Gerald Baumgartner: "Schleudersitz und Sprungbrett"

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Gerald Baumgartner versucht sich als Trainer der Wiener Austria erstmals in der höchsten Spielklasse. Der Salzburger, 49, spricht über Perspektiven und seine Idee des Fußballs.

Sie sind vor wenigen Wochen vom Zweitligist St. Pölten zur Wiener Austria gekommen. Muss sich ein Trainer genauso wie ein Spieler erst an die höchste Spielklasse gewöhnen?

Gerald Baumgartner: Vielleicht dann, wenn ein Trainer die Szene noch nicht kennt. Ich bin mittlerweile aber lang genug dabei, kenne die Spieler aus der Bundesliga und beschäftige mich seit Jahren damit, nicht zuletzt aufgrund der Spiele im Cup. Der augenscheinlichste Unterschied zwischen erster und zweiter Liga ist die erhöhte Medienpräsenz. Daran muss man sich gewöhnen.

Wer für die Wiener Austria arbeitet, hat umgehend auch ein natürliches Feindbild aus dem Westen der Stadt.

Das fängt schon bei ganz banalen Dingen wie der Kleidung an, bei der Austria darf nichts Grünes getragen werden. So etwas versucht man von Beginn an zu vermeiden. Richtig hautnah zu spüren bekomme ich die Rivalität mit Rapid dann wohl beim ersten Derby in der sechsten Runde – darauf freue ich mich besonders.

In 18 Jahren hat die Austria 14 Trainer verbraucht. Sie sind der vierte Trainer in den vergangenen 13 Monaten. Bereitet Ihnen diese Tatsache Sorgen?

Nein. Mir ist durchaus bewusst, dass ich auf einem vermeintlichen Schleudersitz Platz genommen habe, aber ich bin gekommen, um zu bleiben – wissend, als Austria-Trainer nicht viel Zeit zu haben, sich zu beweisen. Aber ich habe mich bewusst für diesen Weg entschieden, ein Engagement bei der Austria war immer ein erklärtes Ziel. Außerdem hat der Verein erkannt, dass derart häufige Trainerwechsel kontraproduktiv sind. Ich habe es selbst während meiner Zeit bei Red Bull miterlebt, als fast jedes Jahr Trainer und Sportdirektor ausgetauscht wurden, ehe Ralf Rangnick eine Linie vorgegeben hat. Eine Entwicklung kann es nur bei Kontinuität geben.

Trainer aus der österreichischen Bundesliga sind in Deutschland wieder gefragter, die letzten drei Meistertrainer – Franco Foda (Kaiserslautern), Peter Stöger (Köln) und Roger Schmidt (Leverkusen) – landeten bei namhaften Adressen. Eine große Motivation?

Natürlich. Wer in Österreich gute Arbeit leistet, kann auch den Sprung ins Ausland schaffen. Diese Option gab es lange Zeit nicht. Peter Stöger hat vorgezeigt, dass man es genauso gut als Österreicher schaffen kann. Der Trainerjob bei der Austria dient auch als Sprungbrett.

Die vergangene Saison verlief für die Austria auf nationaler Ebene mit dem vierten Rang enttäuschend, auch mit der Spielweise waren die Fans nicht immer glücklich. Wie wird sich die Mannschaft unter Ihrer Regie präsentieren?

Wir wollen aggressiver als in der Vorsaison Fußball spielen, versuchen, in der gegnerischen Hälfte den Ball zu erobern und bei Ballverlust wiederum schnell umzuschalten. Für das aktivere Spiel, das wir praktizieren wollen, benötigt es sehr viel Arbeit im konditionellen Bereich. Dieser Punkt ist mir immens wichtig. Wir haben bereits einige Wochen harten Trainings hinter uns, einige liegen immer noch vor uns. Je länger wir zusammenarbeiten, desto mehr soll der Stil der Austria auf dem Rasen erkennbar sein. Wann wir dort angelangt sind, wo wir sein wollen, lässt sich nur schwer prognostizieren. Ich möchte Woche für Woche Fortschritte erkennen.

Welchen sportlichen Anspruch stellen Sie an Ihr Team?

Diese Saison sind die ersten beiden der Meisterschaft für die Champions League startberechtigt. Wenn man davon ausgeht, dass Salzburg einen der beiden Plätze einnimmt, ist noch immer ein zweiter zu vergeben. Dieser Platz wird definitiv hart umkämpft sein, aber wir wollen darum mitspielen.

Kann der Kader den Ansprüchen auch gerecht werden?

Wir sind gut aufgestellt. Es liegt nur an uns, erfolgreich zu sein. Allerdings haben wir mit Philipp Hosiner unseren besten Spieler verloren. Er hinterlässt eine große Lücke, die uns dazu zwingt, in der Offensive noch zu handeln, um wirklich ganz vorn mitspielen zu können. Die Auswahl des neuen Stürmers soll wohlüberlegt sein, da gibt es keinen Schnellschuss.

Sie legen großen Wert auf sportwissenschaftliche Erkenntnisse. Beim Trainingslager in Velden haben Sie Ihren Spielern auch glutenfreie Ernährung nähergebracht. Wurde Ihr Vorschlag angenommen?

Für viele ist es eine gute Sache, aber nicht für jeden einfach 1:1 zu übernehmen. Wir wollen Spieler auch punkto Ernährung bestmöglich betreuen. Manchen Spielern muss man diesbezüglich noch so einiges erklären. Als Profi reicht es nämlich nicht mehr, nur mit der Toilettetasche zum Training zu kommen. Profi sein ist eine innere Einstellung.

Sie möchten „extremes Offensivpressing“ spielen lassen, ein solches hat Salzburg in der jüngsten Spielzeit ausgezeichnet. Ist der härteste Konkurrent gleichzeitig Vorbild?

Wir orientieren uns nicht an Salzburg, aber man muss sehen, dass ihr System vorige Saison bereits bestens funktioniert hat, nachdem sie zuvor ein Jahr gebraucht haben, um es zu verinnerlichen. Salzburg hat also zwei Jahre Vorsprung. Zudem haben sie ihr Scouting gezielt auf die Spielphilosophie ausgerichtet, verfügen über mehr Budget und qualitativ noch hochwertigere Spieler als wir. Allerdings hat auch die Austria schnelle, dynamische Spieler – und wir wollen unsere Mannschaft in Zukunft weiter verjüngen.

Sehen Sie eine Möglichkeit, dass Salzburg der Titel streitig gemacht wird?

Salzburg wird nur sehr schwer zu biegen sein. Diese Mannschaft ist eingespielt, hatte keine Abgänge zu verzeichnen, sie hat sich sogar noch verstärkt. Nur: 27 Punkte Rückstand sollten wir nicht noch einmal aufreißen.

Steckbrief

Gerald Baumgartner
wurde am 14. 11. 1964 in Oberndorf, Salzburg, geboren.

Als Spieler trug er unter anderem das Trikot von Austria Salzburg, Austria Wien, Vienna, Vorwärts Steyr und SV Ried. Seine aktive Karriere beendete er 2004 bei seinem Heimatverein 1. Oberndorfer SK.

Als Trainer coachte er zunächst die U17 des BNZ Austria Salzburg. Nach der Übernahme durch Red Bull stieg er zum Ko-Trainer der zweiten Mannschaft auf, 2011 übernahm er das Amt des Cheftrainers. Mit den Juniors gewann er in dieser Saison die Regionalliga West. Es folgte der Wechsel nach Pasching (Sieg im ÖFB-Cup) und ein Jahr darauf nach St. Pölten (Cupfinalist). Vor wenigen Wochen beerbte Baumgartner Herbert Gager als Trainer der Austria.

APA

ZU- und AbgängE

Die Wiener verzeichneten bislang sieben Zugänge sowie zehn Abgänge. Verstärkungen sollen unter anderem Marco Meilinger (Salzburg), Rechtsverteidiger Jens Stryger Larsen (Nordsjaelland) aus Dänemark und der mazedonische Innenverteidiger Vance Sikov (Wolyn Luzk) darstellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2014)

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