FC AMS: Heute Fußballer, morgen arbeitslos

SOCCER - Coca Cola Cup 2015
SOCCER - Coca Cola Cup 2015(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Christian Ort)
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Nicht jeder wird ein David Alaba: Nur drei Prozent der österreichischen Fußball-Profis haben ausgesorgt. Ein Besuch in Steinbrunn.

Ich habe uns einen Neuen verpflichtet!“, ruft Oliver Prudlo über den Trainingsplatz im Industriegebiet von Steinbrunn. Der ehemalige Fußballprofi ist bei der Spielergewerkschaft (VdF) für soziale Projekte zuständig. Wenn er meint, er habe einen Spieler „verpflichtet“, ist das kein freudiger Anlass, es bedeutet, dass es in Österreich einen weiteren Arbeitslosen gibt. Denn hier im Landessportzentrum im Burgenland trainiert das Camp der vereinslosen Fußballer. Der Neuzugang, den Prudlo mitgebracht hat, ist immerhin ein brasilianischer Weltmeister. Sandro da Silva hat 2003 den U17-Weltmeistertitel gewonnen. Inzwischen kann der 29-Jährige auf über 70 Bundesliga-Partien verweisen. Das vergangene halbe Jahr war er in der Ersten Liga bei St. Pölten unter Vertrag, der Klub hat nicht verlängert.

Und so wird Sandro nun von Paul Gludovatz fit gehalten. Der ehemalige Ried-Trainer und Erfolgscoach der Österreichischen U20-Auswahl von 2007, leitet zum zweiten Mal das vom AMS unterstützte Vereinslosen-Camp. „Ich habe alle Seiten des Fußballs gesehen“, sagt der 69-Jährige, „das hier ist wahrscheinlich die Rückseite.“ Gludovatz ist nicht nur der Trainer im sechswöchigen Camp, er ist Gesprächspartner und sogar Spielervermittler. Natürlich erkundige man sich auch bei ihm.

Von der der Qualität der Truppe ist er überzeugt. „Namen sagen mir weniger als das, was ich hier sehe. Wenn ich eine Woche mit diesen Spielern arbeite, hole ich mir fünf für den Profibereich.“ Als Sozialdienst will er sein Engagement deshalb nicht verstanden wissen. Und obwohl kein Spieler wirklich freiwillig hierher kommt, sei die Stimmung gut – oder „ganz in Ordnung“, wie Prudlo es ausdrückt. „Alle halten zueinander, das Camp schweißt schon zusammen.“


Der Tag X wird kommen. 500 Arbeitsplätze gibt es in den beiden österreichischen Profiligen. Arbeitslos gemeldet sind 175 Fußballer, die Zahl steigt seit 2008. Für die Hälfte davon wird es schwierig, nochmals einen Verein zu finden, sie sind schon zu alt. Die andere Hälfte habe noch eine Zukunft, meint Prudlo. Rund 50 Spieler haben sich für das Camp angemeldet, gekommen sind etwa 20. „In den letzten Tagen sind zum Glück noch viele untergekommen, andere sind noch bei Probetrainings“, erklärt Prudlo. Im Camp herrscht ein Kommen und Gehen, der Kader der Vereinslosen ändert sich praktisch stündlich. Zwischen den Trainingseinheiten wird verhandelt, für manche ist Steinbrunn auch nur ein Kurzbesuch. Gludovatz freut sich dann, sein Motto lautet „Auf Nimmerwiedersehen“.

Vom ersten Camp im Vorjahr sind immerhin zwei Drittel der Teilnehmer wieder bei Vereinen untergekommen. In Deutschland sind solche Camps bereits etabliert, dort beträgt die Erfolgsquote sogar 80 Prozent, erzählt Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der deutschen Spielergewerkschaft. Natürlich hätten die Profis der deutschen Bundesliga „das Sparschwein voll“, sagt Baranowsky, wichtig sei es, der breiten Masse in den unteren Ligen einen Berufseinstieg zu ermöglichen. „Nach der Karriere haben nur zwei von zehn Spielern eine abgeschlossene Ausbildung. Zwei Drittel machen überhaupt keine Fortbildungen.“ Karriereverlaufsstudien würden zeigen, dass nur fünf Prozent einen ordentlichen Profivertrag unterschreiben. „Das heißt, der Tag X kommt für 95 Prozent der Spieler schon, bevor die Karriere eigentlich begonnen hat“ berichtet Baranowsky.

Österreich beneidet der deutsche Spielervertreter um den Kollektivvertrag. Dennoch ist hierzulande auffällig, dass viele Spieler Mitte 20 plötzlich vertragslos sind und vor dem Aus ihrer Karriere stehen. „Es gibt ein Überangebot an fußballerisch gut ausgebildeten Spielern“, erklärt Prudlo. Aus den Fußball-Akademien drängt jedes Jahr eine große Zahl an Spielern auf den Markt. Um eine Chance als Profi zu bekommen, sind diese Spieler natürlich bereit, um relativ wenig Geld zu spielen.

Hinzu kommt die umstrittene Jugendregelung in der Ersten Liga, wonach vier Spieler des Jahrgangs 1994 oder jünger eingesetzt werden müssen. „Dieser Stichtag stört und wird nicht aufgeweicht. Die Spieler werden nur geduldet – sie spielen, weil sie müssen, nicht, weil sie gut sind. Dann sind sie plötzlich alt und bekommen keinen Vertrag mehr“, weiß Gludovatz. Auch Prudlo kritisiert die Regelung: „Spieler aus den Akademien unterschreiben einen Jungprofivertrag und verdienen relativ wenig. Mit 23 fallen sie dann aus der Jugendregelung und haben keine Ahnung, was sie jetzt machen könnten.“ Die Regelung führe direkt zu mehr Arbeitslosigkeit.


Der Bestverdiener. An den Statuten der Ersten Liga wird sich in näherer Zukunft nichts ändern. Für Gludovatz hat es deshalb oberste Priorität, dass Fußballer die Eigenverantwortung übernehmen. „Ein Spieler muss sich schon um ein zweites Standbein kümmern, bevor er 20 Jahre alt ist.“ Er selbst sei ja quasi ein Schuldtragender der derzeitigen Situation, schließlich war er 27 Jahre lang für den Nachwuchs in Österreich zuständig. Dort werde den Jungen natürlich mit Profikarrieren „der Mund wassrig gemacht“. Gludovatz glaubt deshalb, man müsse von jedem Spieler verlangen, selbstverantwortlich die vielen Möglichkeiten zu nutzen, die es für eine Ausbildung inzwischen gibt. Auch das Camp in Steinbrunn besteht nicht nur aus Fußballtraining. „Wir wollen auch Bewusstsein schaffen. Die Spieler dürfen nicht alles auf den Fußball setzen“, erklärt Prudlo.

Ein positives Beispiel ist Steffen Hofmann. Der Rapid-Kapitän, 34, ist einer der Bestverdiener der Bundesliga („Es ist kein großes Geheimnis, dass ich bei Rapid am meisten verdiene“) und macht dennoch ein Fernstudium in Salzburg. Als Aktiver mit Familie und drei Kindern eine gewaltige Herausforderung, wie Hofmann erzählt: „Nach so langer Zeit war es schwierig, wieder mit dem Lernen zu beginnen. Aber ich wollte etwas für die Birne tun und nicht nur für die Beine.“ Bei seinen Mitspielern hat Hofmann stets wenig Verständnis für die Notwendigkeit einer Ausbildung festgestellt. „An der Einstellung der Spieler ändert sich nicht viel. Wissbegieriger als früher sind sie nicht.“ Aber auch er ist in dieser Hinsicht nie aufgeklärt worden.

Für junge Spieler sei die derzeitige Situation jedenfalls sehr gefährlich, „es kommen immer mehr, die dann schnell wieder weg sind. Die zwei bis drei Jahre, die man im Profifußball braucht, bekommt keiner mehr.“ Hofmann vertritt sogar die Meinung, es sei „fahrlässig, seinen Sohn in die zweite Liga zu schicken“.


Zuerst die Scheidung. Mit 29 Jahren bereits in Fußball-Pension ist Franz Schiemer. Der frühere Salzburg-Verteidiger sieht die Situation am Spielermarkt ähnlich. „Zu viele Spieler sind fußballerisch zu gut ausgebildet. Das ist ein Problem, weil sie sich Chancen ausrechnen.“ Er selbst habe es in Salzburg natürlich gut gehabt, „wir wurden für österreichische Verhältnisse sehr gut bezahlt“, sagt der Ex-Teamspieler. Dennoch hat sich Schiemer für ein berufsbegleitendes Wirtschaftsstudium entschieden, der Ausstieg aus dem Fußballbetrieb sei deshalb für ihn sehr einfach gewesen.

Dass das nicht bei allen so reibungslos funktioniert, weiß Fredi Bobic. Viele Kollegen des deutschen Europameisters von 1996 wussten nach der Fußballkarriere nicht, was sie mit sich anfangen sollten. „Das Erste bei vielen war dann die Scheidung.“ Bobic, 43, schlug eine Karriere als TV-Experte und Sportmanager ein. Anlässlich einer Diskussionsrunde fand er klare Worte: „Die jungen Burschen haben wenig vom Leben mitbekommen. Auch die Akademien sind eine Scheinwelt. Und Vorsorge interessiert in diesem Alter keinen.“ Auch er habe als Aktiver die Zeit lieber mit Karten spielen verbracht. Nach der Karriere werde einem jedoch nichts geschenkt. „Du musst auch Dinge tun, für die du einmal keinen Euro bekommst.“

Seine Fußballkarriere beenden möchte Peter Hlinka noch nicht. Der 36-Jährige ist der Führungsspieler bei den Vereinslosen in Steinbrunn. Er blickt auf über 300 Einsätze in der Bundesliga zurück, war Meister mit Rapid, Cupsieger mit Sturm und spielte im Nationalteam der Slowakei. Zuletzt hatte er in Innsbruck großen Anteil am Klassenerhalt in der Ersten Liga. Doch der Verein wollte den Kader verjüngen – eine klare Ansage, wie Hlinka sie schätzt. Das sei nicht immer so. „In Österreich wird viel geredet und oft zu wenig auf die Leistung geschaut.“ Ums Geld geht es Hlinka nicht mehr, der Musterprofi möchte zu einem Verein, der ihm noch etwas bieten kann, zum Beispiel als Führungsspieler einer jungen Mannschaft.

Die Stimmung im Camp sei ok, meint Hlinka. Natürlich spüre er hin und wieder Verunsicherung bei den Jüngeren. Viele hätten schließlich auch eine Familie. Die Jugendregelung, die zur Folge hat, dass Spieler mit 23 aussortiert werden, kritisiert auch er. „Der Markt ist nicht einfach. Es ist ein schmutziges Geschäft.“

Europakampf

Österreich hat bei der Fußball-EM der arbeitslosen Teams das Achtelfinale erreicht. Die Schützlinge von Coach Paul Gludovatz setzten sich am Freitag im burgenländischen Draßburg gegen die Ukraine mit 4:2 im Elfmeterschießen durch. Nach 90 Minuten war es 1:1 gestanden. Am kommenden Freitag (19 Uhr) geht es in Sint-Truiden gegen Belgien.

Zahlen

67Prozent der Spieler

in der Ersten Liga verdienen weniger als 30.000 Euro brutto pro Jahr. In der Bundesliga sind es

23 Prozent.

50Prozent in der Bundesliga verdienen mehr als 75.000 Euro

brutto pro Jahr.

500Profi-Fußballer gibt es in den beiden höchsten heimischen Ligen.

175Fußballer sind derzeit arbeitslos gemeldet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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