Das neu entdeckte Sieger-Image

SOCCER - UEFA EURO 2016 quali, AUT vs LIE
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Nummer zehn der Fußballwelt, 45 Millionen Euro Marktwert, erster Spieler bei Real Madrid, erster NBA-Spieler, fünfter Triumph im Skiweltcup: Österreichs Sport, eine ganz andere Sichtweise.

„Zurück in die Zukunft“ – im legendären Hollywood-Streifen wäre man diese Woche tatsächlich im Jahr 2015 gelandet. Die Gegenwart versucht zu eruieren, welche Prognosen und Visionen eingetroffen sind und welche Ideen bloß reine Fantastereien geblieben sind. Legte man so eine Ausgangslage auf Österreichs aktuelles, neues, erfolgreiches und durchaus sympathisches Erscheinungsbild im Sport um – man wäre noch vor sehr kurzer Zeit für verrückt erklärt worden. Sowohl im Erfolgsfall als auch bei allen Negativerlebnissen.

Wie immer sprechen Zahlen Bände, sie erhalten in diesem Essay großes Gewicht und haben einen immensen Vorteil: Sie nehmen auf Patriotismus, Chauvinismus oder Emotionen keinerlei Rücksicht. Es sind Fakten.

Österreichs Fußballteam ist Nummer zehn der Weltrangliste. Die Mannschaft von Marcel Koller hat sich ungeschlagen als Gruppensieger für die Euro 2016 in Frankreich qualifiziert. Der Wiener David Alaba wird seit wenigen Tagen auf in diesen Belangen gut informierten Transferplattformen als teuerster Verteidiger der Welt gepriesen: mit einem Marktwert von 45 Mio. Euro.

Österreich stellt so viele Legionäre in Europas Topligen wie noch nie: England (4), Deutschland (15), Italien (2). Und dann kommt es noch zu einer historischen Premiere: mit Philipp Lienhart, 18, trug in dieser Woche erstmals ein Österreicher tatsächlich das Dress von Real Madrid, dem „Weißen Ballett“ rund um Superstar Cristiano Ronaldo. Nicht mehr nur Hans Krankl (Barcelona, 1978) oder Gerhard Rodax (Atlético Madrid, 1990) tauchen in Statistiken von Spitzenklubs der Primera División auf. Dass Lienhart keine Minute gespielt hat und nur dabei war, weil zig Stars fehlten, ist 90-minütiges Faktum. Für den Teenager bedeutet es dennoch die Welt, weitere Einberufungen bleiben nicht ausgeschlossen. Der Grazer ist im B-Team gut unterwegs. Ein Österreicher wird von niemand Geringerem als Zinedine Zidane trainiert . . .

Österreichs Sportler sind auch weltoffener denn je. Nicht mehr nur Schwimmer Markus Rogan oder Eishockey-Crack Thomas Vanek werden als Vorreiter ausgeschildert, wenn es darum geht, im Ausland Karriere zu machen oder Essenzielles zu lernen, weil es in der Heimat weiterhin an Ressourcen und Strukturen mangelt. In der National Hockey League sind gleich vier „Austrians“ im Einsatz.

Mit dem Wiener Jakob Pöltl (20 J., 2,13 Meter) klopft erstmals ein Österreicher an die Türen der National Basketball Association an – 2016 könnte es so weit sein. Dann lauert „Österreichs Antwort auf Nowitzki“ unter dem Korb in der besten Profiliga der Welt.

Österreich ist im Wintersport die Großmacht. Ob Ski alpin oder Skispringen – ein ÖSV-Vertreter hat die Skispitzen vorn. Dass der Annaberger Marcel Hirscher in dieser Saison zum fünften Mal in Serie Gesamtweltcupsieger werden könnte, galt bis vor Beginn dieser Erfolgsserie als utopisch. Der achte Tourneesieg eines ÖSV-Adlers – en suite – ebenfalls.

Als „Bank“, also gewiss zu verbuchen, gilt der kultivierte Stillstand im Sportstättenbau. Der dringende Bedarf moderner Stadien und Sporthallen verhallt zwischen Kostengründen und politischem Desinteresse. In Hütteldorf öffnet im Sommer 2016 ein neues Schmuckstück sein Pforten, die Allianz-Arena ist dann Wiens neuer Fußball-Hotspot. Dann zieht Austria in das Happel-Stadion, um die Generali-Arena auszubauen. Und, kehren die Violetten 2017 an den mit einer U-Bahn-Station dekorierten Verteilerkreis zurück, könnte womöglich schier Unglaubliches im Prater geschehen. Ein Nationalstadion, so nannte es ÖFB-Präsident Leo Windtner, mit 60.000 Zuschauern, ist kein bloßes Wunschdenken. Es würde Wien, Österreichs Sport und Fußball ungemein aufwerten.

Was aber geschieht, wenn das Nationalteam bei der Euro 2016 in Frankreich groß aufspielt? Gibt es 2016 bei Olympia in Rio de Janeiro keinen ernüchternden Nuller wie noch bei den Sommerspielen in London 2012 – die 470er-Segel-Weltmeisterinnen Vadlau/Ogar sind der Goldtipp –, herrscht wieder mehr als nur Aufbruchstimmung in eine neue Epoche. Sogar ohne Zeitmaschine.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2015)

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