Sebastian Prödl: "Im Innersten träumt man immer vom Höchsten"

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�FB-RADTOUR IN LAAX: JUNUZOVIC/PR�DL(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Innenverteidiger Sebastian Prödl muss noch um seinen Euro-Fixplatz im Nationalteam bangen. Der "Presse am Sonntag" erzählt er jedoch, wie wichtig es ist, Realist zu sein.

Als Verteidiger bekommt man ganz schön viel ab, den Ruhm bekommen aber oft die anderen, zumeist die Stürmer. Warum wurden Sie also Verteidiger?

Sebastian Prödl: Die Spielposition hängt von deinem Talent und auch von deinem Körperbau ab. Ich muss meinen Körper mit seiner Länge ausnützen. Aber es stimmt, man bekommt schon was auf die Knochen als Innenverteidiger, man muss hinhalten.

Sie haben aber auch schon einmal eine sehr schwere Kopfverletzung erlitten.

Beim Versuch, ins Tor zu köpfeln, wurde mir ins Gesicht getreten. Das sind keine schönen Erinnerungen.

Kann man das ganz hinter sich lassen?

Ich blende es komplett aus. Ich unterhalte mich kaum darüber und stelle mir diese Situation nur selten vor. Nicht, dass ich sie verdränge, aber es bringt mich nicht weiter, wenn ich zu viele Gedanken daran verschwende. Damals, 2011, begann ich mit einem Mentaltrainer zu arbeiten, einem Psychologen. Mit ihm arbeite ich immer noch zusammen. Man ahnt gar nicht, was für ein Potenzial in diesem Bereich in einem schlummert. Im Fußball kann es wegen einer Verletzung von heute auf morgen vorbei sein. Deswegen bin ich froh, dass ich von Beginn an einen Plan B hatte. Ich wollte nach der Matura eine Ausbildung machen, in die Firma meiner Familie, einen Tischlereibetrieb, einsteigen.

Ein Profifußballer ist ein Wanderer, heißt es.

Im Lauf einer Karriere unterläuft man extrem vielen Veränderungen. Man ist Nomade, Teil eines Wandervolks. Man zieht weiter. Aber die Heimat ist Österreich, Bremen ist auch ein Stück Heimat geworden. Wo man später dann leben will, das hängt auch von Partner, Situation und den Freunden ab, die man behalten hat.

Wie eng ist der Kontakt zu den anderen drei Österreichern in der Premier League?

Kevin Wimmer treffe ich am häufigsten, weil er auch in London lebt. Aber wir haben alle untereinander ständigen Kontakt.

Ist man als Profi frei von Neid? Was Christian Fuchs mit Leicester City gelungen ist, war eindrucksvoll.

Natürlich. Man freut sich für den Mitspieler. Solange man nicht gegeneinander spielt natürlich. Im Spiel ruht die Freundschaft. Für uns Österreicher war das alle eine spannende Saison.

Welche Gefühle haben Sie nun so knapp vor Beginn der EM?

Die Vorfreude ist riesig. Wir haben uns qualifiziert, als eine der stärksten Nationen Europas. Wir haben 28 Punkte in der Qualifikation geholt, und das müssen wir bei der Euro nun auch unter Beweis stellen. Aber wir sind relativ unerfahren, was Turniere angeht, und es wäre gut, die Erwartungshaltung so niedrig wie möglich zu halten.

Worin besteht denn die Magie, dass bei manchen Spielen alles aufgeht?

Da spielt leider zu viel mit, die ersten Minuten etwa. Gegen Schweden wurde es zu einer magischen Nacht in Stockholm. Jeder brachte mehr als hundert Prozent, sie waren sogar noch gut bedient mit dem 1:4. Da ging einfach alles auf. Man muss den Unterschied zwischen den Spielen herausfiltern, dann kann man etwas daraus lernen. Wenn man das nicht macht, dann wird es zu einem Problem.

Sie hatten mit Qualifikationsspielen gegen Schweden ja auch so eine Vorgeschichte.

Das Spiel damals (2013, WM-Qualifikation für Brasilien 2014, Anm.) war ja auch ein halbes Märchen. Die erste Halbzeit hatten wir brilliert. Wir hätten das Spiel genauso gut für uns entscheiden können. Aber es kam anders, die Brasilien-Träume zerplatzten. Wir hatten nun die Gelegenheit für eine Revanche. Wir waren deutlich gefestigter. Damals waren wir auswärts wirklich schwach, das hat sich seither grundlegend geändert. Wir sind nun auch bei Auswärtsspielen ernst zu nehmen, haben uns weiterentwickelt. Wir haben das Glück, einen Trainer zu haben, der auf ein Stammteam baut.

Gutes Stichwort: Stammplatz. Werden Sie bei der EM in der Innenverteidigung neben Aleksandar Dragović zum Einsatz kommen?

Ich hoffe natürlich, dass ich eine Chance habe, reinzukommen. Die Entscheidung liegt beim Trainer. Da herrscht noch ein Konkurrenzkampf.

Welches Spiel der Gruppenphase wird entscheidend?

Wir haben, wie gesagt, wenig Turniererfahrung. Ein paar von uns waren zwar bei der Euro 2008. Wir dürfen uns aber nur auf das erste Spiel konzentrieren. Wir dürfen nicht überlegen, welches Spiel entscheidend ist. Wir können uns nicht auf Portugal einstellen, bevor das erste Spiel vorbei ist. Jetzt gelten die Gedanken nur Ungarn. Danach werden wir mit dem Ergebnis dementsprechend umgehen müssen.

Bei der Auslosung sah man allerdings ein Lächeln auf den Lippen Marcel Kollers.

Marcel Koller ist ein freundlicher Mensch, er lächelt gern. Wir können mit der Auslosung und der Gruppe zufrieden sein. Aber ich bin mir ganz sicher, dass zum gleichen Zeitpunkt die Trainer in Portugal und in Ungarn das gleiche Lächeln auf den Lippen hatten, als Österreich aus dem Topf gezogen wurde. Da hätte es auch andere Kaliber gegeben. Wir haben uns in der Qualifikation Respekt erarbeitet, aber dennoch sind wir für viele Nationen nicht der große Favorit, in der Gruppe weiterzukommen. Wir sind vielleicht ein Geheimfavorit aufgrund unserer Leistung in der Qualifikation. Uns wird zugetraut, eine Überraschung liefern zu können. Wir gehören aber sicher nicht zu den Favoriten.

Kann der Teamchef auch unfreundlich sein?

Unfreundlich habe ich ihn noch nie erlebt. Unzufrieden, ja. Das ist im Sport so, dem muss man Raum geben, als Spieler und als Trainer. Nur so kannst du auch Spieler erreichen, wenn die Emotion nicht nur im positiven Fall da ist, sondern auch im negativen. Es ist sehr wichtig, dass der Trainer die Emotion mitträgt. Wir sind von ihm abhängig. Er ist von uns abhängig. Wir gehen gemeinsam in eine Richtung.

Er hat dem Team ein Selbstvertrauen gegeben, das es jahrzehntelang nicht gab.

Er hat einen Stil entwickelt, er hat Österreich zu einer Marke gemacht, wir haben nun Wiedererkennungswert.

Was war sein Erfolgsrezept?

Grundsätzlich einmal seine Art. Seine Genauigkeit und die Kontinuität, mit der Mannschaft zu arbeiten und einen eigenen Spielstil zu entwickeln. Er hat entschieden, welche Spieler bereit sind, alles für Österreich zu geben, mit wem man den besten Fußball spielen kann, und was zu dieser Mannschaft passt. Er hat sich für Offensivfußball entschieden, für Pressing, für hohes Attackieren und dafür sind wir und auch er belohnt worden. Und die Fans sind euphorisch. Bisher war es ein tolles Projekt. Wir sind sehr froh, dass er den Vertrag verlängert hat.

Ein großer Vertrauensbeweis.

Ja, das heißt, dass er an uns und an diese Mannschaft glaubt und daran, dass er mit ihr Erfolg haben kann. Die Trainer schauen ja auch darauf, wie sie sich selbst weiterentwickeln können. Wenn er davon überzeugt ist, das mit uns zu können, dann ist das auch eine Anerkennung für die Spieler.

Anfangs wehte ihm ein rauer Wind entgegen. In Österreich kann man schnell vom Buhmann zum Liebling werden...

Österreich ist himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt. Das ist bei der Erwartungshaltung uns gegenüber so und auch gegenüber dem Trainer. Am Anfang war das wirklich ein Wahnsinn. Einige waren anscheinend beleidigt und nicht angetan von der Entscheidung für Koller. Sie mussten ihre Kritik dann alle revidieren. Unser Trainer ist mit der Geschichte so professionell wie kein anderer umgegangen. Das zeugt auch von seiner Klasse und dass die, die ihn so massiv kritisiert haben, eher keine haben.

Im Innersten träumt jeder vor einem Turnierstart auch vom Titel.

Im Lauf eines Turniers, das sieht man auch in der Champions League, geht es viel um die Entwicklung, um Emotionen, natürlich auch um Fitness. Innerhalb eines Turniers geht es sehr stark um die Psyche. Das habe ich auch 2007 bei der U20-WM erleben dürfen. Im Innersten träumt man immer nur vom Größten. Aber man muss Realist sein. Um Realist zu sein, muss man sich bei so einem Turnier nicht auf das konzentrieren, was sein könnte, sondern immer nur auf das, was man beeinflussen kann. Und das ist immer nur das nächste Spiel. Ungarn ist das nächste Spiel, darauf liegt der Fokus.

Ist also Platz zehn für Österreich in der Fußballweltrangliste gerechtfertigt?

Um ehrlich zu sein, verstehe ich das System der Weltrangliste nicht ganz. Was wir haben, sind zwei oder eigentlich fast vier erfolgreiche Jahre, jede Menge Punkte, jede Menge Siege. Wir haben uns viel Respekt erarbeitet. Es ist daher schon gerechtfertigt, dass wir mittlerweile eine Hausnummer sind. Ob der Platz zehn großartig etwas über mögliche EM-Chancen aussagt, das vermag ich nicht zu sagen. Man sollte nicht zu viel Wert auf diese Platzierungen legen, aber natürlich tut es gut, wenn man vorn liegt.

Was raten Sie den österreichischen Fans während der Fußball-EM?

Sie sollen die Emotion, den Glauben an uns pflegen, uns unterstützen. Aber es sollte jeder am Boden bleiben. Wir sollten alle in eine Richtung gehen. Abwarten, was im ersten Spiel passiert, und dann weitere Ziele setzen. Alles andere wäre nicht seriös.

Mit David Alaba gibt es einen Spieler, der unglaubliche Euphorie bei den Fans ausgelöst hat, nicht nur bei den Jungen. Er ist ein Spieler, der...

... Gott ist?

Wie ist das für die Teamkameraden?

Er ist bei uns nicht der Star. Er kommt nicht mit einer Krone in die Kabine. Noch nicht. Ich freu mich für jeden, der erfolgreich ist und er ist ein Spieler, der außergewöhnliche Leistungen bringt, nicht nur bei Bayern München. Er ist ein Getriebener, will bei jedem Training der Beste sein. Er ist ein sehr spezieller Spieler. Während er die Aufmerksamkeit auf sich zieht, können sich andere weiterentwickeln, die mehr Ruhe brauchen. Es ist für niemanden in der Mannschaft ein Problem, dass ihn die Fans vergöttern. Niemand ist neidisch.

Motiviert er mit seiner Art andere Spieler?

Absolut. Er ist ein mitreißender Spieler, sehr laufstark, kreativ, technisch stark, hat einen guten Schuss. Jemand, der es gewöhnt ist, Erfolg zu haben und das stets zum Ziel hat, tut einer Mannschaft gut. Davon profitieren alle!

Wenn jemand einen gravierenden Fehler macht, gibt es dann auch mal böse Blicke innerhalb der Mannschaft?

Nein. Fußball ist ein Mannschaftssport. Punkt. Ich kenne keinen Spieler, der noch keinen Fehler gemacht hat. So etwas gleicht sich meist aus. Wenn es zu oft vorkommt, greift ohnehin der Trainer ein. Fußball lebt von Fehlern. Tore entstehen zu 90 Prozent wegen Fehler des Gegners, Abspielfehler, taktische Fehler, physische Defizite.

Und beim Elferschießen?

Es sind meist freiwillige Entscheidungen, wer antritt.

Würden Sie einen schießen wollen?

Ich habe im Team noch keinen Elfmeter geschossen, meist treten die Offensivspieler an. Ich habe einmal einen entscheidenden Elfmeter geschossen, in Deutschland. Aber ich würde schon gern, ja.

Sicherheit ist in Frankreich weiterhin ein großes Thema. Beschäftigt Sie das?

Man sollte es nicht verdrängen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es Terror gibt, dass man in Gefahr lebt, aber das tut man ohnehin tagtäglich. Ich habe dahingehend noch keine persönlichen Erfahrungen gemacht. Meine Familie war damals in Graz in der Gegend, als die Amokfahrt stattfand. Es kann dir überall passieren. Ich fahre in London täglich mit der U-Bahn, ich möchte nicht zu viele Gedanken daran verschwenden. Ich vertraue da ganz der französischen Organisation.

Aber Stadien als Hochsicherheitstrakt, ist das nicht gewöhnungsbedürftig?

Es ist für Spieler einfacher, sich sicher zu fühlen als für Besucher. Wir sind leichter zu schützen als die Massen. Man sollte trotzdem sein Leben leben und sich nicht davon abhalten lassen, Spiele zu besuchen. Wenn man das nicht mehr macht, hat man den Terroristen gegeben, was sie wollen.

Wie wichtig ist die Fankulisse?

Ich glaube, dass sehr viele Fans anreisen, uns unterstützen werden. Wir nehmen es aber auch niemandem übel, der sich das lieber daheim im Fernsehen ansieht.

Steckbrief

Geboren
21. Juni 1987 in Graz

Spielt in der Jugend für SV Kirchberg und SV Feldbach.

2002
Wechsel zum SK Sturm Graz. Debüt in der Bundesliga 2006.

2008/09
Wechsel nach Deutschland zu Werder Bremen. Gewinnt DFB-Pokal.

2015
Wechsel in die englische Premier League zu FC Watford; Vertrag bis 2020.

Nationalmannschaft
Debüt 2007 gegen Schottland. Kapitän des U20-Teams; Teilnahme ander WM in Kanada 2007 (4. Platz). Teilnahme an der Euro2008.

56 Länderspiele, vier Tore.

Lebt mit seiner Lebensgefährtin in London.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2016)

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