Joelinton: "Fußball ist mein Lebensgefühl"

Im Allianz-Stadion fühlt sich der Brasilianer Joelinton geborgen, es ist in Wien sein zweites Zuhause.
Im Allianz-Stadion fühlt sich der Brasilianer Joelinton geborgen, es ist in Wien sein zweites Zuhause.(c) PK
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Der Brasilianer Joelinton will sich im Derby wieder bei Rapid empfehlen. Ein Gespräch über Kulturgüter, Tore, 222 Millionen Euro für Neymar, Heimweh und die Copa Cagrana.

Ihr Saisonstart war skurril, die Rote Karte nach nur 23 Minuten gegen Mattersburg sorgte für viele Diskussionen. Das Foul, Rapid spielte nur 2:2 . . .

Joelinton: . . . zu Hause habe ich dann noch sehr lange darüber nachgedacht. Ich war traurig, es hat mich wirklich beschäftigt, und es tut mir auch leid. Ich wurde für ein Spiel gesperrt, der Klub hat mich dafür bestraft. Aber auch das gehört zum Fußball dazu. Ich bin jetzt wieder im Training, möchte im Derby spielen – ein Tor schießen.

Welche Bedeutung hat denn das Wiener Derby für einen Brasilianer?

Das ist ein großes, spezielles Spiel, das haben aber alle Derbys weltweit so an sich. Unsere Fans fiebern daraufhin, aus ihrer Sicht ist es Rapid nicht erlaubt, gegen Austria zu verlieren. Die Fans sind anders, denn hier bei Rapid feuern sie uns auch an, wenn wir hinten sind. Sie sind verliebt in diesen Klub, sie leben hier ihre Emotionen aus. Das gibt es in Brasilien in dieser Form nicht, obwohl Fußball bei uns großen Stellenwert hat. Wenn wir zu Hause verlieren, redet keiner mehr darüber, dann interessiert es nicht. Das geht bei Rapid nicht: Die Fans singen, rufen deinen Namen. Es sind magische Momente.

Und woran halten Sie sich als Spieler?

Ich muss die Ruhe bewahren, mich konzentrieren, auf den Ball warten – wie immer, insofern ist es ein ganz normales Spiel. Es ist mein fünftes Wiener Derby, ich freue mich darauf.

Freuen Sie sich auch über den Rekordtransfer Ihres Landsmannes Neymar, sind 222 Millionen Euro nicht eine verrückte Summe?

Ich finde das sehr gut. Paris SG ist ein großartiges Team, ein Klub mit Struktur. Die müssen für diese Summe aber ein wirklich gutes Projekt für ihn haben. Wenn ich Neymar wäre, hätte ich es genauso gemacht.

In Ihrer Heimat gilt Fußball als Kulturgut, in Österreich mag nicht jeder dieses Spiel sehen, weil die Qualität nicht stimmt. Warum sind Brasilianer so Fußball-verrückt?

Das kann ich nicht erklären, das ist ein Lebensgefühl. Seit meiner Geburt wollte ich alles machen, was mein Vater getan hat, er spielte immer mit seinen Freunden Fußball oder sah ein Spiel an. Ich spiele seit meinem fünften Lebensjahr, ich wollte immer Profi werden, in Europa spielen – insofern habe ich es geschafft, dabei ist es erst der Anfang. Brasilianer haben einfach dieses Gefühl, sie leben für den Fußball.

Es gibt sicher Unterschiede.

Ja. In Europa ist das Spiel dynamischer, schneller, mir liegt es mehr. Brasiliens Liga ist sicher noch stärker als die Bundesliga, mit guten Spielern, und die besten gehen alle irgendwann nach Europa. Auch des Geldes wegen, keine Frage. Aber ich bin jung, lerne noch und lebe meinen Traum. Ich bin 2015 zu Hoffenheim gekommen, jetzt bin ich in Wien. Wohin meine Reise geht, weiß ich noch nicht. Irgendwann möchte ich auch Champions League spielen, soviel steht fest.

Wenn Sie mit Rapid Meister werden, die Qualifikation schaffen, wäre es möglich.

Ich habe noch den Vertrag für ein Jahr, dann werden wir weitersehen. Ich muss diese Saison zeigen, was ich kann, nicht noch mehr Rote Karten sehen. Und Rapid war schon lange nicht mehr Meister, wir wollen auch wieder in das Cupfinale. Ich will einfach jetzt noch nicht überlegen, was nach dieser Saison kommt, sondern muss darauf schauen, dass ich es allen gezeigt habe. Wenn der Vertrag endet, muss ich alle Optionen prüfen, aber das würde jeder machen.

Die Frage drängt sich auf: Sie kennen die Copa Cagrana?

Natürlich. Ich wohne im 22., in einem der Hochhäuser nahe der Donau. Ich gehe gern mit Teamkollegen fort, mag das Kino. Ich fühle mich aber auch in meiner Wohnung sehr wohl. Und ich bin auch schon einmal in die Donau gesprungen. Es ist nicht die Copacabana, aber ich mag es trotzdem.

Sie fühlen sich scheinbar sehr wohl in Wien, was machen die Stadt und Rapid so besonders für Sie?

Ich spreche gut Deutsch, wir unterhalten uns bei Rapid alle auf Deutsch, der Verein bietet Sprachkurse. Ich lerne . . . Ich bin seit einem Jahr hier, bin bei Rapid gut aufgenommen worden, fühle mich wohl. Vergangene Saison hat es nicht immer nach Wunsch funktioniert, ich hatte aber keine Probleme mit Damir Canadi. Jetzt ist die gleiche Gruppe am Werk, alle haben eine neue, aber andere Motivation. Ich habe gegen Chelsea das erste Tor im neuen Stadion geschossen, habe im ersten Heimspiel auch getroffen, sogar in meinem ersten Derby . . .

. . . im letzten, im vergangenen Februar, sahen Sie die Gelb-Rote Karte.

Naja . . .

Sie sind in Recife zuhause, gewannen mit dem dort ansässigen Verein 2014 zwei Titel. Wissen Fans und Freunde, dass Sie bei Rapid spielen?

Ja, meine Freunde und die Fans des Vereins wissen, wo ich spiele. Es folgen mir sehr viele auf Instagram. Aber viele sagen, ich soll wieder zurückkommen.

Wollen Sie zurück, haben Sie „saudade“, also Heimweh?

Ich rede jeden Tag mit meinen Eltern via Facetime, meine Freundin und mein sechs Monate alter Sohn kommen erst diese Woche nach Wien. Ja, ich habe es manchmal. Aber so ist der Job, du hast Sehnsucht, hast aber die Arbeit weit weg von daheim. Ich fliege oft nach Hause, es hilft.

Waren Olympia 2016 und Fußball-WM 2014 für Brasilien ein Segen oder doch eher ein Fluch der Milliardenausgaben wegen?

Ich denke, dass es kein Schaden war für Brasilien, solche Events abzuhalten. Die WM war ein Erfolg, sie zeigte, wie sehr wir uns für Fußball begeistern können. Das war auch bei Olympia spürbar – doch es gibt natürlich viele, die ganz anders denken. Weil es Probleme gegeben hat und immer noch gibt, zu viel Geld ausgegeben worden ist, das Land, die Stadt hohe Schulden haben und parallel dazu das Gesundheits- und Schulsystem schlecht sind. Deshalb waren viele dagegen, von der Korruption und anderen Skandalen rede ich gar nicht. Sportlich war es wichtig für uns, uns der Welt zu präsentieren. Was daraus geworden ist, was bleibt, ob es sinnvoll war – ich denke ja.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2017)

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