Leo Windtner: "Unter Marcel Koller ist die Mannschaft der Star"

Leo Windtner und Marcel Koller.
Leo Windtner und Marcel Koller.(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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ÖFB-Präsident Leo Windtner hat einen derartigen Hype um das Fußballnationalteam in seinen kühnsten Träumen nicht erwartet. Der Oberösterreicher, 65, hegt Wünsche für ein neues Nationalstadion, »das Happel ist eine alte Dame«. Er erklärt das Phänomen Koller und sorgt sich um den Weltfußball.

Fifa-Präsident Joseph Blatter und Uefa-Boss Michel Platini belasten das Idyll der Fußballwelt dieser Tage – wieder einmal – arg. Wie geht der ÖFB-Präsident damit um?

Dieses Thema lastet tatsächlich auf dem Fußball. Was sich auf Fifa-Ebene abgespielt hat, ist zum Teil ein schwerer und anhaltender Schaden für diesen Sport. Der Fußball braucht auf seiner höchsten Ebene wieder Glaubwürdigkeit, es braucht eine Vertrauensbasis und Transparenz. Es muss in jeder Beziehung ein Clean-up stattfinden.


Der Weltfußball droht auf höchster Ebene in sich zusammenzustürzen. Der kriminelle Sumpf scheint immer noch nicht trocken gelegt zu sein.

Es ist bemerkenswert, dass von 23 Mitgliedern des Fifa-Exekutivkomitees mehr als die Hälfte im Lauf der vergangenen Funktionsperiode ihre Position aufgrund krimineller Hintergründe verloren haben. Ich möchte aber festhalten, dass es keinen einzigen Vertreter aus Europa betroffen hat, weshalb es zwingend notwendig ist, dass künftig die Integritätschecks für Mitglieder des Exekutivkomitees konsequent durchgeführt werden. Nicht nur von den entsendenden nationalen Konföderationen, sondern auch von der Fifa per se. Denn letztlich wird die Fifa angeprangert, wenn ihre Organe mit Mitgliedern ausgestattet sind, die in kriminelle Machenschaften verwickelt sind. Compliance-Regeln haben in der westlichen Welt wesentlich andere Inhalte als auf anderen Kontinenten. Wer in das Exekutivkomitee der Fifa eintritt, muss vorher klarstellen, dass er in jeder Hinsicht unbefangen und unbescholten ist.


Würden Sie den sofortigen Rücktritt von Joseph Blatter begrüßen? Gegen den Schweizer läuft derzeit immerhin ein Strafverfahren . . .

Es gilt immer noch die Unschuldsvermutung, von der in jedem Rechtsstaat auszugehen ist. Diesbezüglich gab es bislang keinen anderen Handlungsbedarf und auch keine andere Handlungsmöglichkeit.


Und welches weitere Vorgehen würden Sie sich in der Causa Platini wünschen?

Ich gehe davon aus, dass Michel Platini die Dinge so aufklären wird, dass die notwendige Transparenz hergestellt wird. Das wird auch notwendig sein, um als Kandidat für das Amt des Fifa-Präsidenten seriös auftreten zu können. Wir als ÖFB haben uns einhellig dazu bekannt, dass Platini diese Position anstreben soll, weil wir natürlich davon ausgehen, dass in der Fifa folglich europäische Maßstäbe bezüglich Compliance und wirtschaftlicher Transparenz hergestellt werden können.


Wie stehen Sie Weltmeisterschaften wie jener 2022 in Katar gegenüber?

Mit Katar verhält es sich ähnlich wie mit Südafrika 2010. Man wollte partout ein Exempel statuieren. Eine Weltmeisterschaft in Südafrika musste möglich sein, man wollte damit ein Signal für die Globalität des Fußballs und im Speziellen für den Schwarzen Kontinent und seine Entwicklungschancen setzen. Mit Katar wollte man erneut ein Zeichen setzen, diesmal eben im arabischen Raum.


Ist es nach 2022 nicht genug der Zeichen? Wird der Fußball wieder zu seinen Wurzeln zurückkehren?

Genau das wünschen sich sehr viele Fußballfans und Repräsentanten der einzelnen Nationalverbände. Ich gehe davon aus, dass bei der WM-Vergabe für 2026 wieder eher auf Tradition und einfache Machbarkeit gesetzt wird. Wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht in eine Gigantomanie hineinlaufen, die den Fußball in eine Richtung leitet, die er nicht braucht. Es bleibt sonst nur eine Handvoll Länder übrig, die solche Großveranstaltungen wie eine Fußball-WM oder Olympische Spiele stemmen können. Die Menschen haben eine gewisse latente Sehnsucht, dass Großereignisse zu ihrem Ursprung zurückkehren. Ich erinnere an die Olympischen Winterspiele 1994 in Lillehammer.


Hat der Österreicher eine latente Sehnsucht nach einem Großereignis im eigenen Land?

Österreich ist eines der weltweit präferiertesten Gastgeberländer, ob der Landschaft, der Sicherheit oder der Menschen wegen. Ganz egal, ob eine Fußball-EM oder Olympische Winterspiele: Österreich hat immer gute Karten, weil es die entsprechende Reputation besitzt. Inwieweit die Politik künftig bereit ist, solche Ereignisse zu stemmen, bleibt dahingestellt. Es wäre daher sehr wichtig, dass solche Erfolge wie jene des Nationalteams konstanter erzielt werden. Das würde den Faktor Sport in der Gesellschaft wesentlich steigern.

ÖOC-Präsident Karl Stoss meinte in einem „Presse“-Interview, Österreich sei keine Sportnation. Pflichten Sie ihm bei?

Österreich hat sicherlich nicht jene nationale Affinität zum Sport wie etwa skandinavische Länder. Bei Großereignissen in Skandinavien ist vom Königshaus bis zur gesamten Bevölkerung alles vertreten. Dort identifiziert sich auch die Politik voll und ganz mit Sport. Dieser Zugang ist bei uns leider nach wie vor nicht gegeben. Wir werden im Heimspiel gegen Liechtenstein bestimmt auch viel politische Prominenz begrüßen dürfen, das freut und ehrt uns. Aber diesen hohen Identifikationsgrad wie etwa die Skandinavier, den haben wir in Österreich bei Weitem nicht. Aber genau den brauchten wir. Das fängt bei der täglichen Bewegungsstunde für Kinder an, aber hierzulande stößt man diesbezüglich seit Jahren auf sehr viel Granit.

Wie gehen Sie mit politischen Schulterklopfern um, von denen es momentan sicher einige gibt?

Ich sehe sie als Chance, in den Dialog zu treten und Überzeugungsarbeit zu leisten. Sport ist in gesundheits-, integrations- und sozialpolitischer Hinsicht ein maßgeblicher Faktor für die Gesellschaft eines Landes.


Die Fußballnationalmannschaft hat in den vergangenen Jahren den Turnaround vom stets Scheiternden zum Gewinner geschafft. Hätten Sie diese Entwicklung für möglich gehalten?

Vor vier, fünf Jahren hätte niemand einen solchen Hype erwartet, wir wir ihn heute erleben dürfen. Auch die kühnsten Träume haben es nicht vorgesehen, dass wir zwei Spiele vor Ende der EM-Qualifikation nicht mehr von Platz eins zu verdrängen sind. Diese Begeisterung ist das Ergebnis einer kontinuierlichen nachhaltigen Entwicklungsarbeit, woraus eine neue Spielergeneration resultiert ist, die sich aus tollen Charakteren und Typen zusammensetzt.


Und welche Rolle nimmt dabei Teamchef Marcel Koller ein?

Mit Marcel Koller ist ein Teamchef nach Österreich gekommen, der es verstanden hat, diese prägnanten Charaktere zu einem Team zu formen, bei der jeder Spieler seine individuelle Stärke perfekt einbringt. Unter Koller ist das Team der Star. Sonst hätten wir nicht zweimal ohne David Alaba Russland geschlagen. Koller versteht es, die Burschen beim Herz und beim Schlips gleichermaßen zu fassen.


Für wie wahrscheinlich haben Sie es gehalten, dass sich just ein Schweizer als solcher Glücksfall für den österreichischen Fußball herausstellt?

Ich war absolut überzeugt von ihm, deswegen habe ich auch an einer Entscheidung festgehalten, die nicht selbstverständlich, sondern durchaus couragiert war. Und ich war auch davon überzeugt, dass es notwendig ist, eine neue Basis zu schaffen. Heute ist das Team rund um Koller so homogen aufgestellt wie nie zuvor, von der medizinischen Abteilung und den Physiotherapeuten bis hin zum Zeugwart.


Österreichs Fußballfans wünschen sich nichts sehnlicher als eine Vertragsverlängerung mit Marcel Koller. Werden Sie diesen Wunsch erfüllen können?

Wir haben mit Marcel Koller einen Vertrag bis zum Ende der EM. Er wird von Klubs genauso wie von anderen Nationalverbänden wie der Schweiz geschätzt, dieses Thema hatten wir ja schon einmal vor zwei Jahren. Marcel Koller weiß allerdings durchaus einzuordnen, was hier entstanden ist. Jetzt bereits irgendetwas zu avisieren, ist überzogen, spielen wir erst einmal die Qualifikation zu Ende. Wir werden sodann die notwendigen Gespräche führen. Ich gehe davon aus, dass wir zeitgerecht vor der EM wissen, wer nach der EM Teamchef ist. Wir wünschen uns alle Marcel Koller, das ist kein Geheimnis.


Wird sich der ÖFB für eine Vertragsverlängerung womöglich auch finanziell über eine etwaige Schmerzgrenze bewegen müssen?

Das lasse ich auf mich zukommen.


Zu einer finanziellen Herausforderung wird auch das Teamquartier in Frankreich werden.

Wir befinden uns im Finalisierungsstadium, es ist natürlich auch eine Kostenfrage. Die französischen Hoteliers sind nicht gerade für ihre Sozialpreise bekannt. Wir haben schon einiges besichtigt und durchaus passende Locations im Visier, aber jetzt geht es darum, neben der Adäquatheit für die Mannschaft in den nächsten Wochen auch noch einen vernünftigen Preis auszuhandeln.


Hat der Präsident Wunschgegner für die Gruppenphase?

Ein Wunschszenario ist noch nicht wirklich abbildbar, weil wir auch noch nicht definitiv wissen, in welchem Topf wir bei der Auslosung sein werden und wer letztlich aller die Qualifikation schafft.


Wie wäre es denn mit einem ewig jungen Duell gegen Deutschland?

In der Gruppenphase des Turniers sind die Deutschen kein Wunschgegner.


Stehen angesichts des derzeitigen Höhenflugs potenzielle Sponsoren des Nationalteams Schlange?

Nein, diese Zeiten sind vorbei, noch dazu in Konjunkturphasen, wie wir sie derzeit erleben. Andererseits haben wir viele Sponsoren, die uns schon lange Zeit begleiten, wie zum Beispiel Raiffeisen, Burgenland und Puma, und uns auch in den Jahren, in denen es nicht gut gelaufen ist, loyal zur Seite gestanden sind. Aber grundsätzlich gibt es bestimmt zusätzliche Möglichkeiten im Bereich des Sponsorings, vor allem im Merchandising.


Warum hat man diesen Bereich im ÖFB so lange brach liegen lassen?

Man muss ab und zu aus der Vergangenheit lernen, in diesem Bereich schlummert tatsächlich viel Potenzial.


Von den fünf Heimspielen Österreichs in der EM-Qualifikation waren drei restlos ausverkauft, zwei beinahe. Wie viel Potenzial schlummert in der Stadion-Causa?

Das Ernst-Happel-Stadion ist eine alte Dame, bei der schon viele optische Ergänzungen vorgenommen wurden. Aber es ist eine alte Dame geblieben. Die Stimmung im Stadion, der Radetzky-Marsch und die Choreografien kaschieren gewaltig viel, aber es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass wir bei den Themen wie Stadionzutritt, Sicherheit oder Mediengegebenheiten kein Stadion vorfinden, das den heutigen Ansprüchen gerecht wird. Deshalb haben wir auch keine Chance, ein Europacup-Finale zugesprochen zu bekommen. Ein neues Nationalstadion ist das erklärte Fernziel des österreichischen Fußballs.


Welches Fassungsvermögen halten Sie für sinnvoll?

Ungarn baut ein Stadion für 70.000 Menschen, das wird ein Highlight für den ungarischen Fußball. Ich glaube, es ist nicht vermessen zu sagen, dass Wien ein Stadion für 60.000 Leute vertragen würde.

Steckbrief

Leopold „Leo“ Windtner wurde am 30. August 1950 in Linz geboren.

Seit 2009 ist Windnter Präsident des Österreichischen Fußballbundes, er bekam bei der Abstimmung mehr Stimmen als Gegenkandidat Günter Kaltenbrunner und folgte Friedlich Stickler nach.

Seit über 20 Jahren steht Windtner an der Spitze des landeseigenen Stromversorgers Energie AG Oberösterreich.

Zahlen Lügen nicht

Die Fifa-Weltrangliste weist Österreichs Nationalmannschaft seit 1. Oktober auf dem elften Platz aus, besser war das ÖFB-Team noch nie klassiert.

In der laufenden Qualifikation zur EM 2016 sind neben Österreich (7 Siege, ein Unentschieden) nur England (8/0), Wales (5/3), Italien (5/3) und Rumänien (4/4) ungeschlagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

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