und Geduld ist ja bekanntlich eine Tugend. Haben Sie noch Wünsche? Anregungen, Beschwerden? Nun ja, vielleicht gesund werden und weiterleben, ganz normal. Ich finde, dass ich noch zu jung . . . Für die Ewigkeit sind wir zuständig. Sie hören dann von uns. Auf Wiedersehen.“

Blühende Knospen. Der ehemalige Trainer, der eigentlich eine Art Fußballphilosoph ist, plaudert an diesem frühen Nachmittag über die Champions League, über die Bayern, er leidet mit Sturm Graz, er sinniert über die österreichische Meisterschaft. Er denkt an seine Phantomschmerzen, im gleichen Atemzug sagt er: „Mir fehlt nix.“ Kronjäger spricht über seine Erkrankung wie andere über ihren Urlaub. „Ich fühle mich gut – ohne Krebs wäre ich pumperlg'sund.“ Und auf seiner Station, da kennt er alle. „Ich sehe schon das Negative auch. Todesfälle – die passieren auf einer Krebsstation.“ Und er blickt aus dem Fenster: „Die Knospen, die da draußen auf den Bäumen zu blühen beginnen, die bauen mich auf.“

Das Buch hat Helmut L. Kronjäger geschrieben für alle. Als Ratgeber sieht er es nicht. Das wäre schon wieder eine Anmaßung, solche Dinge sind ihm fremd. Viele Dinge hat den Steirer das Leben gelehrt. Oder Ivica Osim. Der weise Mann aus Sarajewo hat nie allzu viel gesprochen. Aber jeder hat gewusst, was er meint. Andere Dinge hat Kronjäger im fernen Ausland gelernt. Geduld zum Beispiel.
Die Hintergründe, wie es überhaupt zu der Geschichte mit Bhutan gekommen ist, schildert Kronjäger so: „Die ÖFB-Trainersitzung ist vorbei, Sportdirektor Willi Ruttensteiner bedankt sich für den konstruktiven Verlauf. Als alle aufstehen, ruft Willi plötzlich: Stop! Er kramt in seinen Unterlagen, holt ein Schriftstück hervor. Bhutan sucht einen Teamchef, der auch Strukturen und so aufbauen soll. Stimmengewirr. So ein Blödsinn, sagt einer. Nie gehört, wo soll das sein? Haben die überhaupt genug Marie? Ruttensteiner klärt auf. Zu verdienen gibt es nichts, nur Ruhm und Ehre.

Mir ist Bhutan und sein Fußball durch den großartigen Film „The other Final“ ein Begriff. Zeitgleich zum WM-Finale 2002 in Japan fand ein Spiel der beiden letztplatzierten Fifa-Mitglieder, Bhutan und Montserrat, statt. Ein Muss für jeden Fußballinteressierten, das zeigt, worum es bei dem Spiel geht: Fairness, Spaß und Miteinander. Vor allem aber um den Spirit of the Game. Ich zeige auf: Ich will es machen. Hinter mir ein Einwurf des leider bereits verstorbenen Ernst Weber: Typisch, der Kroni. Bei jedem Blödsinn dabei.“

Kronjäger machte sich Hoffnung auf finanzielle Unterstützung. Ob jemand die Flüge begleichen wird? Bundeskanzler Alfred Gusenbauer zeigte sich zwar begeistert von dem Projekt, schob die Angelegenheit ans Sportministerium ab. Der nächste gute Ratschlag? Der kommt vom ÖFB-Präsidenten. „Es ist eh ein Länderspiel in Graz, Österreich gegen Ungarn. Als Sportdirektor des Steirischen Fußballverbandes ist es ja ein Leichtes für mich, im VIP-Klub auf Friedrich Stickler zuzugehen. leider bekomme ich auf Nachfrage wie immer keine VIP-Karte für das Spiel. Das Ticketkontingent des Verbandes wurde an verdienstvolle Funktionäre und deren Ehefrauen sowie unverzichtbare Persönlichkeiten vergeben. Und wieder ist es ein guter Freund, der mir hilft. Gerhard Koch, Chefredakteur ORF Steiermark, hat bei Verbandspräsident DDr. K. nachgefragt, ob er noch eine VIP-Karte für einen Freund bekommen könnte. Die Antwort: Kein Problem, Herr Chefredakteur. Und schon wurde der rote Teppich ausgerollt. Als glücklicher VIP-Karten-Besitzer dringe ich also zum ÖFB-Präsidenten vor. Ja, er hat von der Sache gehört. Er findet auch, dass das Projekt etwas ganz Besonderes ist. Viel Glück dabei, Herr Kronjäger. Auf Wiedersehen.“ Der Einzige, der bereit ist, mich finanziell zu unterstützen, ist Erich Sobor, ein alter Freund aus meiner Zeit bei der Wiener Austria. Nur dank seiner Hilfe bin ich in der Lage, endlich die Flüge zu buchen.“

Helmut Kronjäger hat sich in den vergangenen Jahren nie ein Blatt vor den Mund genommen. Warum auch, er hat nichts mehr zu verlieren. Der Steirer hat schon vor über zehn Jahren behauptet, die Trainerausbildung in Österreich ist bei Weitem nicht so gut, wie das gern dargestellt wird. „Ich war der Böse, der Nestbeschmutzer.“ Die Wahrheit hört man eben nicht immer gern. Und wer wirklich erfolgreiche Fußballtrainer aus Österreich im Ausland sucht, der wird nicht viele finden. Peter Stöger, mit dem 1. FC Köln klar auf Aufstiegskurs, ist da die Ausnahme. Und der Kritiker Kronjäger hat sich im Fußball sozusagen selbst das Leben schwer gemacht. Nicht viele Vereine sind bereit, einen Unbequemen unter Vertrag zu nehmen. Jasager sind da um einiges pflegeleichter.

Nur in der Not. Das System Fußball, so sagt Helmut Kronjäger, macht also krank. Wer sich intensiv mit diesem Sport beschäftigt, der wird das in der Seele spüren. Die Nachhaltigkeit, die vermisst der Grazer. Und auf die Jugend werde doch immer erst gesetzt, wenn es die (finanzielle) Not erfordert. Dabei sei es gar nicht so leicht, in Österreich zu arbeiten. „Bei uns wollen wir alles verändern – und im gleichen Atemzug soll alles beim Alten bleiben.“

Der ehemalige Trainer kann viele Geschichten erzählen. Er spricht über Leistungsdruck, der die Kreativität erstickt, er erzählt von weiten Reisen und unglaublichen Erfahrungen.
„Ein Spieler“, erinnert er sich, „hat einmal beim Debüt aus 20 Metern die Latte getroffen. Ein traumhafter Schuss, aber eben nur die Latte. Er ist dennoch auf die Knie gerutscht und hat sich wie ein kleines Kind gefreut. Ich habe erwidert: Aber das war kein Tor. Worauf er meinte: Trainer, ich habe den Ball so getroffen, wie man ihn treffen sollte. Das ist doch geil!“ Ist es nicht das, was Fußball in Wahrheit ausmacht?

ÖFB-Trainersitzung. Thema: Die Neuorientierung der Trainerausbildung. Es wird diskutiert, ent- und verworfen, letztlich hat Sportdirektor Willi Ruttensteiner wieder seine Wünsche, angereichert mit ein paar Ideen von anderen, unter Dach und Fach gebracht. Willi macht das hervorragend. Er gibt uns Teilnehmern immer wieder das Gefühl, mitgestalten zu können.

Er bereitet seine Notizen am Flipchart vor, allerdings stehen sie zufällig längst als Powerpoint-Vorträge auf seinem Laptop. Er erarbeitet mit uns die Thematik, bringt uns ab und zu auf einen falschen Weg, um am Ende seinen Weg als die Lösung zu präsentieren.
Am Ende der Sitzung überkommt mich ein Déjà-vu. Möchte einer von Euch auf die salomonischen Inseln? So als Entwicklungshelfer, als eine Art Teamchef? Das wäre doch etwas für unseren Heli, oder? Same procedure as last time. Kein Honorar. Nur Ehre. In meinem Kopf entstehen Bilder. Bilder von unberührter Natur, Palmen und Meer. Von seltsamen Tieren. Ich will dahin. Unbedingt. „Andi (Herzog) und ich kommen dann für zwei, drei Tage vorbei und schauen, ob es gut läuft“, sagt Ruttensteiner beiläufig. Schön zu wissen. Ist ja gleich ums Eck. Die paar Kilometer.

Helmut Kronjäger hat sein Buch („Sollte ein Gewinn herauskommen, dann gilt das als Spende für die Steirische Krebshilfe“) geschrieben, alle Ziele aber hat er noch lange nicht erreicht. Und er wird weiter Kritik am System üben. Und sich der schönen Dinge erfreuen. Trotz allem – der Fußball gehört unbedingt dazu.

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