Eine Alternative mit dem Potenzial zur Dauerlösung

(c) APA/ROBERT JAEGER
  • Drucken

Hinter Marc Janko klafft im Angriff des österreichischen Nationalteams ein Loch, Michael Gregoritsch könnte dieses künftig füllen. Der Steirer, ein offensiver Allrounder, ist begabt, auch an Selbstvertrauen mangelt es ihm nicht. Zlatan Ibrahimović imponiert dem 22-Jährigen, für den die erstmalige Teameinberufung „ein Traum“ ist.

Die Fußballeuropameisterschaft in Frankreich brachte aus österreichischer Sicht die unangenehme Wahrheit ans Licht. Die Nationalmannschaft, und das ist per se keine Neuigkeit, hat ein Stürmerproblem. In der erfolgreichen Qualifikation noch geschickt kaschiert, wurde dieser beklemmende Umstand bei der Endrunde für alle offensichtlich. Ein nicht fitter Marc Janko war nur ein Schatten seiner selbst, die eigentliche Alternative, Rubin Okotie, war für Teamchef Marcel Koller nicht einmal das. Und nicht Janko, nicht Okotie, auch nicht Martin Harnik oder Lukas Hinterseer sollten zwischen Bordeaux und Paris für das einzige ÖFB-Tor dieser EM sorgen. Diese Ehre war Alessandro Schöpf, einem Mittelfeldspieler, vorbehalten.

Weil Schöpf in der nächsten Dekade aber nicht für Tore auf dem Fließband sorgen wird, sind zukunftsorientierte Lösungen gefragt. Marc Janko, das ist der einzig realistische Zugang, dürfte, sofern bei Gesundheit, noch zwei Jahre für das Nationalteam auflaufen. Der Basel-Legionär wird im WM-Jahr 2018 35 Jahre alt, noch ist er die unumstrittene Nummer eins im rot-weiß-roten Angriffszentrum. Janko ist ein echter Torjäger, Zahlen belegen das eindrucksvoll. In 56 Länderspielen traf der Mittelstürmer 26-mal. Die Fußstapfen, die Janko einmal hinterlassen wird, werden groß sein.

Vor der ersten Zusammenkunft der Nationalmannschaft vor der Montag mit dem Auswärtsspiel gegen Georgien (18 Uhr, live in ORF eins) beginnenden WM-Qualifikation hat sich Marcel Koller viele Gedanken gemacht. Über die Gründe des Scheiterns bei der EM, Perspektiven und das Personal. Der Schweizer hat das Spiel in den vergangenen drei Monaten nicht neu erfunden, und doch war zum Handeln gezwungen. Eine neue Alternative im Angriff musste her, am besten mit dem Potenzial zur Dauerlösung. Kollers Auswahl war freilich überschaubar, weder ist im Sommer ein bisher unbekannter Vollblutstürmer mit österreichischem Pass aufgetaucht noch wurde im Blitzverfahren ein Brasilianer eingebürgert.

Der Blick des Schweizers richtete sich gen Norddeutschland. Dort, in Hamburg, steht mit Michael Gregoritsch ein Stürmer unter Vertrag. Nur drei Zentimeter kleiner und elf Jahre jünger als Janko, das passt. Vergangenen Dienstag wählte Koller Gregoritschs Nummer, zwei Tage später machte der Teamchef die erstmalige Einberufung des jungen Mannes publik. Für Gregoritsch, „und das ist keine Floskel“, ging ein Traum in Erfüllung. „Ich habe mich gefreut wie ein kleines Kind.“ Kollers Auftrag an ihn klang einfach wie klar: „Komm her, spiel Fußball, hab Spaß.“


Zusehen und lernen. Seine ersten Tage beim Nationalteam nutzte Gregoritsch zur Integration. Von der so oft zitierten Wohlfühloase ist zwar seit der enttäuschenden EM keine Rede mehr, die Stimmung aber ist weiterhin gut. Einige seiner jungen Mitspieler kennt er aus gemeinsamen Tagen bei Nachwuchsauswahlen, mit dem Salzburger Valentino Lazaro teilt er das Zimmer. Gregoritsch weiß, was von ihm (in naher Zukunft) erwartet wird.

Vergleiche mit Janko empfindet er nicht als belastend, der Respekt vor ihm ist groß: „Marc spielt im Team, seit ich zwölf bin. Es sind viele Stürmer gekommen und gegangen, er hat sich immer durchgesetzt.“ Gregoritsch ist gerade erst gekommen, gehen will er nicht so schnell. Auch deshalb studierte er Janko in den Trainings, „ich achte schon mit einem Auge darauf, wie er sich verhält“. Denn: „Marc ist ein Knipser, ich kann viel von ihm lernen.“

Koller sieht in Gregoritsch viel Potenzial, immerhin ist dieser universell einsetzbar. Egal, ob Mittelstürmer, hängende Spitze oder Spielmacher, „ich kann auch am Flügel spielen“, sagt der Debütant. Gefragt ist er letztlich aber wohl an vordererster Front. Der Deutschland-Legionär wähnt sich bereit für höhere Aufgaben, auch für einen Einsatz in Tiflis. „Ich bin einer von 23 Spielern im Team, bin nicht als Trainingsgast eingeladen worden.“ Das heißt: „Wenn mich der Teamchef am Montag braucht, aber ich nicht damit rechnen würde, dann würde ich schlecht ausschauen.“

Aus Gregoritsch spricht das Selbstvertrauen eines Bundesligaspielers. Entgegen manchen Meinungen hat sich der Steirer nach Engagements in Hoffenheim, St. Pauli und Bochum in Hamburg vorerst durchgesetzt. Beim Saisonauftakt gegen Hoffenheim stand der Österreicher trotz großer interner Konkurrenz als hängende Spitze in der Startelf, er hatte schon in der Vorbereitung zu den Gewinnern gezählt. „Die deutschen Medien“, sagt Gregoritsch, „haben mich ein bisschen unterschätzt. Ich bin nicht nur der liebe Kerl.“ Der Eindruck des lieben Kerls soll sich auch im Nationalteam nicht manifestieren, „aber Bälle und Trinkflaschen tragen gehört dazu“. Dieser Aufgaben kann sich ein junger Spieler nirgends entledigen, aber natürlich gibt es Grenzen. Auf ihre schicken Toilettetaschen achten die Kollegen Arnautović oder Dragović schon selbst.


Alles, nur nicht eislaufen. Wie man sich als Neuling zu verhalten hat, worauf Marcel Koller besonderen Wert legt, davon weiß Werner Gregoritsch seinem Sohn ausführlich zu berichten. Der Ex-Profi und nunmehrige U21-Teamchef verfolgte die ersten Schritte seines Sohnes mit und ohne Fußballschuhe, „mit eineinhalb Jahren hat er sich meine zum ersten Mal angezogen“, erinnert sich Gregoritsch senior. Für den Sprössling habe es nie etwas anderes als Fußball gegeben, die Liebe zum runden Leder war bald geweckt. „Es hat sich erst mit 17, 18 bei mir eingeschlichen, dass ich mich überhaupt für andere Sportarten interessiere“, berichtet Michael im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.

Dabei stellte sich der junge Mann, so berichtet es Werner, auch beim Tennis, Schwimmen und Basketball geschickt an, er sei eben „ein Bewegungstalent“. Nur das Eislaufen habe ihn vor unlösbare Probleme gestellt. Werner, vier Jahre lang Sportlehrer von NHL-Superstar Thomas Vanek und passionierter Eishockey-Spieler, möchte nicht mehr daran denken. „Eine Tragik.“ Der Weg, Fußballprofi zu werden, sei für Michael eigentlich alternativlos gewesen. Dass er jetzt sogar dem A-Team angehört, rief beim Herrn Papa Glücksgefühle hervor. „Auch für mich geht ein Traum in Erfüllung“, sagt der 58-Jährige, dessen persönliche Geschichte bewegend ist. 1997 wurde im Zuge einer Routineuntersuchung Krebs diagnostiziert, Michael war da gerade einmal drei Jahre alt. „Ich habe mir damals nur gewünscht, dass ich meinen Sohn noch Fußball spielen sehe...“

Mittlerweile ist der ausgebildete Deutsch- und Turnlehrer seit 16 Jahren Profitrainer, bei Kapfenberg und in der U21 war auch Michael unter seinen Fittichen. Ein Naheverhältnis zwischen Trainervater und Spielersohn ist offensichtlich, natürlich sei es öffentlich und medial ob dieser speziellen Konstellation nicht immer leicht gewesen. „Ich habe oft gehört, dass der Papa ja eh immer alles richtet. Umso mehr freut es mich, dass er es in Deutschland geschafft hat, ohne meine Hilfe.“

Wer Großes erreichen will, der muss sich hohe Ziel stecken, den Besten nacheifern. Michael Gregoritsch hat niemand Geringeren als Zlatan Ibrahimović als Vorbild auserkoren, die Fußstapfen des schwedischen Superstars sind freilich noch größer als jene von Marc Janko. „Ich habe ihn mit 14, 15 schätzen und lieben gelernt“, sagt Gregoritsch junior. Die Biografie des exzentrischen Schweden hat er natürlich gelesen, nein, verschlungen. „Dreimal!“ Es gebe schlechtere Idole als Ibrahimović, meint auch Werner Gregoritsch. Er sagt: „Ich trau dem Michi alles zu.“

Steckbrief

Michael Gregoritsch
wurde am 18. April 1994 in Graz geboren. Ausgebildet beim GAK unterschrieb er in Kapfenberg seinen ersten Profivertrag, Kurz vor seinem 16. Geburtstag gab der Stürmer sein Bundesligadebüt und schoss mit der zweiten Ballberührung ein Tor.

Gregoritsch ist der jüngste Spieler, der je in der höchsten Spielklasse getroffen hat.

2011 wechselte er nach Hoffenheim inklusive drei Leihgeschäften (Kapfenberg, St. Pauli, Bochum). Im Vorjahr verpflichtete ihn der HSV bis 2019.

Für das Länderspiel gegen Georgien (Montag, 18 Uhr) steht er erstmals im ÖFB-Kader.

APA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.