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SOCCER - BL, Admira vs Altach
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Der englische Zweitligaklub FC Brentford verpflichtet seine Spieler nach statistischen Analysen. Beim 23-jährigen Admiraner Konstantin Kerschbaumer schlug das Radar an.

Konstantin Kerschbaumer sitzt im Café des Hotel Novotel im Londoner Stadtteil Brentford. Der 23-Jährige weilt hier nicht als Tourist. Seit wenigen Tagen ist Kerschbaumer offiziell Spieler des FCBrentford, eines Zweitligisten mit großen Ambitionen. Der Niederösterreicher wirkt zufrieden, die ersten Eindrücke seines neuen Lebens hat er verarbeitet. Die Admira, für das letzte halbe Jahr sein Dienstgeber, gehört der Vergangenheit an. Die Gegenwart heißt FC Brentford. „Wenn du solch eine Chance bekommst“, sagt der Mittelfeldspieler überzeugt, „dann musst du sie annehmen.“

Kerschbaumers Transfer von der Südstadt auf die fußballverrückte Insel gleicht einem schönen Märchen. Die Engländer beobachteten den Niederösterreicher nicht erst im Dress der Admira, schon bei Spielen für St.Pölten gelangte er ins Visier der Verantwortlichen. Als Kerschbaumer erstmals vom Interesse Brentfords erfuhr, wagte er noch nicht, von einem möglichen Engagement im Mutterland des Fußballs zu träumen. „Weil ich meine Erfahrungen gemacht, daraus gelernt habe.“ 2014 wurde Kerschbaumer mit PSV Eindhoven in Verbindung gebracht, ein Wechsel kam jedoch nie zustande. Doch „The Bees“, wie der Klub aus dem Westen Londons genannt wird, erweisen sich nicht als Eintagsfliege, „sie haben es wirklich ernst mit mir gemeint“. Kerschbaumer informierte sich im Internet über den Klub, die Mannschaft, die Vereinsführung. Die Entscheidung fiel ihm schließlich leicht. Und einen Vierjahresvertrag schlägt man nicht so einfach aus. „Ein Zeichen, dass der Verein wirklich mit mir plant.“

Doch wie kam es dazu, dass ein englischer Klub mit Premier-League-Ambitionen auf einen 23-jährigen Österreicher aufmerksam wurde, der zunächst beim Zweitligisten St.Pölten und später beim abstiegsgefährdeten Bundesligaklub Admira eine gute, aber nicht alles überragende Rolle spielte? Die Erklärung liefert das Scoutingsystem des FC Brentford. Der Klub vertraut bei der Auswahl von Neuverpflichtungen gezielt auf mathematische Modelle und statistische Analysen. In ganz Europa wird nach Talenten gesucht, meist bei kleineren Vereinen zu geringeren Ablösesummen.

Neben dem Kerschbaumer-Deal untermauern diese These auch die jüngsten Transfers von Spielern aus der dritten deutschen oder gar vierten englischen Liga. „Brentford“, sagt der ÖFB-Legionär, „will gar keinen Ronaldo. Sie wollen talentierte Spieler zu günstigeren Konditionen. Ein Spieler aus der zweithöchsten Spielklasse muss nicht schlechter sein als einer aus der höchsten, aber er kostet nur die Hälfte. Brentford sucht diese Nische.“ Kerschbaumer gefiel durch seine Laufwege. Er wurde als Box-to-Box-Player gelobt, weil er viele Kilometer zwischen beiden Strafräumen zurücklegt, offensiv wie defensiv arbeitet.


Spielen nach Zahlen. Der kluge Kopf hinter dem FC Brenford heißt Matthew Benham. Der 56-Jährige studierte einst in Oxford Physik, nach einem Ausflug in den Londoner Bankendistrikt gründete er eine Sportwettenfirma und verdiente damit ein Vermögen. Seit 2012 ist er Eigentümer des FC Brentford, seiner Jugendliebe. „Wenn es darum geht, im Klub Entscheidungen zu treffen, vertraue ich den Zahlen. Sie lügen nicht“, meint Benham und hat im Februar seinen Worten Taten folgen lassen. Obwohl auf Tabellenplatz fünf liegend und mit Chancen auf den Premier-League-Aufstieg verkündete er, die Verträge mit der sportlichen Führungsriege mit Saisonende nicht zu verlängern. „Mein mathematisches Modell zeigte mir, dass wir nur das elftbeste Team der Liga sind“, meinte er damals.

Matthew Benham ist ein Querdenker, er versucht, den Fußball mit seinen Ansichten zu revolutionieren. Daten sind nichts wert, wenn man sie nicht zu deuten weiß. „Ein Spieler kann 100Prozent erfolgreiche Pässe gespielt haben, aber er hat trotzdem schlecht gespielt, wenn keiner davon zu einem Tor geführt hat“, betont Benham, der neben dem FC Brentford auch den FCMidtjylland besitzt. Die Dänen wurden mit dem österreichischen Stürmer Martin Pusic in der abgelaufenen Saison erstmals Meister. Midjylland überzeugte unter anderem mit exzellentem Spiel bei Standardsituation, im Schnitt traf man beinahe in jeder Begegnung nach einem ruhenden Ball. Auch Brentford soll bei Eckbällen und Freistößen künftig mehr Gefahr ausstrahlen, ein italienischer Spezialtrainer für Standards wurde eigens dafür engagiert.

Konstantin Kerschbaumer kennt Benham nicht nur von Erzählungen. Nach einem gemeinsamen Essen berichtet er von einem „Gespräch mit einem unglaublichen, intelligenten Menschen.“ Benham sei niemand, der sich hinter seinen Zahlen verstecke, vielmehr habe er sich als wahrer Fußballfachmann erwiesen. „Ich war überrascht, wie viel er über die österreichische Bundesliga und einzelne Spieler weiß.“

Kerschbaumer hofft auf einen Stammplatz in der Mannschaft des niederländischen Trainers Marinus Dijkhuizen. Der sportliche Durchbruch steht im Vordergrund, finanziell sei die Unterschrift in England ohnehin ein Segen. „Das ist mein erster richtig gut dotierter Vertrag. Davon kann ich mir etwas zur Seite legen“, sagt Kerschbaumer. Die Geschichte des FC Brentford und Konstantin Kerschbaumer erinnert an den Hollywood-Film „Moneyball“, in dem ein Baseball-Team basierend auf Statistiken zusammengestellt wird. Kerschbaumer hat bedingt durch seinen Wechsel viel über den Film gehört, ihn aber noch nie gesehen. „Das wird sich bald ändern.“

Steckbrief

Konstantin Kerschbaumer wurde am 1. Juli 1992 in Tulln geboren.

Kerschbaumer durchlief den Nachwuchs des FC Tulln, ehe er sich der U18 St. Pölten anschloss. Für den Zweitligisten kam er später ebenso zu Einsätzen wie im Trikot von Vienna und den Rapid Amateuren. Zuletzt war der Mittelfeldspieler bei Admira unter Vertrag, wechselte aber nach nur einem halben Jahr.

Der englische Zweitligist FC Brentfordverpflichtete Kerschbaumer bis 2019. In der Vorbereitung trifft der Klub unter anderem auf Stoke City (Arnautović).

Im ersten Meisterschaftsspiel trifft Kerschbaumer mit Brentford am 8. August auf Ipswich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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