Marcel Koller: "Ich verliere extrem ungern"

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Österreichs Teamchef Marcel Koller zog nach einem durchaus erfreulichen Länderspieljahr eine nicht nur euphorische Bilanz. Er verspürt Stolz, sieht aber noch nicht die Vollendung.

Wien. Brasiliens Teamchef hatte nach dem Sieg in Wien leicht lachen. Letztendlich hatte seine Mannschaft das Freundschaftsspiel im Prater doch noch gewonnen, alles andere war ihm dann auch nicht mehr so wichtig. Carlos Dunga verlor auch kein Wort über den Schiedsrichter, der die wackeren Österreicher vielleicht um ein besseres Ergebnis gebracht hat. Der Schotte William Collum war jedenfalls vor dem Rekordweltmeister mehrmals in die Knie gegangen, ganz zum Unterschied zur Auswahl von Marcel Koller. Sie hat den Brasilianern die Stirn geboten, war lange Zeit drauf und dran, die Erfolgsserie zu prolongieren, ehe am Ende mit dem 1:2 dann doch die erste Niederlage seit Oktober 2013 stand.

Carlos Dunga hatte nur Augen für seine Mannschaft. Über den eingewechselten Firmino, dessen Sonntagsschuss den Sieg der Seleção perfekt machte, geriet er ins Schwärmen. Er ist erst 23, spielt bei Hoffenheim, hat einen Marktwert von 25 Millionen – aber wenn er so weitermacht, dann werden ihm ganz andere Tore offen stehen. „Firmíssimo“, dichtete die Zeitung „Globo“, die Leistung der Österreicher wurde in Brasilien jedoch anerkannt. Auch Carlos Dunga meinte: „Österreich war meiner Meinung nach noch besser als gegen Russland. Wenn sie so weitermachen, dann werden sie auch bei der EM dabei sein.“ Ob er das nur aus Höflichkeit sagt? „Nein, Österreich war ein starker Gegner.“

Neun Spiele in Serie hatten die Österreicher nicht verloren, die Niederlage gegen Brasilien wäre vermeidbar gewesen. Dementsprechend fiel auch am Tag nach dem Spiel die Bilanz von Marcel Koller aus. „Ich verliere extrem ungern“, sagt der Schweizer. „Mit einem Unentschieden hätte ich leben können, das wäre auch verdient gewesen.“ In diesem Zusammenhang erinnert sich Koller an die vergangene Qualifikation, an das Heimspiel gegen Deutschland. „Damals haben wir super gespielt, aber wir haben verloren. Und die Leute haben gejubelt. Das habe ich damals irgendwie nicht verstanden.“ Auch nach dem Duell mit der Seleção war das nicht viel anders. Aber mittlerweile hat sich Koller mit der rot-weiß-roten Fußballseele bereits angefreundet.

Dragović herausragend

Dieser Siegeswille des Teamchefs hat sich mittlerweile auf die Mannschaft übertragen. Auch wenn der Mannschaft noch das schwere Spiel gegen Russland in den Knochen steckte, hat sie bewiesen, dass sie sich auch gegen ein Kaliber wie Brasilien nicht zu verstecken braucht. Im Finish übten sich die Südamerikaner sogar im Zeitschinden, um das 2:1 über die Runden zu bringen. Superstar Neymar, dem in Wien nicht allzu viel gelang, zögerte seine Auswechslung beispielsweise über Minuten hinaus. Das Prozedere dauerte so lang, dass ein Fan auf den Rasen stürmte, weil er sich ein Autogramm vom Barcelona-Legionär holen wollte. Er handelte sich ein Stadionverbot ein.

Der Rekordweltmeister ist hart eingestiegen in Wien, der Schiedsrichter hat das den Brasilianern durchgehen lassen. „Ich habe ihn nach dem Match gefragt, ob er die Karten daheim vergessen hat“, sagt Koller. Gegen solche Dinge aber ist man machtlos. Trotzdem ließen sich die Österreicher nicht unterkriegen. Vor allem Aleksandar Dragović nicht. „Er hat zu seiner Aggressivität, Präsenz und Zweikampfstärke auch noch Ruhe und Klarheit bekommen und ist trotzdem auf dem Boden geblieben“, lautet das Koller-Urteil über den Kiew-Legionär. Ein Sonderlob gab es auch für Marko Arnautović, der auffallend mannschaftsdienlich agierte.

Für Marcel Koller ist die Arbeit natürlich noch lang nicht beendet, aber es macht ihm sichtlich Spaß in Österreich. „Es macht mich stolz, mit diesem Team zusammen zu sein“, sagt er. Das größte Kompliment hört sich so an: „Diese Burschen können Fußball spielen. Und zwar in der Defensive und in der Offensive.“ Das war im österreichischen Team nicht immer der Fall. hat vielleicht auch damit zu tun, dass die Auswahl auch nicht immer mit den richtigen Vorgaben gefüttert worden ist. Weil Taktik nicht jedermanns Sache war. Oder Organisation. Oder Plan.

Generell zeigte sich Koller mit dem zu Ende gegangenen Länderspieljahr hochzufrieden. „Ich freue mich über die guten Ergebnisse. Die Statistik (vier Siege, drei Remis, eine Niederlage, Anm.) ist sehr positiv und macht viel Mut.“ In den vergangenen Jahren seien deutliche Fortschritte gemacht worden. „Wenn man sich die WM-Qualifikation vergangener Tage und jetzt die EM-Qualifikation anschaut, sieht man, dass Selbstvertrauen und spielerische Qualität dazugekommen sind. Da kann man auch so ein Spiel wie gegen Brasilien gut gestalten.“

Koller fand noch weitere positive Aspekte: „Wir sind flexibler geworden und man hat auch gesehen, dass wir schwerwiegende Ausfälle kompensieren können. Die Leute können stolz sein auf dieses Team.“ Allerdings gibt es laut Koller in einigen Bereichen noch Luft nach oben. „Wir müssen die Laufwege in der Defensive verbessern. Ich wäre froh, wenn ich nicht mehr reinrufen müsste, dass der eine oder andere Spieler fünf bis zehn Meter mehr machen muss.“ Auch die Genauigkeit im Passspiel oder die Effizienz im Abschluss lässt noch zu wünschen übrig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2014)

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