„Wohlfühloase? Das ist eh nicht das Richtige“

ABSCHLUSS-TRAINING DES OeFB-TEAMS IN TIFLIS
ABSCHLUSS-TRAINING DES OeFB-TEAMS IN TIFLISAPA/ROBERT JAEGER
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Teamchef Marcel Koller hat mit der Euro gedanklich abgeschlossen, nur die erfundene Tellerwurfgeschichte ärgert ihn immer noch. Der Schweizer schwört auf das intakte Mannschaftsklima und verteidigt David Alaba.

Nein, über die Europameisterschaft möchte Marcel Koller nicht mehr sprechen. Es sei alles gesagt, die zahlreichen Gründe für die Enttäuschung in Frankreich wurden öffentlich bereits dargelegt. „Die Euro ist vorbei“, sagt Koller und nippt an seinem Kaffee. Hier, im 23. Stock der ÖBB-Unternehmenszentrale, der Sky Lounge, hat man einen außergewöhnlichen Blick über Wien. In der Ferne ist auch das gewaltige Oval des Ernst-Happel-Stadions zu erspähen.

Dort haben Marcel Koller und seine Spieler vor bald einem Jahr, am 12. Oktober 2015, zusammen mit 48.500 von purer Euphorie erfasster Menschen die erfolgreiche EM-Qualifikation gefeiert. Der Teamchef wurde kurzerhand zum Nationalheiligen erklärt, die Sympathiewerte von David Alaba, Marko Arnautović und Co. erreichten völlig neue Sphären. Das kleine Österreich wähnte sich für kurze Zeit eine Fußballgroßmacht, sogar die Fifa-Weltrangliste gab Anlass zu dieser Meinung. Platz zehn, ein Meilenstein. Doch wer hoch fliegt, der kann tief fallen. Schon die Testspiele vor der Euro verhießen nichts Gutes, in Frankreich nahm das Unglück seinen Lauf. Die Leistungen irritierten, die Mannschaft enttäuschte im Kollektiv. Eine heimische Boulevardzeitung suchte später nach stichhaltigen Gründen und meinte einen solchen in einem fliegenden Suppenteller gefunden zu haben.

Die Wohlfühloase Nationalteam soll in Frankreich also nachhaltigen Schaden genommen haben. An dieser Stelle hakt Marcel Koller beim Termin mit der „Presse am Sonntag“ doch ein. „Wer sagt, dass die Stimmung im Team bei der Euro nicht mehr so wie davor gewesen ist?“ Der Schweizer wirkt emotionalisiert, das Thema scheint ihm ein persönliches Anliegen zu sein. „Diese ganzen Geschichten sind frei erfunden, es ist nichts passiert, nur will das niemand glauben. Du musst ständig Rechenschaft ablegen.“

Der Wind, der um das österreichische Fußballnationalteam weht, ist etwas rauer geworden. Spieler stehen gegenüber den enttäuschten Fans in der Bringschuld, auch der Teamchef ist in den Augen einiger Beobachter seit der EM nicht mehr makellos. Koller versichert, dass es teamintern „keine zwischenmenschlichen Kerben“ gäbe. „Es hat sich nichts sichtbar verändert.“ Alaba, Arnautović und Dragović seien also immer noch selbst ernannte „Brüder“, das Mannschaftsklima sehr gut, wenngleich der 55-Jährige einräumt: „Dass nicht jeder mit jedem ein Bier trinkt, ist auch normal.“ Genau diesen Eindruck aber hat das Team in der Vergangenheit geweckt, die Idee der „Elf Freunde müsst ihr sein“ richtiggehend gelebt.


Das Ende der Wohlfühloase. Diesem Gedanken entsprang dann irgendwann auch die Bezeichnung Wohlfühloase. Ein Nationalteam als Wohlfühloase also, eine schöne Vorstellung. Solange der sportliche Erfolg sich immer wieder aufs Neue einstellt, spricht eigentlich nichts dagegen, nach der missglückten EM aber wirkt sie deplatziert. „Eine Wohlfühloase“, sagt Marcel Koller, „ist eh nicht das Richtige.“ Das klänge so, als würden seine Spieler „nur rumhängen und es sich gut gehen lassen“. „Aber das wollen wir nicht, das sind wir nicht.“

Im Fußball ginge es schließlich um etwas ganz anderes. „Die Spieler sollen zum Nationalteam kommen, um Leistung zu zeigen und nicht, um sich den Bauch mit gutem Essen vollzuschlagen, bisschen rumzuhängen und Wien zu sehen.“ Nachsatz: „Das Spiel ist das Wichtigste. Dafür gilt es, alles zu tun, alles rauszuholen.“

Wenn Koller am Montag alle 23 Spieler um sich versammelt hat, dann wird er mit unterschiedlichen Charakteren und Stimmungslagen Einzelner konfrontiert werden. Das ist per se nichts Neues, jedoch ist der Abwärtstrend einiger Akteure in dieser Form dann doch besonders und etwas besorgniserregend. Beinahe ein Dutzend Spieler zählt beim jeweiligen Arbeitgeber nicht zum Stammpersonal oder plagte sich zuletzt mit Verletzungen. Einen auffällig schweren Stand haben aktuell ÖFB-Kapitän Julian Baumgartlinger und Abwehrchef Aleksandar Dragović bei Bayer Leverkusen, sie zählen bei Ex-Salzburg-Trainer Roger Schmidt nicht zur ersten Garde.

Bei Koller werden sie das trotzdem sein, er wird mit den Betroffenen Gespräche führen, sie mental aufrichten. „Dafür brauchst du ein paar Tage.“ Doch welche Rolle spielt die persönliche Situation eines Spielers bei seinem Klub für das Nationalteam eigentlich? Und wie wichtig sind Siege und Selbstvertrauen wirklich? Natürlich würde sich der Teamchef wünschen, jeder seiner Spieler würde ausschließlich Erfolgserlebnisse feiern, denn „wenn du verlierst, fehlt dir das Selbstvertrauen, dann zögerst du“. Trotzdem ist der Check-in beim Nationalteam in gewisser Form auch immer ein Tapetenwechsel, „man bringt schon eine eigene Mentalität rein, das zeigt sich schon im Training“. Noch wichtiger als Spielpraxis und Siege sei aber ohnehin die Tatsache, dass Kollers Mannen die nötige Qualität mitbringen. „Und das tun sie. Es gilt nur, sie abzurufen.“


Alabas Wächter. Über besonders viel Qualität verfügt zweifelsfrei David Alaba. Der 24-Jährige ist seit geraumer Zeit das Gesicht des heimischen Fußballs, außerdem mit einem Marktwert von 45 Millionen Euro der wertvollste Linksverteidiger der Welt. Die Europameisterschaft aber hat auch Alaba, den Alleskönner, vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Er wirkte spielerisch gehemmt, manchmal sogar auf dem Platz verloren und müde von einer ohnehin schon langen Saison.

In der öffentlichen Wahrnehmung hat Alaba, von Koller seit seinem Amtsantritt konsequent im zentralen Mittelfeld aufgeboten, nicht erst in Frankreich enttäuscht. Viel zu selten hätte der Bayern-Legionär geniale Momente in seinem Spiel, dieses sei außerdem zu fehleranfällig. Und überhaupt wäre Alaba doch ein Linksverteidiger, kein Spielgestalter. Koller konnte die Kritik an Alabas Person noch nie nachvollziehen, er stellte sich stets schützend vor seinen Star, auch nach offensichtlich mäßigen Leistungen. „David“, bekräftigt der gebürtige Zürcher, „hat so viele gute Dinge im Nationalteam gezeigt. Wir haben die EM-Qualifikation mit ihm geschafft, haben zuvor in der WM-Qualifikation nur knapp das Play-off verpasst. Ich verstehe nicht, warum alle herumschreien.“

Ob er den Ansatz einer Erklärung für die anhaltende Kritik habe? Koller überlegt, sagt dann: „Die Erwartungshaltung ist immer hoch, die Leute wollen immer mehr, aber David ist gerade 24 Jahre alt geworden. Er ist bei den Bayern noch kein Führungsspieler wie Oliver Kahn, Philipp Lahm oder Thomas Müller. In diese Rolle muss er erst reinwachsen.“


Und wer stoppt Bale? Es wird auch von David Alabas Vorstellung abhängen, ob Österreichs Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation am Donnerstag gegen Wales und drei Tage später in Belgrad gegen Serbien (jeweils 20.45 Uhr, live in ORF eins) reüssiert. Der Auftakt in Georgien (2:1) ist geglückt, der Weg zur Endrunde nach Russland allerdings noch endlos weit. Mit EM-Halbfinalist Wales gastiert eine Mannschaft im Wiener Prater, deren Superstar doppelt so wertvoll ist wie Alaba. Gareth Bale ist eine der gegenwärtig schillerndsten und vermeintlich die schnellste Figur im Weltfußball (siehe Artikel oben). Um das zu erkennen, bedarf es keines aufwendigen Videostudiums, Marcel Koller hat freilich dennoch eifrig recherchiert. „Wenn Bale Fahrt aufnimmt, denkst du dir manchmal: Das gibt es doch nicht, die anderen können doch nicht so langsam sein.“

Dabei sind die anderen meist gar nicht so langsam, sondern Bale so schnell. Koller erinnert an eine Szene, als der 27-jährige Rechtsaußen noch bei Tottenham Hotspur geigte und gegen Inter Mailand auffällig wurde. „Er ist von der Mittellinie losgezogen und hat drei Italiener wie kleine Jungs stehen gelassen.“ Weil Österreich keinen Bale hat, kann die Sprintrakete aus Cardiff in seinem Wirkungsbereich nur im Verbund etwas eingebremst werden. „Entscheidend wird sein, ihn rasch zu stören, sobald er in Ballbesitz ist.“ Denn in einem Punkt gibt sich Koller keinen Illusionen hin. „Bale ist es egal, ob David Alaba oder Markus Suttner sein Gegenspieler ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2016)

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